Haar:Anonyme Geburt als Ausweg

Die Schwangerenberatungsstelle Donum Vitae in Haar erweitert ihr Hilfsangebot

Von Bernhard Lohr, Haar

Das Kind ist gesund. Alles scheint im Lot. Doch dann ruft Tage nach der Geburt mitten in der Nacht die junge Mutter an. Sie ist verzweifelt. Sie hat starke Blutungen und weiß nicht weiter. Ein Rest der Plazenta ist in der Gebärmutter geblieben. Es besteht Infektionsgefahr. Claudia Nasahl fackelt nicht lange und bringt die Frau in die Notaufnahme einer Münchner Klinik. Nasahl kümmert sich um alles, sie wehrt allzu direkte Fragen des Klinikpersonals ab und steht diskret dafür gerade, dass die Behandlung bezahlt wird. Die Identität der Patientin muss geheim bleiben. Sie hat ihr Kind bei einer sogenannten anonymen Geburt zur Welt gebracht; ein Angebot, das die ärztliche Versorgung von Mutter und Kind sicherstellt.

Claudia Nasahl arbeitet als Sozialpädagogin bei der Schwangerenberatungsstelle "Donum Vitae" in Haar. Sie kennt die schönen Seiten des Lebens und die weniger schönen, manchmal dramatischen, bei denen es immer auch gleich um den Tod gehen kann. 933 Beratungen gab es im vergangenen Jahr in Haar und in der Donum-Vitae-Außenstelle in Poing. Das, was man gemeinhin mit der Schwangerenberatungsstelle in Verbindung bringt, also die klassische Konfliktberatung im Vorfeld eines geplanten Schwangerschaftsabbruchs, machte dabei einen Bruchteil aus. 116 Beratungen drehten sich um dieses Thema. Jahr für Jahr hat die seit 2009 bestehende Schwangerenberatung in Haar ihr Angebot ausgeweitet, weil auch die Themen vielfältiger geworden sind. Es kommen nicht mehr nur junge Paare, alleinstehende Frauen. Die Klientel ist auch älter geworden. Paare erhoffen sich Hilfe bei ihrem Kinderwunsch. Im vergangenen Jahr bildete sich Nasahl auf diesem Gebiet fort. Die Kinderwunsch-Beratung läuft an. Auch eine Online-Beratung für Menschen mit geistiger Behinderung wird gerade aufgebaut. In Fragen der sexuellen Selbstbestimmung sind diese Menschen nicht minder ratsuchend, sie brauchen aber eine andere Ansprache.

Das Donum-Vitae-Team um den Chef Albert Fierlbeck, zu dem außer Beratern wie Nasahl auch Seelsorger, Psychologen, Gynäkologen und Hebammen gehören, wird mittlerweile mit allen denkbaren Fragen rund um Sexualität und Geburt konfrontiert. Das Tätigkeitsfeld geht vom Beginn der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr des Kindes. Und das Einzugsgebiet der Schwangerenberatungsstelle reicht bis nach München und in die Landkreise Ebersberg, Erding und Freising. Nicht immer geht es gleich um Leben und Tod. Doch darunter geht es eben oft auch nicht. Das weiß man gerade in Haar nur zu gut, wo nach Fierlbecks und Nasahls Schilderung vor Jahren in voneinander unabhängigen Fällen zwei Babyleichen auf einem Balkon und hinter Mülltonnen gefunden wurden. Viele Frauen stürzt eine Schwangerschaft in größte Nöte. Sie haben gewalttätige Partner, die Schwangerschaft ist ungewollt und wird verdrängt, sie fühlen sich psychisch überfordert mit der Situation oder haben finanzielle Probleme. Die Gründe seien vielfältig, sagt Fierlbeck.

Ein Weg zu helfen, ist die anonyme Geburt, bei der Frauen zugesichert wird, dass sie unter Obhut ihr Kind gebären können, ohne dass ihre Identität jemals an das Kind oder andere Menschen weitergegeben wird. Ähnlich funktioniert die seit 2014 gesetzlich geregelte "vertrauliche Geburt", bei der das Kind mit 16 Jahren das Recht bekommt zu erfahren, wer seine Mutter ist. Anders als bei der Babyklappe, bei der Neugeborene anonym abgegeben werden, ist die ärztliche Versorgung auch der Mütter garantiert. Acht anonyme Geburten haben die Mitarbeiter von Donum Vitae in Haar bisher begleitet.

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