Günter W.:Nie verurteilt - und trotzdem "Straftäter"

Er ist 65 Jahre alt, Arzt im Ruhestand und noch nie verurteilt worden. Die Polizei führt Günter W. dennoch als Kriminellen. Sein Status: "Linksmotivierter Straftäter".

Bernd Kastner

Für einen Straftäter wirkt er sehr seriös, erst recht für einen "linksmotivierten Straftäter". Ein solcher ist Günter W., glaubt man der Polizei. Dass der Arzt im Ruhestand, 65 Jahre alt, graue Haare, modische Brille, ordentliches Jackett, linksmotiviert handelt, wenn er auf seine Art gegen Neonazis protestiert oder gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, ist nachvollziehbar. Jetzt aber hat er erfahren, dass er im Bayerischen Kriminalaktennachweis als "Straftäter" geführt wird. Dabei wurde W. noch nie verurteilt, er habe noch nie einen Euro Strafe zahlen müssen, versichert er.

Acht "Delikte" W.s sind gelistet, unter anderem: Anzeige wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung; wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung; wegen Missbrauchs von Titeln, Berufsbezeichnungen, Abzeichen; wegen Volksverhetzung und Beleidigung; wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz; wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. Sie reichen von 1987 bis 2009. Kein Verfahren aber endete mit einer Verurteilung, bislang wurde immer eingestellt oder W. freigesprochen, und so steht im Bundeszentralregister: keine Einträge.

Warum ist er dann für die Polizei ein "Straftäter"? "Er muss nicht rechtskräftig verurteilt sein", sagt ein Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA), die Datei basiere auf Polizeirecht. Das LKA verwaltet die Datei und schrieb kürzlich an W.: Es genüge, wenn eine Person "verdächtig" gewesen sei. Dazu komme, heißt es im Münchner Polizeipräsidium, das die "Delikte" ans LKA meldet, dass diverse Verfahren gegen W. wegen "geringer Schuld" eingestellt wurden, sprich: schuldig ist er, wenn auch nur ein bisschen. Gegen eine solche Einstellung durch die Staatsanwaltschaft kann ein Bürger sich nicht wehren, "geringe Schuld" wird nicht von einem Gericht geprüft.

Gelöscht werde ein Eintrag in der Akte nur dann, wenn die Unschuld eines Verdächtigen erwiesen sei, erklärt die Polizei. Und dass man den Hinweis "linksmotiviert" tilge, das sieht man im Falle W. gar nicht ein. Schließlich sei W. über Jahre "mit politisch motivierten Delikten in Erscheinung" getreten. Solche Taten fließen in die Polizeistatistik ein.

Zuletzt hatte W. zwei Tomaten auf Neonazis geworfen, die durch die Stadt marschiert waren. Er sieht darin "eine Form des Widerstands" gegen Menschenverachtung. W. wurde sofort festgenommen und die Tüte mit den restlichen Tomaten, die er gerade gekauft hatte, beschlagnahmt. Zunächst wollte das Amtsgericht das Verfahren einstellen gegen eine Geldauflage von 900 Euro. Als W. dies nicht akzeptierte, sollte er im Rahmen eines Strafbefehls 1800 Euro zahlen (30 Tagessätze zu 60 Euro). Auch das akzeptierte W. nicht, es kam zum Prozess. Die Richterin stellte das Verfahren ein, auf Kosten der Staatskasse. W. aber muss mit der Eintragung als "Straftäter linksmotiviert" leben. Nur wenn zehn Jahre nichts ans LKA gemeldet werde, wird gelöscht. Wird diese Frist nur ein wenig unterschritten, bleibt auch, wie bei W., ein Vorgang von 1987 gespeichert.

Während die Polizei betont, wie wichtig der "Kriminalaktennachweis" zur Gefahrenabwehr sei, und dass das dort Gespeicherte ja nicht nach außen kommuniziert werde, sieht sich Günter W. kriminalisiert: "Ich bin kein Straftäter, sondern gehe für etwas auf die Straße, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte für alle Bürger."

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