Viele Bahnreisende freuen sich auf den Brenner-Nordzulauf, soll dieser doch die Fahrt in den Süden beschleunigen und die Zahl der Verbindungen erhöhen. Doch in den Anrainer-Gemeinden im Osten von München herrscht die Sorge, dass mehr Züge auch mehr Lärm bringen. Und zwar nicht nur, während die neue Trasse gebaut wird. Die Rathäuser in Haar, Vaterstetten und Zorneding pochen darauf, dass auch auf dem bei ihnen verlaufenden Streckenabschnitt, der lediglich ertüchtigt werden soll, Lärmschutz nach Neubaustandard gewährt wird. Drei noch abzuwägende Kernforderungen sind mittlerweile in die Planunterlagen für den Abschnitt Trudering-Grafing eingegangen: nach höheren Lärmschutzwänden, innovativ mit Sichtfenstern gestalteten Wänden und Erschütterungsschutz.
In den mancherorts heftigen Diskussionen über den Brenner-Nordzulauf geht es um den Verlauf neuer Trassen wie im Raum Rosenheim. Bei den Bahn-Anrainern im Schatten der Landeshauptstadt ist das anders, weil sich gefühlt nicht so viel ändert. Doch auch hier werden in Zukunft deutlich mehr Züge verkehren und die Belastung wird steigen. Bei dem jüngsten Dialogforum zum Nordzulauf im Haarer Bürgerhaus im Juni diskutierten Bahn-Vertreter, Bürgermeister und Bürger. Aktuell ermittelt das Eisenbahnbundesamt (EBA) in einem sogenannten Scoping-Verfahren Eckpunkte der späteren Umweltverträglichkeitsprüfung. An diesen Online-Konsultation können sich Bürger beteiligen.
Allerdings ist das nur in den Bereichen möglich, wo neue Trassen gebaut werden. Das kritisiert der Haarer FDP-Gemeinderat Peter Siemsen, der einmal mehr findet, dass die Belange der Anrainer an dem für einen Ausbau im Bestand vorgesehenen Streckenabschnitt außen vor bleiben. „Der Mensch ist überall Schutzgut“, sagt Siemsen. Er hat dazu eine Anfrage im Gemeinderat eingebracht, in der er das Vorgehen der Deutsche-Bahn-Tochter DB InfraGO AG anprangert, die als Vorhabenträgerin die Grundlagen für das Scoping-Verfahren erarbeitet hat. „Dicht besiedelte Gebiete wie Trudering, Haar, Vaterstetten, Kirchseeon-West und große Teile Zornedings außen vorzulassen, ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt der Liberale.
Teile von Zorneding sind einbezogen in die Bürger-Beteiligung, die Siemsen zufolge bis 27. September laufen sollte und mittlerweile bis 15. Oktober verlängert worden ist. Dies habe die Arbeitsgruppe Bahnlärm des Gemeinderates Zorneding mitgeteilt. Die Ausnahme in Zorneding hat damit zu tun, dass im Bereich Baldham, Vaterstetten und Zorneding Überlegungen bestehen, zusätzlich 1,5 bis zwei Kilometer lange Gleise zu verlegen, die für eine Zuglänge von 740 Meter ausgelegt sind, damit schnellere Züge überholen können. Tom Steinhardt, Planungskoordinator von DB Infrago sagt dazu, durch die neuen beiden Gleisabschnitte würden positive Auswirkungen auf die Kapazität und die Resilienz des Bahnnetzes erwartet, was in einer Machbarkeitsstudie untersucht werde. Ein weiteres, bereits bestehendes Überholgleis bei Kirchseeon bliebe erhalten.
Abgesehen davon stehen Maßnahmen an den bestehenden Gleisen zwischen Trudering und Grafing an. Dort soll das European Train Control System (ETCS) zum Einsatz kommen. Es ist ein europaweit einheitlicher digitalisierter Standard, der klassische Signal- und Steuerungsinstrumente ersetzen soll. Ein problemloser grenzübergreifender Verkehr und auch dichtere Zugfolgen sind das Ziel. Stichwort: Blockverdichtung. Zudem läuft laut Steinhardt im Abschnitt Trudering-Grafing im Jahr 2027 eine Generalsanierung der Strecke, die bis 2030 für die gesamten Streckenabschnitte zwischen München und Rosenheim sowie Rosenheim und Salzburg angepeilt wird.
Kommendes Jahr wird im Bundestag beraten und entschieden
Eine erste Beurteilung der drei Kernforderungen durch die Planungswerkstatt von DB Infrago sieht grundsätzlich Chancen für einen Lärmschutz nach Neubaustandard, auch wenn kein gesetzlicher Anspruch bestehe. Der Forderung nach zusätzlichen Mittelwänden erteilt die Bahn wegen der Gleisabstände dagegen eine Absage. Einer Gesamtbeurteilung würden Zugzahlen der aktuellen Bedarfsplanüberprüfung mit dem Prognoseziel 2040 zugrunde gelegt. Deren Ergebnis werde noch abgewartet. Davon abgesehen sei es eine Kostenfrage. Ähnlich verhält es sich der Bahn zufolge bei der individuellen Gestaltung der Lärmschutzwände mit Lichtbändern. So blieben Sichtbeziehungen innerorts erhalten, was den Anrainer-Kommunen wichtig wäre. Die Gebote der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit müssten auch in diesem Fall gewahrt bleiben, heißt es.
Was den Erschütterungsschutz angeht, sieht man bei der Bahn dagegen keine Möglichkeit, an einen Neubaustandard heranzukommen. Wollte man ein Masse–Feder-System einbauen, wie es mittlerweile üblich sei, wäre ein tatsächlicher Neubau erforderlich. Der Einbau eines Troges benötige Platz, wäre aufwendig und nicht genehmigungsfähig. Möglich sei dagegen, auf Eisenbahnüberführungen besohlte Schwellen und Unterschottermatten einzubauen. Die Investitionskosten würden ermittelt.
Als nächste Aufgabe sieht DB Infrago, die Kosten für die Vorhaben an der Brenner-Nordzulaufstrecke zu ermitteln. Weitere Dialogforen seien zudem geplant. Kommendes Jahr soll das Großprojekt im Haushalts- und im Verkehrsausschuss des Bundestags beraten und anschließend im Plenum darüber abgestimmt werden.