Tafeln:Die Regale werden leerer, die Schlangen länger

Lesezeit: 3 min

Noch gibt es genug, aber die Tafeln verzeichnen, wie hier in Grünwald, einen stärkeren Andrang von Bedürftigen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Lebensmittelausgaben bekommen den Krieg in der Ukraine gleich doppelt zu spüren: Durch die Geflüchteten und die steigenden Preise haben sie mehr Kundschaft, gleichzeitig gehen die Spenden zurück.

Von Lara Jack, Landkreis München

Vor dem Haus der Begegnung in Grünwald biegen sich am Donnerstagmorgen die Bäume, der strahlend blaue Himmel trügt. Mit hochgezogenen Kapuzen und bunten Mützen schützen sich die ersten Besucher der Grünwalder Tafel vor dem Wind und warten geduldig auf den Einlass zur Ausgabe um 11 Uhr. Hinter den Türen laufen unterdessen die Vorbereitungen auf Hochtouren: Kisten werden ausgepackt und Regale befüllt, es herrscht betriebsame Stimmung. Tobias Sicheneder, der Geschäftsführer der Nachbarschaftshilfe Grünwald, welche die Lebensmittelausgabe betreibt, rechnet mit großem Andrang. Ungefähr 80 Haushalte würden aktuell von der Einrichtung versorgt, eine Zahl, die durch die Ankunft von Geflüchteten aus der Ukraine deutlich angestiegen sei. "Vorher waren es mindestens ein Drittel weniger", sagt Sicheneder.

Das ist für die Grünwalder Tafel aber nach seinen Worten wider Erwarten nicht weiter dramatisch. Lebensmittel bekämen sie genug aus diversen Supermärkten der umliegenden Gemeinden und aus Grünwald selbst. Auch ist die Spenden- und Hilfsbereitschaft so groß, dass Fehlendes zugekauft werden könne, erklärt Sicheneder. Nichtsdestotrotz sei die neue Situation "herausfordernd".

Während die Tafel in Grünwald ihren Zuwachs an Kunden zumindest noch gut zu bedienen weiß, haben andere Tische im Landkreis München durchaus mit dem erhöhten Besucheraufkommen und den gestiegenen Lebensmittelpreisen in Folge des Ukraine-Krieges zu kämpfen. So berichtet Karin Wolf vom Würmtal-Tisch, der unter anderem Bedürftige aus den Gemeinden Gräfelfing, Planegg und Neuried versorgt: "Die Auswirkungen der Preissteigerungen sind bei uns sehr spürbar. Wir merken, dass wir weniger erhalten und auf Nachfrage bei den Geschäften wurde uns mitgeteilt, dass sie die Waren teilweise selbst nicht herbekommen."

Die Sorge: Durch die wachsende Konkurrenz könnte "böses Blut" entstehen

Mit dem Rückgang der Lebensmittelspenden gehe zudem gleichzeitig ein erheblicher Anstieg an Bedürftigen und Berechtigten einher. Von einer bis zur anderen Woche wisse man nicht, wie es laufen werde - trotz der Voranmeldungen. Das übersteige deutlich die üblichen Kapazitäten, beklagt Wolf. Ähnliche Zustände sind auch aus dem Norden des Landkreises zu hören. Rudolf Frankl, der Sprecher des Oberschleißheimer Tischs, beobachtet ebenfalls, dass die Lebensmittelspenden weniger werden. Die Entwicklung sei zwar noch nicht gravierend, aber deutlich spürbar. "Gleichzeitig hat zwar nicht unbedingt die Zahl der Berechtigten zugenommen, die herkommen dürfen, aber die, die ein Anrecht haben, kommen deutlich regelmäßiger", sagt Frankl.

Die Mitversorgung der ukrainischen Flüchtlinge können die Tische, die von der Caritas organisiert und von Ehrenamtlichen betreut werden, bisher nicht leisten. Es sei schwierig, erklärt Frankl, die ohnehin schon relativ beschränkte Menge, die sie zur Verfügung hätten, noch weiter aufzuteilen. "Dadurch könnte ungutes Blut in Richtung Flüchtlinge verursacht werden", befürchtet er. Um neben den Stammgästen noch die Versorgung der Geflüchteten stemmen zu können, seien daher zusätzliche Mittel notwendig.

Vor dem etwas versteckt liegenden Seiteneingang der Grünwalder Tafel finden sich an diesem Vormittag unterdessen vermehrt Gruppen von Wartenden ein, die sich angeregt unterhalten. Ab und zu hört man ein Lachen, gesprochen wird vor allem ukrainisch. Die Besucher sind ausgestattet mit leeren Rucksäcken und Taschen, die darauf warten, befüllt zu werden. Und zum Befüllen gibt es Allerlei, die Regale im Ausgaberaum sind mannigfaltig ausgestattet. Zwischen den Dingen des täglichen Bedarfs verstecken sich auch kleine Besonderheiten wie glasierte Gebäckstücke oder eine Sammlung von Plüschtieren für die kleinen Tafelgäste. Zusätzlich zur Grundausstattung wird also auch ausgegeben, was Freude macht - oder wie Sicheneder sagt: "A bissl was fürs Herz."

Neben dem Herz soll aber auch der Magen in Grünwald nicht leer ausgehen. So wird den Tafelgästen angeboten, im Anschluss an die Ausgabe montags und donnerstags im Treffpunkt nebenan eine warme Mahlzeit einzunehmen. Um dieses Angebot auch den Flüchtlingen aus der Ukraine zugänglich machen zu können, seien wieder Spenden akquiriert worden, so Sicheneder. Geldspenden sollen helfen, den Rückgang an gespendeten Naturalien auszugleichen.

Vor dem Tafelladen in der Tobruksstraße 2 in Grünwald stapeln sich leere Obstkartons. (Foto: Sebastian Gabriel)

Das gilt auch anderswo im Landkreis. "Ich merke auch, dass wir weniger Lebensmittel aus den Supermärkten bekommen", sagt Eugenia Neumann, Vorsitzende der Tafel Kirchheim-Heimstetten. "Dafür spenden die Leute vermehrt. Wir haben einen Aufruf gestartet und die Gemeinde hat uns sehr unterstützt." Von dem gespendeten Geld sollen vor allem haltbare Lebensmittel zugekauft werden, die von Supermärkten üblicherweise nicht an die Tafeln weitergegeben werden. Begehrte Güter wie Sonnenblumenöl gibt es derzeit allerdings auch für die Tafelgäste nicht, konstatiert Neumann.

Und das gilt ebenso für die Grünwalder Tafel: von Öl und Weizenmehl keine Spur. Doch am Ende der Ausgabe am Donnerstag haben zumindest die Plüschhasen neue junge Besitzerinnen gefunden, die mit einem Strahlen im Gesicht und dem neuen Begleiter unterm Arm das Haus der Begegnung verlassen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusImmobilienmarkt für Studenten
:Über 40 Prozent mehr fürs Wohnheimzimmer

Ein Unternehmen erntet viel Lob für den Bau bezahlbarer Studentenwohnungen in Unterföhring und erhält Unterstützung vom Staat. Gut zehn Jahre später hebt es die Miete auf fast 30 Euro pro Quadratmeter an. Die Gemeinde bezeichnet die Mieterhöhungen als "Wahnsinn".

Von Bernhard Lohr

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: