SZ-Serie: Dahoam in ...Die Kessler-Zwillinge – angekommen im Grünwalder Zwillingshaus

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Ellen und Alice Kessler (von links) haben zwei fast identische Wohnbereiche, die durch eine Trennwand  geteilt werden können.
Ellen und Alice Kessler (von links) haben zwei fast identische Wohnbereiche, die durch eine Trennwand  geteilt werden können. (Foto: Claus Schunk)

Alice und Ellen Kessler haben sich schon 1956 beim Dreh ihres ersten Films in den Ort im Isartal verliebt. Doch erst Jahrzehnte später haben sie sich hier zur Ruhe gesetzt – in einem maßgeschneiderten Bau, in dem es fast alles zweimal gibt.

Von Claudia Wessel, Grünwald

Lautlos rollt der Mähroboter über den Rasen neben einer meterhohen Hecke und alten Bäumen. Vor der Rückwand der Garage lockt hellblau glänzendes Wasser im Swimmingpool, sehr verführerisch an diesem schwül-heißen Nachmittag. „Wir waren noch nicht drin“, sagt Ellen Kessler. „Das Wasser wurde gerade erst eingelassen.“  Heute möchten sie ohnehin lieber ins Haus gehen. „Da ist es kühler als draußen“, sagt sie und führt zu ihrer Sitzecke aus einem großen hellen und weichen Sofa und dazu passenden Sesseln.

Die gesamte Inneneinrichtung ist hell gehalten, auch das Esszimmer gleich daneben und die Küche, die man im Hintergrund sieht. Durch große Scheiben kann man vom Sofa aus in den Garten blicken. Auf der Terrasse stehen ein Liegestuhl, Tisch und Stühle. Wäre man nicht darauf hingewiesen worden, es wäre gar nicht aufgefallen, dass es das Wohnzimmer auf der anderen Seite des Hauses noch einmal gibt. Nicht hundertprozentig gleich, aber ebenfalls mit einer hellen Sitzecke, einem angrenzenden Esszimmer und einer Küche dahinter sowie einem Liegestuhl und einem Tisch mit Stühlen draußen. Es gehört Alice Kessler.

Die inzwischen 88-jährigen Frauen sind zwar eineiige Zwillinge und haben ihr ganzes Leben miteinander verbracht, auf internationalen Bühnen als Duo getanzt, sind in Fernsehshows in Ländern auf fast allen Kontinenten gemeinsam aufgetreten und haben auch so gut wie immer zusammengelebt. Trotzdem kam laut Ellen Kessler irgendwann die Erkenntnis: „Wir müssen uns ein wenig trennen.“ Deshalb hat das Haus, das die beiden Schwestern 1986 in Grünwald gebaut haben, zwei quasi identische Wohnbereiche.

Heute ist die in der Mitte angebrachte Trennwand offen. Sie lässt sich aber auch jederzeit schließen, und keine der beiden Bewohnerinnen muss dann auf irgendetwas verzichten. Vom Fernseher bis zum Liegestuhl draußen gibt es alles zweimal. Das heißt: Eine Sache gibt es nur einmal, das kleine Fitness-Center mit Sprossenwand und Expandern. Deshalb macht jede nur alle zwei Tage ihre Übungen. „Das reicht ja auch in unserem Alter“, sagt Alice Kessler. Das Tanzen haben sie ganz aufgegeben. „Man muss seine Grenzen kennen“, sagt Ellen Kessler.

„Wir dachten uns, jetzt werden wir mal einfach das Alter genießen – soweit man das genießen kann“

Inzwischen wird dieses idyllische Zuhause sehr intensiv genutzt. Das war nicht immer so.  Bis 2012 kamen die beiden Schwestern viel herum, 2011 tanzten sie sogar noch in einem Musical. Doch dann beschlossen sie, alles langsamer anzugehen. Reisen wurden die Ausnahme. „Seit der Pandemie waren wir nur einmal verreist, nach Rom zu einer Fernsehsendung“, berichtet Ellen Kessler. Dort wurden sie gebeten, doch wiederzukommen für weitere Auftritte im Fernsehen. „Aber wir haben den Sinn nicht mehr gesehen“, sagt Ellen Kessler. „Durch die Pandemie haben wir den alten Rhythmus verloren, dieses Immer-auf-Achse sein. Wir dachten uns, jetzt werden wir mal einfach das Alter genießen – soweit man das genießen kann.“ Denn eines betont auch ihre Schwester: „Wer sagt, er genieße das Älterwerden, der lügt.“ Die Energie lasse nach und es sei schwer, das zu akzeptieren.

