Am liebsten würde er den Begriff Betreuung „versenken“, hat Jörg Ramseger, emeritierter Professor für Schulpädadgogik an der Freien Universität Berlin, gesagt. Er hielt beim Grundschultag des Grundschulverbands Bayern, der am Wochenende im Pullacher Bürgerhaus stattfand, einen Impulsvortrag. Damit setzte Ramseger gleich den Akzent der Fortbildungsveranstaltung, die seit Längerem wieder im Münchner Raum stattfand und unter dem Titel „Nachhaltig und fairtieft lernen – Bildungsräume der Zukunft“ stand: Es muss um Bildung gehen, nicht um Betreuung.
Organisiert wurde der Tag, an dem rund 200 bayerische Grundschullehrer sowie wenige Erzieherinnen und Eltern teilnahmen, von der Baierbrunner Grundschulrektorin Konstanze von Unold, die zugleich Vorsitzende der Landesgruppe Bayern im Grundschulverband ist, zusammen mit zwei Vorstandskollegen und dem Rektor der Grundschule Pullach, Anton Höck. Dieser ist selbst seit 30 Jahren Mitglied in dem Verband, der sich für die Weiterentwicklung der Grundschule einsetzt, und sprach im Anschluss mit der SZ über die Veranstaltung.
Ramseger ist Mitherausgeber des Buchs „Lernräume und Schularchitektur“, das sich mit Klassenzimmern der Zukunft beschäftigt. In seinem Vortrag ging es laut dem Pullacher Rektor darum, wie Räume im Ganztagsunterricht pädagogisch zu gestalten sind. Ramseger habe betont, dass von 2026 an ein Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung garantiert werde und nicht bloß auf Betreuung. Es gehe also um Bildung. Eine „Flurschule“ mit eng getakteten 45-Minuten-Einheiten, die noch aus dem Industriezeitalter stammten, habe sich im Informationszeitalter, in dem ganz andere Kompetenzen gefragt seien, überholt. „Es sind mehr kommunikative und kooperative Kompetenzen erforderlich“, sagte Höck.
Moderne Schulhauskonzepte sähen vor, dass Unterrichtsräume etwa durch flexible Wände und Fenster in den Flur variabel genutzt werden könnten. Das passt zu Überlegungen vieler Schulen, wie aktuell auch an der Grundschule Pullach: Dort sollen durch teilweise transparente Lernboxen und eine Art Marktplatz offene Lernsituationen geschaffen werden. Der Pullacher Rektor sieht durch den Vortrags Ramsegers eine „ermutigende Atmosphäre zur Neu- und Umgestaltung von Bildungsräumen“ gesetzt. Das Feedback der Teilnehmer bestätige dies: „Bildung statt Betreuung“ und „Mutig Räume umgestalten“ lauteten einige Schlussfolgerungen.
In anschließenden Workshops vertieften die Teilnehmer des Grundschultags einzelne Themen: etwa praxisnahe und didaktische Angebote zum Lesen und Schreiben oder zu mathematischen Basisfähigkeiten in heterogenen Lerngruppen. Besonders gut besucht war der Workshop zum „Churer Modell“, das von dem Schweizer Unterrichtsentwickler Reno Thöny stammt. Es sieht einen Abschied vom frontalen Unterricht vor. Durch ein Umstellen der Möbel werden Lernzonen im Klassenzimmer neu akzentuiert. Zentral ist eine Art Stuhlkreis in der Mitte, in der Lerninhalte eingeführt werden. Zum Arbeiten setzen sich die Schüler an Arbeitsplätze an den Rändern. Das von der Taufkirchner Grundschullehrerin Jennifer Buys präsentierte Konzept setze im Unterrichtsalltag um, was Ramseger als relevant betrachte, findet der Pullacher Schulleiter Höck. Jetzt muss es nach Ansicht von Lehrerinnen und Lehrern nur noch umgesetzt werden.