Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Rückschnitt mit fatalen Nebenwirkungen

Artenschützer beklagen, dass der Kraftwerk-Betreiber Uniper am Isarkanal regelmäßig Bäume und Sträucher kappt, die für seltene Tiere wichtig sind. Das Unternehmen beruft sich auf seine Sicherungspflicht für die Dämme.

Von Michael Morosow, Straßlach-Dingharting

Das Verhältnis zwischen den Betreibern des Isarkraftwerks Mühltal und örtlichen Naturschützern ist seit jeher angespannt. Im Feuer stehen dabei meist "Maßnahmen zur Verkehrssicherung" des Unternehmens, sprich Baumfällungen mit schweren Geräten entlang des Isarkanals in den Auwäldern im Landschaftsschutzgebiet zwischen Wolfratshausen und Grünwald. Umweltgruppierungen und Spaziergänger brandmarken diese Eingriffe in die Natur ein ums andere Mal als unverantwortliche Rodungsaktionen, die eine Spur der Verwüstung hinterließen. Die Kraftwerksbetreiber, vormals die Bayernwerke und Eon, seit 2016 Uniper, verweisen ebenso regelmäßig auf DIN-Norm 19700 für Stauanlagen, die ein Freistellen der Dämme von Gehölzbewuchs vorschreibt.

Diese Entwicklung verfolgt Robby Hirtl, Wirt und Besitzer des Ausflugslokals Gasthaus Mühltal, über dem er auch wohnt, nun schon seit mehr als 30 Jahren aus nächster Nähe. Dass die Stabilität des Dammes durch das Entfernen von Gehölzen gesichert werden müsse, das verstehe er. Die Kraftwerksbetreiber aber ließen auch abseits der Dämme seit jeher Bäume fällen. "Zuerst die großen, und wenn die weg sind, die kleineren." Irgendwann könnten sie mit dem Rasenmäher drüberfahren. "Hier stehen kaum noch alte, knorrige Bäume, dieses Paradies wird mit dem Harvester kaputtgemacht", sagt Hirtl und legt circa sieben Jahre alte Fotos auf den Tisch, auf denen Kanal und Isar tatsächlich von mehr Grün gesäumt sind. Was ihn derzeit aber ebenso umtreibt, sind die kürzlich vorgenommenen radikalen Rückschnitte selbst von Weiden, Palmkätzchenbäumen sowie Holunder- und Haselnusssträuchern. "Die erste Nahrung im Jahr für Insekten - brutal niedergemäht", sagt Hirtl.

Wie er klagen auch Manfred Siering, stellvertretender Vorsitzender der Bund-Naturschutz-Kreisgruppe München und Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, sowie Erich Rühmer, bis 2020 Vorsitzender des Isartalvereins, über den ihrer Meinung nach unnötigen Kahlschlag in sensiblen Bereichen des Isartals. Siering zählt eine ganze Reihe von Tieren auf, deren Lebensraum durch die Rodungen zerstört wird. In sekundären Baumarten wie Hasel und Weide finde die Hummelkönigin die erste Nahrung, bevor sie ihre Eier in Mäusebauten lege. "Jedes Mal wenn ich eine Hasel wegschneide, nehme ich Hummeln die Nahrung weg", sagt Siering. Hecken seien unter anderem ein Dorado für Fledermäuse, die dort nachtaktive Insekten vorfänden, und natürlich auch für die ganze Palette von Singvögeln, die im Isartal zuhause sei. Der seltene Uhu habe hier sein Jagdrevier, und wenn alte Baumriesen gefällt würden, bedeute dies für ihn und andere Arten wie etwa den Schwarzspecht eine Beeinträchtigung des Lebensraumes.

Der Naturschützer erinnert dabei an die Folgen groß angelegter Fällaktion im Winter 2018/19 an einer Hangkante im Mühltal neben der Sankt-Ulrichs-Kapelle, haarscharf neben dem Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH-Gebiet). Für diese Aktion habe allerdings nicht Uniper verantwortlich gezeichnet, sondern das Familienkonglomerat Finck und Winterstein, das riesige Flächen im Isartal besitze, auf denen sie überwiegend Energiemais anbaue. 30 bis 40 Buchen, 150 bis 200 Jahre alte knorrige Baumriesen, waren damals gefällt worden, was in der Bevölkerung, gerade in Grünwald, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst habe. "Aber wenn die Bäume gefällt sind, sind sie weg - mitsamt allen Spechthöhlen. Der Schwarzspecht ist seitdem nicht mehr gesehen worden, der kommt auch nicht mehr", sagt Siering. Dabei hätte dieser "wunderbare Buchenwald-Saum" seiner Überzeugung nach noch Jahre, wenn nicht Jahrhunderte stehen können und nicht in einem Sägewerk landen müssen.

