Süddeutsche Zeitung

Au-Pairs in Grünwald:Job mit Familienanschluss

Melanie Nardo aus Grünwald hat seit 2009 Au-Pairs aus vielen Ländern beherbergt - eine Möglichkeit, auch als Mutter mit drei Kindern weiter ihrem Beruf nachzugehen.

Von Julia Weller, Grünwald

Zum Muttertag bekommt Melanie Nardo meistens mehr Karten, als sie Kinder hat. Die 42-Jährige ist Mutter von zwei Söhnen, einer Tochter und vielen erwachsenen Au-Pairs. "Die Mädchen sind immer ein bisschen Angestellte und ein bisschen Familienmitglied", erzählt Nardo. Seit der Geburt ihres ersten Sohnes Max im Jahr 2009 hat sie durchgehend junge ausländische Gäste im Haus, die gegen Kost, Logis und Taschengeld bei der Kinderbetreuung helfen.

"Als ich zum ersten Mal schwanger wurde, war ein Au-Pair das Einzige, das wir uns leisten konnten", erzählt die Mutter. Die Juristin hatte gerade einen tollen Job bei Wrigley in Unterhaching gefunden, sie fühlte sich dort wohl und sah gute Karrierechancen: "In einer Welt, wo sich alles sehr schnell verändert, wollte ich nicht wegen des Kindes ein ganzes Jahr aussetzen."

Inzwischen hat die Familie ihr 14. Au-Pair-Mädchen engagiert

Also holten Nardo und ihr Mann, der damals noch in Rom arbeitete, eine 18-jährige Bosnierin zu sich nach Hause. "Sie war noch sehr jung, hat aber super deutsch gesprochen", erinnert sich Nardo. Während sie selbst in ihr Büro zurückkehrte, überließ sie es dem Au-Pair, das Baby nachmittags von der Krippe abzuholen und bis zum Abend zu betreuen.

Das funktionierte bei den Nardos so gut, dass sie bis Ende Dezember schon ihr zwölftes Au-Pair beherbergten: Mia Oktaviani, 23, aus Indonesien. Weil es ihr so gut gefallen hat, ist sie vom neuen Jahr an Au-Pair in Österreich. Melanie Nardo dagegen hat schon Au-Pair-Mädchen Nummer 13 engagiert. Da die Philippinin Magie, 24, jedoch noch Visa-Probleme hat, wird sie für ein paar Monate von Au-Pair Nummer 14, Chiara, 22, aus Italien, vertreten.

Niemand kann genau sagen, wie viele Au-Pairs im Landkreis München leben. Bewerber aus der Europäischen Union brauchen kein Visum und keine Arbeitserlaubnis, sie müssen sich nur beim Einwohnermeldeamt anmelden. Au-Pairs aus Drittstaaten benötigen eine Aufenthaltsgenehmigung von der Ausländerbehörde.

Viele suchen im Anschluss an die Au-Pair-Stelle um ein Studentenvisum an

Es ist nicht nur die Aussicht auf ein Jahr voller Kinderbetreuung, die junge Frauen und Männer hierher zieht. "Ich bin da ganz realistisch", sagt Melanie Nardo, "die allermeisten wollen wohl hierbleiben. Sie kommen nach Deutschland, weil sie aus ihrem eigenen Land weg und sich etwas besseres aufbauen wollen." Viele versuchen im Anschluss an das Au-Pair-Jahr, ein Studentenvisum zu erhalten oder ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) zu absolvieren.

Der Au-Pair-Aufenthalt ist dann oftmals nur Mittel zum Zweck. "Aber das ist ein bisschen wie bei den Flüchtlingen", sagt Nardo, "viele sind bereit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Sie wollen arbeiten und etwas erreichen."

Nicht nur die Au-Pairs lernen während ihres Aufenthalts eine ganz neue Kultur kennen, auch für die Gastfamilie stellen die Besucher aus aller Welt eine wahre Bereicherung dar: "Unsere Kinder haben gelernt, dass die Welt da draußen komplett anders ist", erzählt Nardo. "Gerade hier in Grünwald wachsen sie wie in Watte gepackt auf, da ist es wichtig, dass sie bodenständig bleiben." Au-Pairs aus Krisenregionen können den Kleinen vermitteln, was Krieg bedeutet. "Und die Kinder sind auch mit anderen Religionen vertraut, wir hatten zum Beispiel schon zwei Muslima", sagt Nardo.

