Gesundheit:"Erfind' doch mal was, damit die Leute sich nicht kaputt sitzen im Büro"

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Josef Glöckl hat trotz vieler Rückschläge daran geglaubt, dass sein Swopper sich durchsetzen würde. (Foto: Sebastian Gabriel)

Josef Glöckl hat mit seiner Haarer Firma Aeris den Bürostuhl revolutioniert. Sein "Swopper" ist ein federnder, in alle Richtungen beweglicher Hocker, der die Rückenmuskulatur fordert und fördert.

Von Lara Jack, Haar

Wieder ein langer Tag am Schreibtisch, der Rücken schmerzt und der Nacken noch mehr. Ob es an der gekrümmten Körperhaltung lag? Dem stundenlangen Sitzen? Schnell kommt man zum Schluss: Wahrscheinlich ist der Bürostuhl schuld an der Misere. Schaut man sich dann im Internet nach einem besseren, noch ergonomischeren Modell um, stößt man immer wieder auf das gleiche Angebot: Schicke, futuristische Bürostühle mit interessant geformten Rückenlehnen, breiten Armlehnen und gemütlicher Kopfstütze. Muss man also nichts anderes tun, als sich in seinem dreifach belehnten Stuhl zurückzulehnen und die Beschwerden verschwinden von allein?

Ein gefährlicher Irrglaube, erklärt Josef Glöckl, Geschäftsführer der Firma Aeris aus Haar. "Je besser der Rücken durch besonders ergonomisch geformte Rückenlehnen gestützt ist, desto mehr verkümmert die Muskulatur. Denn ein Muskel, den man nicht benutzt, baut ab", sagt er. Daher kämen dann die Rückenbeschwerden. Seine Lösung: der "Swopper" mit 3D-Bewegungstechnologie. Und der sieht so überhaupt nicht nach dem klassischen Bürostuhl aus: ein rundes Sitzpolster, unterhalb das Federbein und ein Fußring - entweder mit oder ohne Rollen. Auf den ersten Blick ein etwas eigentümliches Büromöbel, aber schon der Probesitz überzeugt.

Den Hocker gibt es auch für Kinder. (Foto: Claus Schunk)

Die Sprungfeder verleitet einen zum Auf- und Ab-Wippen oder auch "swoppen", wie Erfinder Glöckl es nennt. Egal bei welcher Bewegung - nach vorne, hinten oder zur Seite - das Sitzpolster bewegt sich mit. Dadurch bleibt der Rücken stets aufrecht. "Die Natur hat uns fürs Laufen, Springen und Klettern konzipiert, aber nicht zum starren Sitzen", sagt der Unternehmer, der in seiner Freizeit gerne medizinische Fachliteratur verschlingt. Darum auch der Firmen-Slogan "Never just sit!", an den sich der 78-Jährige selbst streng zu halten scheint. Um seine Erzählungen zu untermalen, geht er in die Hocke, joggt durch den Raum oder federt auf dem Swopper auf und ab.

"Erfind' doch mal was, damit die Leute sich nicht kaputt sitzen im Büro."

Nach Haar zog es den gebürtigen Wiener vor langer Zeit wegen der Liebe. Damals hatte er schon "mit Zähneknirschen" und auf das Drängen seines Vaters hin das Studium zum Bauingenieur absolviert. Als er in die Wohnung seiner Frau in Haar einzog, studierte er gerade Wirtschaftsingenieurswesen, diesmal jedoch aus eigenem Willen. In seinem Ingenieurbüro widmete er sich später vielen Projekten für die Entwicklungshilfe. Glöckl lebt heute noch zusammen mit seiner Frau im Landkreis München, seit 1977 allerdings in Kirchheim. Auch das Unternehmen wanderte zwischen Kirchheim, Haar und verschiedenen Räumlichkeiten umher, bevor es vor sechs Jahren an die Hans-Stießberger-Straße in Haar zog.

