Süddeutsche Zeitung

Offener Mittagstisch für Senioren in Haar:Alles andere als abserviert

Gemeinsam schmeckt's einfach besser. Deshalb bietet die Nachbarschaftshilfe in Haar jeden Donnerstag einen Mittagstisch für ältere Menschen an. Bis zu 25 Senioren kommen regelmäßig zu der geselligen Runde - und es könnten noch mehr sein.

Von Bernhard Lohr, Haar

Kurt Thalwitzer kennt keine Langeweile. Am Montag Yoga, am Dienstag Kaffeerunde, am Mittwoch Bingo und am Donnerstag der offene Mittagstisch für Senioren. So oder so ähnlich geht das die Woche durch. Und irgendwann kommt dann auch noch die Rummikub-Runde zusammen. Der Rentner aus Haar mag es gerne gesellig und er hat ein fröhliches Gemüt. "Ich bin zwar alleine lebend", sagt er, "aber nicht einsam. Das ist für mich der große Unterschied."

Kurt Thalwitzer sprüht geradezu vor Erzählfreude. Auch die anderen Senioren, die mit ihm im Gemeinschaftsraum der Einrichtung für Betreutes Wohnen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Haar sitzen, plaudern munter.

Bewohner der Awo-Einrichtung freuen sich über neue Gesichter

Es ist eine gemischte Runde, die da an der in frischem Grün und mit Blumen gedeckten Tafel zusammengekommen ist. Seit Ende Januar gibt es den offenen Mittagstisch für Senioren, den vor allem die Bewohner der Awo-Einrichtung an der Peter-Henlein-Straße nahe dem Bahnhof in Haar nutzen. Aber es kommen auch Leute von außerhalb, die einfach einmal in der Woche zu Hause die Küche kalt lassen wollen, denen das Kochen vielleicht zu mühsam geworden ist und die Geselligkeit suchen.

Rita Haaga, Leiterin der Awo-Einrichtung, und Margareta Förster, Geschäftsführerin der Nachbarschaftshilfe Haar (NBH), die gleich nebenan an der Peter-Henlein-Straße die Tagespflege betreibt, haben den offenen Mittagstisch gemeinsam ins Leben gerufen.

Für jemanden wie Kurt Thalwitzer, der noch alleine in einer Wohnung lebt und fast täglich in die Betreutes-Wohnen-Einrichtung kommt, ist dieser eine Bereicherung des Alltags. Ihm gegenüber sitzt Gustel Povel, die vor kurzem erst eines der 60 Appartements im Betreuten Wohnen der Awo bezogen hat. Sie freut sich, dass sie beim Mittagstisch Kontakte zu Mitbewohnern und zu Menschen knüpfen kann, die irgendwo in Haar leben und zu Besuch ins Haus kommen. "Das ist einfach mal Leben, das ist sehr viel wert", sagt sie.

Ehrenamtliche Helfer bedienen die Senioren

Das Essen ist da. "Entschuldigung! Menü 1 oder Menü 2?", unterbricht Edith Steininger sanft die Unterhaltung. Sie ist eine der drei ehrenamtlichen Helferinnen, die beim Mittagstisch die Senioren bedienen. Aber das Ratschen, die Begegnung ist genauso wichtig. "Ich bin einfach die Renate", sagt eine Frau in himmelblauer Joppe, als sie auf ihren Namen angesprochen wird. "Das ist einfacher."

Die Zahl der Senioren wächst in Haar wie in vielen Orten im Landkreis, für den in einer erst kürzlich veröffentlichten Untersuchung nach dem Landkreis Starnberg die zweithöchste Lebenserwartung bundesweit registriert wurde. 84,3 Jahre werden die Landkreisbewohner im Durchschnitt alt. Die Menschen werden älter. Gerade bei den Hochbetagten wird nach Zahlen aus dem seniorenpolitischen Gesamtkonzept des Landkreises bis zum Jahr 2029 mit einer starken Zunahme gerechnet.

Bei der Erhebung im Jahr 2013 wurden 5202 Menschen im Alter von 85 bis 89 Jahren gezählt. Im Jahr 2029 werden es hochgerechnet 11 904 sein, also mehr als doppelt so viele; dazu 5830 Menschen zwischen 90 und 94 Jahren, und 1636 sogar jenseits der 94. 2013 waren es noch 613.

