Grünwald:"Wir dürfen uns nicht umarmen. Das soll die Musik tun."

Grünwald: Ein Duo, das wunderbar dialogisiert: Das Konzert von Jacques Ammon (links) und Eckart Runge in Grünwald war wohl eines der letzten für längere Zeit.

Ein Duo, das wunderbar dialogisiert: Das Konzert von Jacques Ammon (links) und Eckart Runge in Grünwald war wohl eines der letzten für längere Zeit.

(Foto: Claus Schunk)

"Runge & Ammon" spielen in Grünwald neben Beethoven Avantgardistisches von Zappa, Bowie und Hendrix - das Konzert umweht Abschiedsstimmung

Von Udo Watter, Grünwald

Ein Stück, so voller Innigkeit, dass es seinen eigenen Schöpfer immer wieder zu Tränen bewog. Ein Stück, dass seit 1977 an Bord der Raumsonde "Voyager" durch die interstellaren Räume reist, um eventuell Außerirdische mit den Kronen menschlicher Musik zu beglücken. Ein Stück, dessen Mittelteil die merkwürdige Ausdrucksangabe "wie beklemmt" trägt - und als Cellist Eckart Runge an dieser Stelle die stockenden Achtel mit zarter Verletzlichkeit in den Raum streicht, wirkt sein ganzer Körper wie eine einzige Ergriffenheit. Beethovens "Cavatina" aus dem Streichquartett op. 130 in B-Dur, gehörte zu den Lieblingsstücken des Komponisten, das er kurz vor seinem Tod schrieb - und wie Runge und sein Partner am Flügel, Jacques Ammon, dieses so raffiniert reduzierte wie schmerzhaft schöne Werk in Grünwald vortrugen, dürfte niemand unberührt gelassen haben.

Die beiden Protagonisten und mit ihnen wohl auch das Publikum im August-Everding-Saal waren an diesem Abend ohnehin einen Tick emotionaler gestimmt als zu normalen Zeiten. Der Saal war nur gut zur Hälfte gefüllt, obwohl das Konzert ausverkauft war, Folge der Corona-Krise. "Wir sind sehr gerührt, dass sie gekommen sind. Wir wissen, wie heikel es ist. Wir dürfen uns nicht umarmen. Dafür soll uns heute die Musik umarmen" sagt Runge.

Der gebürtige Heidelberger war bis 2019 Cellist des Artemis Quartetts, inzwischen widmet er sich primär musikalischen Grenzüberschreitungen von Klassik, Jazz und Filmmusik. Mit Jacques Ammon, als Kind deutsch-chilenischer Eltern in Santiago geboren, verbindet ihn eine lange kammermusikalische Liaison, das Duo "Runge & Ammon" gibt es seit 1997 und war auch schon früher in Grünwald.

Dem Beethovenjahr 2020 widmeten sich die beiden Künstler, die neben technischer Virtuosität und musikalischer Neugier auch immer wieder wunderbare Arrangements für Cello und Klavier schaffen, auf ihre originelle Art: Unter dem Motto "RollOverBeethoven" stellten sie dem großen Komponisten, der in seiner Zeit zugleich Popstar wie Rebell war und eine experimentelle "Speerspitze der Musikgeschichte" Werke von modernen Ikonen gegenüber, die avantgardistisch waren - alles Künstler, die Grenzen sprengten. Von David Bowies düster-experimentellen Klangkunstwerk "Warszawa" über Jimi Hendrix' psychedelischen Blues-Klassiker "Purple Haze" und dem coolen reduktionistischen Jazz von Miles Davis bis zum abgefahrenen "Bebop Tango" Frank Zappas. Großartig, wie Ammon und Runge die verschiedenen Möglichkeiten der Klangentfaltung ihrer Instrumente nutzten - lyrische, perkussive, Pizzikato, scharfe Akkorde, leise wieherndes Streichen - um diese vielfältigen tonalen Welten zu schaffen. Und kein Wunder, dass zwei erlesene Musiker, die sich so lange kennen, wunderbar dialogisieren. Nicht immer spielt das Cello die erste Geige, auch Ammon übernimmt ab und an die Artikulation wesentlicher Motive. Zwei Kleinode waren an dem Abend auch zu entdecken mit Nikolai Kapustins "Elegy" und seiner "Burlesque". Der 1937 in der Ukraine geborene Komponist verbindet virtuos Jazz und Klassik, ist quasi ein musikalischer Nachfahre Gershwins. Aus dem Jazz schöpfend, aber sich der Improvisation verweigernd, würzt er sein rhythmisch vertrackten Werke mit Schwermut und Verschmitztheit. Auch die Beethoven-Werke, die an diesem Abend erklangen, waren auf ihre Art avantgardistisch und überforderten zu ihrer Zeit teils das Publikum. Besonders schön gelang dem Duo seine Sonate für Klavier und Violoncello Nr. 4, die bei aller konzentrierten Reduktion, den Musikern große Möglichkeiten der Phrasierungskunst und Klangfarbengestaltung ermöglichte. Eindrucksvoll auch der Vortrag von Adagio und Fuge aus der Klaviersonate Nr. 31. Und es passte, dass am Ende eines Abends, der von Abschied umweht wurde - solche Konzerte werden so schnell nicht mehr stattfinden - Runge und Ammon noch mal die wehmütige "Cavatina" als Zugabe spielten.

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