Glöckls Frau war es auch, die als Osteopathin und Physiotherapeutin maßgeblich zur Erfindung des Swopper beitrug. Bei einem Abendspaziergang im Jahr 1990, erzählt Glöckl, bat sie ihn, doch endlich etwas gegen diese lästigen Rückenschmerzen zu unternehmen, mit denen sich viele ihrer damaligen Patienten herumschlugen und die auch ihn selbst plagten. Da habe sie zu ihm gesagt: "Erfind' doch mal was, damit die Leute sich nicht kaputt sitzen im Büro." Glöckl nahm die Herausforderung an und überlegte, wie ein idealer Sitz beschaffen sein müsste. Viel medizinisches Wissen habe er sich dafür angeeignet, sagt er, auch weil es ihn "saumäßig" interessiert habe.

Josef Glöckls Unternehmen bietet inzwischen auch einen zweigeteilten Schreibtisch an, an dem man auch im Stehen arbeiten kann. (Foto: Claus Schunk)

Bei der Entwicklung des Swoppers waren ihm drei Funktionen besonders wichtig: Der Hocker sollte federn, sodass die Bandscheiben beim Schwingen mit Nährflüssigkeit versorgt werden würden. Auch sollte der Sitz in alle Richtungen beweglich und ohne Lehne sein, zum Aufbau der Rückenmuskulatur. Und er sollte eine aufrechte Sitzhaltung fördern - für eine tiefere Atmung, die dann eine bessere Konzentration zum Effekt hätte. "Je besser die Sauerstoffsättigung, desto besser funktioniert das Gehirn", sagt Glöckl. Fünf Jahre und viele abenteuerliche Entwürfe später gab es dann acht Prototypen. "Ich war so überzeugt, dass die Menschheit ihn braucht, diesen Sitz", sagt Glöckl. "Dann hätte ich eine Lizenzgebühr bekommen und wäre Golf spielen gegangen" - so der Plan.

Seine Anfragen blieben aber ohne Erfolg, keiner wollte seinen Swopper. Ans Aufgeben war für Glöckl damals aber nicht zu denken, hatte er doch zu diesem Zeitpunkt schon fast 1,6 Millionen Mark in das Produkt investiert. Statt den Swopper gab er also sein Ingenieurbüro auf und ließ den Bürohocker selbst fertigen. Den stellte er dann auf Messen aus und wurde zu Beginn noch verlacht für "die Hüpferei". 20 Jahre habe es gedauert, sagt Glöckl, bis die Leute gemerkt hätten, dass Bewegung das beste Gegenmittel gegen Rückenschmerzen sei. Inzwischen boomt das Geschäft mit dem Swopper und die Firma beliefert die ganze Welt.

Die Fußmatte "Muvmat" soll einen Waldboden simulieren. (Foto: Claus Schunk)

Das Sortiment wurde ausgebaut. Eine Neuheit ist der "Active Office Desk", ein höhenverstellbarer Schreibtisch mit zwei unterschiedlich hohen Platten. Die Idee dahinter: Ein möglichst häufiger Wechsel zwischen Stehen und Sitzen während eines langen Bürotages, um fit und konzentriert zu bleiben. Für die Arbeiten, die im Stehen erledigt werden können, kommt dann die Stehmatte "Muvmat" zum Einsatz. Sie soll mit ihrer besonderen Struktur den Waldboden nachahmen und der Ermüdung beim langen Stehen entgegenwirken. Als Weiterentwicklung des Swoppers gibt es inzwischen auch noch den Stehsitz "Muvman", der an einen Barhocker erinnert, aber die Bewegungselemente des Swoppers integriert hat.

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Innovativ ist das Aeris-Sortiment allemal, dafür werden allerdings auch stolze Preise fällig. Ein Swopper kann je nach Modell zwischen 600 und 700 Euro kosten. Der Office Desk liegt preislich bei 899 Euro, die Stehmatte gibt es für 199 Euro und den Stehsitzer für 419 Euro. Die Produkte können online individuell konfiguriert werden, etwa nach Farbe, Bezugsstoff, Höhen- und Federeinstellungen. Die Preise rechtfertigt Glöckl mit hohen Ansprüchen in der Produktion an Qualität, Technik und Dauerhaftigkeit - außerdem werde in präziser Handarbeit gefertigt. Warum eine solche Investition sinnvoll ist, begründet Glöckl so: "Sie tun sich selbst was Gutes und ihrer Lebensqualität."

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