Haar:Ambulanz steht Suchtkranken dreifach zur Seite

Bei der Substitutionsbehandlung an der Klinik in Haar erhalten Drogenabhängige medizinische, therapeutische und soziale Hilfe. Die Kapazität ist noch nicht ausgeschöpft

Von Johanna Feckl, Haar/Grafing

Einer ist übrig geblieben. Ein einziger niedergelassener Arzt im Landkreis Ebersberg, der Drogenersatztherapien anbietet. Dass die Versorgungslage einmal so aussehen wird, sei absehbar gewesen, sagt Lena Müller-Lorenz vom Ebersberger Caritas-Zentrum. Einige der substituierenden Ärzte haben mittlerweile das Rentenalter erreicht. "So ist ein Großteil der Anlaufstellen für einen Therapieplatz weggebrochen." Um die Versorgung der Substitutionspatienten trotzdem zu gewährleisten, hat die Caritas in Zusammenarbeit mit der Klinik für Suchtmedizin und Psychotherapie in Haar eine Substitutionsambulanz ins Leben gerufen: Seit zwei Jahren können betroffene Patienten aus dem Umland nun entweder im Caritashaus in Grafing oder in der Haarer Klinik ihre Drogenersatzbehandlung bekommen.

Schwierig war die Versorgungslage für Betroffene im Grunde genommen schon immer. Für Ärzte ist die Vergabe von Substitutionsmitteln mit einem hohen Mehraufwand verbunden. Haben die Patienten beispielsweise einen Job, müssen sie vor oder nach ihrem Arbeitstag zur Behandlung - also zu Zeiten, in denen Arztpraxen in aller Regel nicht geöffnet sind. Hinzu kommt, dass die Behandlung einen hohen Dokumentationsaufwand für den Arzt bedeutet. Zwar wurde laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) mit der Neufassung der Betäubungsmittel-Verschreibungsordnung und dem Inkrafttreten der überarbeiteten Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung von Drogenersatztherapien Ende 2017 die Behandlung suchtkranker Menschen entkriminalisiert. Die Dokumentation bleibt trotzdem schwierig und zeitraubend.

Haar: Kooperieren: Haars Chefarzt Ulrich Zimmermann und Lena Müller-Lorenz von der Caritas.

Kooperieren: Haars Chefarzt Ulrich Zimmermann und Lena Müller-Lorenz von der Caritas.

(Foto: Christian Endt)

Zusammengenommen gibt es für die Landkreise Ebersberg und München acht Ärzte mit einer Basisgenehmigung zur Substitutionsbehandlung. Das bedeutet, dass sie ohne Aufsicht die Ersatzmittel verabreichen dürfen. Daneben gibt es noch fünf Ärzte, die das dürfen, sofern sie einen Kollegen mit einer suchttherapeutischen Qualifikation in die Behandlung mit einbeziehen. Die KVB betont, dass längst nicht alle von diesen Medizinern auch tatsächlich Drogenersatztherapien anbieten. Bayernweit zählt die KVB etwa 6600 Substitutionspatienten.

Dass Hilfsangebote für drogenabhängige Menschen wichtiger denn je sind, beweist ein Blick in die Statistik: Seit Jahren zeigt in Deutschland der Trend bei Drogentoten nach oben. Laut Bundeskriminalamt waren es 2012 bundesweit 944 Tote. Sieben Jahre später, 2018, waren es schon 1276 Menschen. Den Höchststand gab es 2016 mit 1222 Toten. Die meisten Opfer entfallen auf Bayern, 2017 waren es dort 308 - immerhin ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2016, als es 321 Tote waren. Nicht nur in absoluten Zahlen führt Bayern die Statistik an: Obwohl in Nordrhein-Westfalen knapp fünf Millionen Menschen mehr leben, gab es dort die vergangenen Jahre stets weniger Drogentote als in Bayern.