Die Hersausforderungen wachsen mit der Zahl der Alten

Entsprechend den Zahlen wachsen auch die Herausforderungen an die Gemeinden und an die sozialen Organisationen, wie die Nachbarschaftshilfe in Haar und die Arbeiterwohlfahrt. In Haar werden im Jugendstilpark ein weiteres Pflegeheim und eine weitere Einrichtung für Betreutes Wohnen gebaut. Die Hilfsangebote werden ausgeweitet, damit der Wunsch vieler Senioren auf ein möglichst lange selbstbestimmtes Leben Wirklichkeit werden kann. Die Nachbarschaftshilfe bündelt diese unter dem vielsagenden Namen "Betreutes Wohnen zu Hause". "Essen auf Rädern" ist ein wichtiger Aspekt dabei, etwa für Menschen, die alleine ihre Wohnung gar nicht mehr verlassen können. Etwa 35 Haarer werden so mit Essen in zwei Touren beliefert, eine Zahl, die im übrigen seit Jahren konstant ist.

Die Senioren, die im Gemeinschaftsraum der Betreutes-Wohnen-Einrichtung der Awo, in denen jeder eine eigene Küche hat, am Mittagstisch sitzen, sind dagegen überwiegend selbständig. Sie versorgen sich noch weitgehend selbst. Kurt Thalwitzer ist sonst sogar selbst einer, der Hilfsbedürftigen zur Seite steht. Er fährt gerne Auto und bringt, worauf er wert legt, aus "Gefälligkeit" schon mal Senioren zu Terminen. Am Mittagstisch wird er bedient von Edith Steininger, die auch schon in Rente ist, aber schon seit Jahren da und dort älteren Menschen hilft. "Ich mag alte Leute", sagt sie, "weil sie so dankbar sind."

Sie hat sich um zwei an Demenz erkrankte Tanten gekümmert, heute noch geht sie regelmäßig ins Maria-Stadler-Seniorenheim. Sie besucht dort eine "alte Dame", wie sie sagt, und betreut außerdem eine "autistische Dame". "Mir selber bringt das was", sagt sie. Sie mache das gerne und irgendwann, sagt sie, werde sie ja selbst auf Hilfe angewiesen sein. Natürlich hoffe man, dann auch jemanden zu haben.

Fürs Essen auf Rädern kocht derselbe Koch

Die Senioren beim offenen Mittagstisch werden von ihr, Ute Lohmann und Uschi Woywode an der geschmackvoll gedeckten Tafel freundlich bedient. Die drei Frauen gehen von einem zum anderen, fragen nach dem Essens- und nach dem Getränkewunsch. Es gibt Kalbsrahmgulasch mit Salat oder auch Germknödel mit Vanillesoße - für jeweils 4,95 Euro. Getränke gibt es für einen geringen Aufpreis dazu. Das Essen liefert der Brams-Veranstaltungsservice an der Hans-Pinsel-Straße in Haar und damit dieselbe Firma, die auch für das "Essen auf Rädern" der Nachbarschaftshilfe kocht.

"Wir wollten ein Angebot schaffen für Haarer, die noch mobil sind", erklärt dazu NBH-Geschäftsführerin Margareta Förster. 15 Personen sind an diesem Donnerstag da, manchmal sind es auch 25. Der Großteil kommt vom Betreuten-Wohnen der Awo, einige sind von außen dazugestoßen. Es könnten noch mehr sein, findet Förster und hofft, dass das neue Angebot noch weiter bekannt und stärker genutzt wird.

Als das Essen auf dem Tisch steht, wird es leiser im Raum. Das Besteck klappert. Es schmeckt offenkundig auch. Die "Kunden" seien schon anspruchsvoll, sagt Förster. Wenn es Spinat gebe, dann komme der eine oder andere auch mal nicht. Und so wird geschaut, dass auch die Speisekarte zum offenen Mittagstisch lockt. Der Rest ergibt sich dann. Eine Gruppe der Senioren bleibt hinterher regelmäßig sitzen. Dann werden die Karten ausgepackt und es wird gespielt.

Wer donnerstags von 12 bis 13 Uhr zum wöchentlichen offenen Mittagstisch in Haar kommen will, kann sich jederzeit bei der Nachbarschaftshilfe anmelden. Treff ist im Gemeinschaftsraum des Betreuten Wohnens der Arbeiterwohlfahrt, Peter-Henlein-Straße 36, Telefon 089/14 33 64 90, E-Mail info@nbh-haar.de.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2016
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