Zwischen Hoffen und Bangen hat sich die Stimmungslage in der Gemeinde Grünwald vor der antikapitalistischen Demonstration linker Aktivisten an diesem Freitagabend bewegt. Nachdem im Ort bekannt geworden ist, dass ein Mitarbeiter der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag eine Gegendemonstration initiiert hat, überwiegt bei einigen Grünwalder Bürgerinnen und Bürger die Sorge vor ähnlichen Krawallen wie im Juli 2017 am Rande des G-20-Gipfels auf der Hamburger Elbchaussee. "Es ist gleichzeitig Freinacht, da sind viele halbstarke Jugendliche unterwegs - ich habe größte Befürchtungen", sagt etwa Kirstin Lauer, Geschäftsführerin einer Druckerei an der Rathausstraße.
Ihre Bedenken teilt offenbar auch Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU). Laut Tobias Dietz, dem Hauptamtsleiter im Grünwalder Rathaus, hat Neusiedl Anfang der Woche in einem persönlichen Brief an Landrat Christoph Göbel (CSU) "größte Bedenken" geäußert und dringend gebeten, die Demonstration der Linken zu verhindern oder unter höchste Auflagen zu stellen. Aus dem Landratsamt heißt es dazu, dass die Demonstration von dem Recht auf Versammlungsfreiheit gedeckt sei und die Veranstalter keine Genehmigung bräuchten, eine Anmeldung genüge. Ein Verbot, so unterstrich die Kreisbehörde am Donnerstagnachmittag noch einmal, würde einer verwaltungsrechtlichen Kontrolle nicht standhalten.
Die Gemeinde hat unterdessen in einem Rundbrief an alle Bürgerinnen und Bürger, die entlang der Demonstrationsroute wohnen, appelliert, ihre Fahrzeuge von den Straßen und den Hofeinfahrten in der Zeit der Demonstration zu entfernen - "damit keine unnötigen Schäden auftreten". Der Bauhof hat Halteverbotsschilder aufgestellt, an der Luitpoldstraße ist ein sogenannter Wellenbrecher platziert worden. Am Mittwoch gab es ein Gespräch der Sicherheitsbehörden. Die Polizei werde mit einem "erheblichen Kräfteeinsatz" vor Ort sein, teilt das Landratsamt mit. Sollte die Versammlung einen unfriedlichen Charakter entwickeln, könne sie jederzeit aufgelöst werden. "Wenn jemand glaubt, er müsse stören, dann wissen wir das zu verhindern", sagte ein Sprecher der Münchner Polizei, die den Einsatz in Grünwald leitet, zur SZ.
Die Einsatzkräfte müssen nun zwei Veranstaltungen im Blick behalten. Die Demonstration der linken Aktivisten, die sich um 19 Uhr zu einer Auftaktkundgebung am Marktplatz treffen und im Anschluss ihren Demonstrationszug starten, ehe sie gegen 20.30 Uhr wieder am Marktplatz zu einer Abschlusskundgebung zusammenkommen. Sie haben 150 Teilnehmer bei der Versammlungsbehörde im Landratsamt angemeldet; außerdem die stationäre Gegendemonstration mit angemeldeten 30 Teilnehmern, für die der Luitpoldweg als Aufstellungsort festgelegt wurde. "Ich weiß nicht, was da auf mich zukommt. Ich versuche, kühlen Kopf zu bewahren", sagt Angelika Grasse, gebürtige Grünwalderin und Inhaberin eines Schuhgeschäftes in der Schlosspassage. Sie hoffe, dass die Polizei alles im Griff habe.
Er könne nachvollziehen, dass die Menschen in Grünwald jetzt Angst haben, räumt Elia Linde ein, der Sprecher des ausschließlich für die Demonstration am Freitag gebildeten Bündnisses aus mehreren Einzelgruppierungen. "Aber wir werden friedlich demonstrieren, laut, aber friedlich. Von uns wird keine Provokation ausgehen." Natürlich wolle man Aufmerksamkeit erregen, "weil wir auch ein ernstes Anliegen haben". Für die gesellschaftliche Anklage bietet sich der Villenort Grünwald nach Ansicht der Veranstalter an, "aber Angst muss keiner vor uns haben", so Linde, den nach eigenen Worten die Gegendemonstration von rechts überrascht hat.
"Meet the Rich - 1. große Umverteilungsparade" haben die Aktivisten als Titel ihrer Aktion gewählt. "Weite Teile der Welt leiden an Armut, unter Staatsterror und Naturzerstörung, während hinter Grünwalds Hecken und Zäunen die Reichen das Privileg der Ignoranz genießen", steht in ihrem Aufruf. Die Reaktion der Gegendemonstranten findet sich in der nicht öffentlichen Gruppe eines Messengerdienstes: "Wie ihr wisst, plant die linksextreme Antifa durch die Straßen von unserem schönen Grünwald eine (Krawall?-) Demo und Umzug gegen die 'grünwalder Bonzen' durchzuführen", postete deren Organisator und rief zum "bürgerlich-freiheitlichen Protest gegen Linksextremismus" auf.
Bei ihm handelt es sich nach eigener Darstellung um einen gebürtigen Grünwalder und Gegner sowohl des Lockdowns, aber auch der Armut und der sozialen Ungerechtigkeit. Der Chatverlauf in der Gruppe lässt den Schluss zu, dass die Mehrheit den Protest gegen Links gutheißt, nicht aber gegen staatliche Corona-Maßnahmen. Ein Mitglied der Gruppe warnt: "Sie zetteln da was ganz gefährliches an." Der Organisator der Gegendemo war am Donnerstag nicht erreichbar.