Substitutionstherapie

Eine Substitutionstherapie ist eine Behandlungsmethode für Menschen, die schwer abhängig von Opiaten oder Opioiden sind. Opiate sind natürliche Stoffe, die aus den Samen des Schlafmohns gewonnen werden. Auf den Konsumenten wirken diese Substanzen schmerzlindernd, euphorisierend und beruhigend. Zu den Opiaten zählt etwa das verschreibungspflichtige Schmerzmittel Morphium oder Opium. Opioide, wie zum Beispiel Tilidin oder Fentanyl, werden synthetisch hergestellt und wirken genauso wie Opiate, nur wesentlich stärker. Heroin, von dem ein Großteil der Substitutionspatienten abhängig ist, ist ein teilsynthetisches Opioid. Im Rahmen einer Substitutionstherapie wird die Droge, von der ein Patient abhängig ist, durch eine andere Substanz ersetzt. Unter ärztlicher Aufsicht erhalten die Betroffenen Opioide wie Methadon, Polamidon oder Buprenorphin. Welcher der Ersatzstoffe zum Einsatz kommt, hängt vom bisherigen Suchtverlauf und -mittel ab. Substitutionsmittel stillen das körperliche Verlangen nach der Droge, von der ein Patient abhängig ist, allerdings ohne einen Rauscheffekt. Die korrekte Vergabe des Ersatzstoffes durch einen Arzt ist wichtig, um zum einen Nebenwirkungen wie Magenprobleme oder Schwitzen so gering wie möglich zu halten und zum anderen bei Notfällen sofort eingreifen zu können. Ein verpflichtender Bestandteil einer Drogenersatztherapie ist die psychosoziale Begleitung durch Wohlfahrtsvereine, wie etwa die Caritas: Sozialpädagogen unterstützen die Betroffenen bei Behördengängen und Arztbesuchen oder bei individuellen Alltagsproblemen, aber auch bei der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und des Suchtverlaufs. In vielen Fällen ist zusätzlich eine therapeutische Behandlung der Patienten sinnvoll. FEJO

Lena Müller-Lorenz von der Ebersberger Caritas erzählt, dass es zum ersten Mal 2016 Gespräche mit der Suchtklinik in Haar gab. Seit 2017 ist zu den regulären Öffnungszeiten der Caritas ein Arzt der Haarer Klinik in Grafing, um Patienten das Substitutionsmittel zu verschreiben und zu verabreichen. Liegt Haar für den Betroffenen günstiger als Grafing, beispielsweise auf dem Arbeitsweg, ist die Behandlung auch für Patienten aus dem Raum Ebersberg dort möglich. Das Besondere in beiden Fällen: Die Klinik und ihre Ärzte sind nicht nur auf Suchtmedizin spezialisiert, sondern auch auf Psychotherapie. "Es ist ja nie so, dass ein Mensch nur drogenabhängig ist und ansonsten pumperlgesund wäre", sagt Ulrich Zimmermann. Er ist in Haar der Chefarzt.

In den meisten Fällen hänge die Sucht mit einer psychischen Erkrankung zusammen. Oft spielen auch Traumata aus der Kindheit wie Missbrauchsvorfälle eine Rolle. "Das sind alles Dinge, die viele Drogenabhängige mit sich herumschleppen", sagt Zimmermann. Ein Griff zu Drogen ist da schnell geschehen. "Die Betroffenen merken, dass es ihnen dadurch besser geht", so der Chefarzt weiter. "Aber eben nur kurzzeitig." Auf lange Sicht verstärke der Drogenkonsum die psychischen Probleme. Das Stichwort, das Zimmermann in diesem Zusammenhang oft in den Mund nimmt, lautet Destabilisierung.

Bislang nehmen etwa 40 Menschen das Angebot der Substitutionsambulanz in Grafing und Haar wahr. "Wir haben da durchaus noch Luft nach oben und können noch mehr Betroffene behandeln", sagt Chefarzt Ulrich Zimmermann. Eine Warteliste gebe es nicht, ergänzt Müller-Lorenz von der Caritas.

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