Nachdem die Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen seit ihrer Teenagerzeit immer wieder den Wohnort und Auftrittsort gewechselt haben, sind sie jetzt froh, sich nicht mehr allzu weit fortbewegen zu müssen, weil sie sich in ihren Wohnungen wohlfühlen. „Mein Lieblingsort ist mein Zuhause“, sagt Ellen Kessler denn auch. Und der Ort Grünwald, an dem ihnen unter anderem gefällt, dass er eine eigene Gemeinde ist, in der man auf Ämtern nicht so lange anstehen muss.

Der Pool wurde gerade eingelassen: Alice und Ellen Kessler in ihrem Garten.
Der Pool wurde gerade eingelassen: Alice und Ellen Kessler in ihrem Garten. (Foto: Claus Schunk)

Hier sind die beiden Schwestern noch immer regelmäßig unterwegs. Jeden Dienstagabend geht es zum Stammtisch mit anderen Frauen. „Keine Promis, einfach nette Grünwalderinnen, alle in den Achtzigern“, sagt Ellen Kessler. Beide Zwillinge lieben außerdem das Golfspielen und sind regelmäßig auf dem Platz in Straßlach, aber sie spielen nur noch Neun-Loch, weil das volle Programm inzwischen zu anstrengend ist. Immer dabei sind sie auch bei Premieren in der Komödie im Bayerischen Hof in München. „Ansonsten leben wir den banalen Alltag“, sagt Ellen Kessler.

Banalen Alltag hatten die am 20. August 1936 geborenen Zwillinge früher keineswegs. Schon als kleine Mädchen erlebten sie den Krieg, mussten miterleben, dass ihre Ballettschule in Leipzig abbrannte und sie ihren Unterricht unterbrechen mussten, auch weil der Weg dorthin zu gefährlich wurde. Ihr Elternhaus stand in dem kleinen Ort Taucha. Erst mit elf Jahren, nach dem Krieg, konnten sie wieder weitertanzen, wurden dann sogar in die Operntanzschule in Leipzig aufgenommen.

Alice und Ellen Kessler waren schon als Kinder unzertrennlich.
Alice und Ellen Kessler waren schon als Kinder unzertrennlich. (Foto: Claus Schunk)

Mit 14 Jahren besuchten sie ihren Vater, der in Düsseldorf lebte. „Wir hatten ein Besuchsvisum für zwei Wochen“, erinnern sie sich. Doch der Vater ließ sie nicht zurück in die DDR. „Wir wollten das nicht“; sagt Ellen Kessler. „Wir hatten ja unsere Freundinnen und liebten unsere Ballettschule.“ Doch der Vater blieb hart. Später waren die beiden froh, dass sie auf ihn gehört hatten. Auch heute noch sagt Ellen Kessler: „Unsere Karriere wäre wohl ganz anders verlaufen, wenn wir in der DDR geblieben wären.“

So aber lief es jahrzehntelang fast automatisch, wie die Zwillinge sagen.  Da sie keine abgeschlossene Ballettausbildung hatten und es an der Oper in Düsseldorf keine Elevinnen gab, starteten die 15-Jährigen am Revuetheater Palladium in Düsseldorf und wurden dort von einem Mitarbeiter des Pariser Lido entdeckt. „Weil wir so groß waren“, sagen sie. Für ein Engagement im Lido musste man mindestens 1,72 Meter groß sein. Schon bald waren die Teenager alleine mit dem Zug unterwegs nach Paris. Dort wurden sie abgeholt. „Die mussten ja auf uns aufpassen“, sagt Ellen. Sie waren schließlich minderjährig.