Gerade auch um solchen Eingriffen in die Natur vorzubeugen, kauft der im Jahr 1902 gegründete Isartalverein jedes Grundstück links und rechts der Isar, das angeboten wird. 122 Grundstücke besitzt der Verein mittlerweile zwischen Grünwald und Lenggries. 80 Hektar sind Waldflächen, 64 Hektar Wiesen. Die Wiesen renaturiert der Verein entweder zusammen mit dem Landesbund für Vogelschutz, oder er verpachtet sie zu günstigen Preisen an Bauern, die das Land nur unter strengen Auflagen bewirtschaften dürfen. Schäftlarns Altbürgermeister Erich Rühmer hat in den 17 Jahren, da er dem Isartalverein vorstand, schon mehrere Male wegen radikaler Rückschnitte von Sträuchern und Büschen einen Strauß mit den wechselnden Kraftwerksbetreibern ausgefochten. Auf seine Beschwerden hin, so sagt Rühmer, sei er jedes Mal mit einer allgemeinen Antwort abgefunden worden. Die Rückschnitte seien aus Gründen der Verkehrssicherung notwendig, sei ihm stets mitgeteilt worden.

Uniper-Sprecher Theodor Reumschüssel erklärt auch die jüngsten Fällungen und Rückschnitte mit der Verpflichtung des Unternehmens, keinen Gehölzbewuchs an Dämmen zuzulassen. Die Wurzeln schädigten den Deichaufbau, sodass Wasser eindringen könne, sagt Reumschüssel. Man dürfe aber auch nicht übersehen, dass mehrere Ausholzzungsstrecken eine Bannwaldfunktion hätten und diese durch heranwachsende Bäume besser erfüllt würden. Die mit der Verkehrssicherung beauftragten Fremddienstleister hätten den klaren Auftrag, nichts wegzuschneiden, wenn es nicht unbedingt nötig sei, sondern mit Maß und Ziel vorzugehen. "Wir prüfen wirklich jeden Baum", sagt der Uniper-Sprecher, aber es könne sein, dass bei Gebüschen nach vier bis fünf Jahren "stark hingelangt wird." Stark hinlangen heißt dabei im Fachjargon "auf Stock Setzen", also einen Rückschnitt bis zu zehn Zentimeter über der Grasnarbe, was laut Bundesnaturschutzgesetz in der Zeit vom 1. Oktober bis 28. Februar erlaubt ist und woran sich Uniper auch hält.

Ans Zeug flicken kann man dem Unternehmen auch nicht wegen der radikalen Rückschnitte des Buschwerks. Helmut Knauer vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ebersberg erkennt ein Problem der Bewirtschaftung, sagt aber auch, dass eine solche in einem FFH-Gebiet erlaubt sei und auch der Erhalt von Blühsträuchern eine freiwillige Leistung sei, die man nicht erzwingen könne. Das letzte Wort bei möglichen Verstößen habe aber die Untere Naturschutzbehörde.

Die Isarauen seien rechtlich gesehen ein Wald, sagt dazu Christine Spiegel, Pressesprecherin im Landratsamt München. Solange nach den Erfordernissen der Waldbewirtschaftung gehandelt werde, sei keine Erlaubnis erforderlich. Die Untere Naturschutzbehörde käme erst ins Spiel, wenn es um Artenschutz gehe, etwa, wenn während der Brutzeit gerodet würde. Gewässer- und Ufer-Unterhaltungsmaßnahmen seien von den Beschränkungen der Landschaftsschutzgebietsverordnung Isartal ausgenommen. Die Maßnahmen am Isardamm habe Uniper mit der Unteren Naturschutzbehörde und auch mit der Wasserwirtschaftsverwaltung abgesprochen, um dem Artenschutz Genüge zu tun.

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SZ vom 02.03.2021
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