Eine Agentur vermittelt und unterstützt die Au-Pairs

Ihre Au-Pairs hat die Familie meistens über Agenturen oder über den Familienservice der Firma Wrigley gefunden, bei welcher Melanie Nardo inzwischen Leiterin der Europäischen Rechtsabteilung ist. "Wir wissen mittlerweile sehr genau, wen wir wollen: Jemanden, der schon ein wenig älter ist, vielleicht ein Studium abgeschlossen hat und viel Erfahrung mit Kindern aufweist", so Nardo.

Auf Internetportalen wie AuPairWorld.com sei es leichter, jemanden zu finden, der den eigenen Vorstellungen entspricht. Weil sie ihre Wunschkandidaten aber nicht ganz ohne Schutz und Betreuung einfliegen wollen, bezahlen die Nardos nach ihrer Entscheidung trotzdem noch eine Agentur, die das Au-Pair zum Beispiel bei der Beantragung des Visums unterstützt.

"Für junge Menschen ist es auf jeden Fall sicherer, sich durch eine geprüfte Agentur vermitteln zu lassen", findet Cordula Walter-Bolhöfer von der Gütegemeinschaft Au-Pair. Den Trend, sich im Internet eigenständig eine Gastfamilie zu suchen, sieht sie kritisch: "Falls Probleme auftauchen, haben die Au-Pairs dann keinen Ansprechpartner. Und Ausnutzungsfälle gibt es leider immer mal wieder."

Eine schwierige Situation für junge Ausländer, die nur über wenig Geld und schlechte Sprachkenntnisse verfügen. Vermittlungsagenturen können sich bei der Gütegemeinschaft Au-Pair als Mitglieder zertifizieren lassen und das RAL-Gütezeichen erhalten, sofern sie gewisse Standards erfüllen. So müssen sie etwa eine 24-Stunden-Hotline für Notfälle bereitstellen und potenzielle Gasteltern genau überprüfen, bevor sie ihnen ein Au-Pair ins Haus schicken.

2014 wurden etwa 11 000 Au-Pairs nach Deutschland vermittelt

In Kooperation mit ihren etwa 40 Mitgliedsagenturen erstellt die Gütegemeinschaft jedes Jahr eine Statistik zu den Vermittlungen nach Deutschland. 2014 war der Trend der ankommenden Au-Pairs zum ersten Mal seit langer Zeit wieder positiv: So erhielten deutschlandweit 4881 Au-Pair-Bewerber aus Nicht-EU-Staaten ein Visum, das sind fast 400 mehr als im Jahr davor.

Der stetige Abwärtstrend, der seit 2005 beobachtet wurde, ist damit erstmals durchbrochen. Zusammen mit ungefähr 6000 EU-Au-Pairs wurden 2014 circa 11 000 junge Menschen von den Mitgliedsagenturen nach Deutschland vermittelt.

"Im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland für Au-Pairs weniger attraktiv, weil die Bezahlung recht gering ist. Viele junge Osteuropäer sind in den vergangenen Jahren lieber nach Großbritannien gegangen, um dort in der Gastronomie zu arbeiten", erzählt Walter-Bolhöfer. Au-Pairs erhalten hierzulande mindestens 260 Euro im Monat, außerdem einen Zuschuss zum Sprachkurs und anderthalb freie Tage pro Woche.

In Grünwald sind Au-Pairs nichts ungewöhnliches

Mittlerweile könnte sich Melanie Nardo auch eine professionelle Nanny leisten. "Aber ich halte Au-Pairs für ein viel besseres Modell. Es gibt mir und den Kindern so viel", schwärmt die Gastmutter. In Grünwald sei es auch nicht außergewöhnlich, ein Au-Pair zu beschäftigen. "Im Kindergarten gibt es einige Familien mit Au-Pairs", erzählt Nardo, "deswegen ist es für unsere Kinder nicht komisch, wenn sie nicht von den eigenen Eltern abgeholt werden." Für Melanie Nardo und ihren Mann sei der Wechsel von einem Au-Pair auf ein anderes allerdings jedes Mal stressig. "Aber unsere Kinder sind sehr offen für Neues und gewöhnen sich schnell an fremde Menschen."

Nardo möchte noch ein paar Jahre lang Au-Pairs beschäftigen, zumindest bis auch die fünfjährige Gaia und der zweijährige Eddie wie ihr sechsjähriger Bruder Max zur Schule gehen. "Ohne Au-Pairs hätte ich nicht in dieser Form in meinen Beruf zurückkehren können, ich hätte nie dieses Leben haben können", erzählt Nardo und lässt den Blick durch ihr großes Grünwalder Haus schweifen. "Ich kann den Kindern damit ja auch sehr viel zurückgeben, weil wir zum Beispiel Reisen und Unternehmungen machen können."

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Quelle:
SZ vom 29.12.2015/gna
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