Im Lido blieben sie fünf Jahre lang, von 1955 bis 1960. „Jeden Tag zwei Vorstellungen“, erinnert sich Alice. 1956 kam dann der erste Filmdreh in Deutschland, eine willkommene Unterbrechung des anstrengenden Tanzalltags. „Das war für uns immer wie Urlaub“, sagt Alice. Der erste Film mit dem Titel „Solange es hübsche Mädchen gibt“ wurde bei Bavariafilm in Grünwald gedreht. „Dort hat es uns sofort sehr gut gefallen“, sagt Ellen Kessler. „Wir versprachen uns: Wenn wir uns einmal niederlassen, dann in dieser schönen, kleinen und grünen Gemeinde.“ Auch wenn sie später immer mal wieder durch den Ort kamen, blieben sie dabei. „Da gab es ein Haus, an dem sind wir immer vorbeigefahren“, erinnert sich Alice. „Und jetzt haben wir auch so eines.“

Das erste Haus im Ort kauften die Zwillinge bereits 1967

Bereits 1967 kauften die Schwestern in Grünwald ein Reihenhaus, in dem allerdings vor allem ihre Mutter lebte. Die Töchter waren als Tänzerinnen in aller Welt unterwegs und liebten den Trubel. Ellen hatte eine Wohnung in der Altstadt von Rom, Alice eine in Kitzbühel. Beide haben diese inzwischen verkauft. Auf den Gedanken, in den USA zu bleiben, wo sie unter anderem 1966 in der Dean Martin Show auftraten, oder in Paris, wo sie 1977 noch einmal für vier Monate ein Engagement im Lido annahmen, oder in Italien, wo sie jeden Samstagabend in einer Live-TV-Show auftraten, kamen beide nie, wie sie versichern. Obwohl sie in Italien lange ihren Wohnsitz hatten. „Aber wir sind Deutsche, wir wollten langfristig hier unseren Wohnsitz haben. Es ist besser, man ist in der Heimat.“

Heimat ist inzwischen schon lange Grünwald. „Ich habe kein Heimatgefühl für Taucha“, sagt Ellen Kessler. „Es war keine schöne Zeit im Krieg.“ Alle anderen Orte waren Abenteuer und Arbeit und es gab keinen Grund, sich niederzulassen, wo meist schon das nächste Angebot aus einem anderen Land oder Ort winkte. Nachdem die Mutter in den Achtzigerjahren gestorben war, bezogen die Schwestern zunächst das Reihenhaus. Zwar hatten sie all die Jahre in zahlreichen kleinen und großen Wohnungen zusammengewohnt, das Reihenhaus war aber auf Dauer zu eng. So entschieden sie sich für den Bau ihres Zwillingshauses.

Manchmal sehen sich Alice und Ellen Kessler noch alte Auftritte an. Das Foto zeigt sie 1956 im Pariser Lido. 
Manchmal sehen sich Alice und Ellen Kessler noch alte Auftritte an. Das Foto zeigt sie 1956 im Pariser Lido.  (Foto: UPI/dpa)

Der Vergangenheit als Tänzerinnen trauern Alice und Ellen Kessler nicht nach. Nur manchmal, wenn nichts Interessantes im Fernsehen läuft, schauen sie sich alte Auftritte an. Von ihren unzähligen Kostümen haben sie nur noch wenige als Erinnerungen. „Das rosa Kleid aus unserem letzten Lido-Jahr“, nennt Alice als Beispiel. Die anderen haben sie vor einigen Jahren versteigern lassen, der Erlös kam den Opfern der Flutkatastrophe im Ahrtal zugute. „Boas und Zylinder gingen sehr gut“, sagt Ellen. „Auch einige Kostüme. Nur die ausgeschnittenen und sehr kurzen gingen nicht so gut.“ Aber so schön die Gedanken an ihre Karriere sind, versichern beide: „Wir leben im Hier und Jetzt.“ Gemeinsam unter einem Dach, aber doch mit einer Trennwand. Auch ein Zwilling möchte halt mal alleine sein.

Lieblingsorte

Alice und Ellen Kessler lieben das Grün, das ihre Wahlheimat im Isartal nicht nur im Namen trägt, sondern auch im Ortsbild von Grünwald sichtbar ist. Gleich an zweiter Stelle kommt das Golf-Grün, vor allem auf dem Platz in Straßlach, denn dieser ist im Stil eines Parkland Courses gestaltet. Regelmäßig spazieren die Zwillinge dort über den Platz, entspannt und ohne Stress. Das besondere Angebot der 27-Loch-Runde nehmen sie mittlerweile aber nicht mehr wahr, sondern geben sich mit einer der Neun-Loch-Schleifen zufrieden. Das Grün-Gefühl ist das gleiche.

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