Um 23 Uhr blickte Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU) nur noch auf einige wenige Bürger, dafür auf viele leere Stühle. Wer von den anfangs weit mehr als 200 Anwesenden kein Sitzfleisch mehr hatte, war zu dieser späten Stunde längst heimgegangen. Geschlagene drei Stunden lang hatten der Grünwalder Rathauschef und seine Mitarbeiter in der Bürgerversammlung am Dienstag mit Engelsgeduld Rede und Antwort gestanden. Die Bürger überrannten das Forum geradezu mit ihren Anregungen, Beschwerden und Wünschen. Von Jahr zu Jahr werden es mehr, mehr als 50 waren es diesmal. So könne es nicht weitergehen, kündigte der eigentlich nicht aus der Ruhe zu bringende Neusiedl zum Schluss an.
Seit Langem schon habe er die sonst üblichen Teilnehmer wie Landrat oder Feuerwehr ausgeladen, nur um mehr Zeit zu haben, sagte der Bürgermeister. Neusiedl ärgerte sich auch darüber, dass mehrere der Antragsteller nicht einmal selbst erschienen waren, um sich die ausführlichen Antworten der Verwaltung anzuhören. Und überhaupt – Hinweise auf eine kaputte Straßenlaterne oder auf ein fehlendes Ortsschild könnten der Gemeinde doch einfach mit einem Telefonanruf oder der Grünwald-App mitgeteilt werden.
Ortsmitte-Gestaltung, Fahrradwege, abgestellte Werbeanhänger, vermüllte Parkplätze, überdachte Bushäuschen: Die Grünwalder haben viel auf dem Herzen. Aber vieles davon ist nicht neu. Ein Dauerthema ist die Verkehrssicherheit in den Wohngebieten. In rund einem Viertel aller Anträge wurde Tempo 30 für verschiedene Straßen gefordert, dabei ging es immer wieder um die Gabriel-von-Seidl-Straße. Messungen hätten jedoch nichts Auffälliges ergeben, entgegnete Polizeihauptkommissar Jörg Greiner, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Grünwald. „Faktisch besteht dazu kein Grund.“ Auch der Bürgermeister erklärte das Thema Geschwindigkeitsbeschränkung für ausdiskutiert. Der Gemeinderat habe sich bereits intensiv damit befasst und ein generelles Tempolimit abgelehnt.
Neusiedl sagte aber zu, weitere Geschwindigkeitsanzeiger in der Gabriel-von-Seidl-Straße aufzustellen, ebenso wie zum Beispiel in der Sudetenstraße sogenannte Topo-Boxen. Das sind bewusst unauffällig aussehende Geräte, die zur Verkehrsmessung eingesetzt werden. Nicht zur Ruhe kommt auch der Konflikt zwischen sogenannten Kampfradlern und Fußgängern am Isarhochufer, obwohl schon häufig im Gemeinderat behandelt. Von weiteren Beschilderungen, wie gefordert, verspricht sich Fabienne Unterreiner vom Ordnungsamt nicht viel. Aber auch sie meinte: „Ich würde mir überlegen, ob ich da zu Stoßzeiten mit meinem Hund noch Gassi gehe.“ Bürgermeister Neusiedl machte den Erholungsdruck verantwortlich: „Da gibt es keine Lösung.“ Die Polizei versprach, im nächsten Sommer verstärkt Fahrradstreifen einzusetzen.
Ruhig geworden ist es hingegen um das Aufregerthema vom vergangenen Jahr: das geplante Flüchtlingsheim auf einem Grundstück, welches das Landratsamt München vor zwei Jahren von Grünwald gemietet hat. „Wann, wie und ob“ dort eine Unterkunft erstellt wird, sei nicht bekannt, hieß es dazu von der Rathausverwaltung. Der Gemeinde lägen dazu vom Landratsamt „keine neuen Erkenntnisse“ vor.
„2023 war das beste Jahr in der Geschichte“
Zuvor hatte Neusiedl in seinem rund einstündigen Bericht über die wichtigsten Entwicklungen in der Kommune informiert. Die Bautätigkeit ist stark zurückgegangen, es gab nur noch 69 Bauanträge. Der Bebauungsplan für das Areal des ehemaligen Lindenwirts an der Zeillerstraße ist wieder aufgehoben und dem Bauherrn wegen langer Untätigkeit das Baurecht entzogen worden. Hingegen ist der Bebauungsplan Grünwalder Einkehr für das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Ensemble rechtskräftig.
Die Einnahmen sprudeln nach wie vor kräftig, die Gemeinde sieht sich in ihrer Entscheidung bestätigt, vor Jahren die Gewerbesteuer gesenkt zu haben. „2023 war das beste Jahr in der Geschichte, wir hatten Einnahmen von 235 Millionen Euro“, sagte der Bürgermeister stolz. Anstatt in „goldene Wasserhähne“, so Neusiedl, investiere die Kommune jedoch lieber in wichtige Infrastruktur. Und so läuft in der Isartalgemeinde vieles rekordverdächtig: die hundertprozentige Versorgung bei der Kinderbetreuung, der Ausbau von E-Ladesäulen, die Fernwärme mit 423 Anschluss-Anträgen in 2022. Die Gemeinde, die als Pionier in Sachen Geothermie gilt und über das laut Neusiedl größte kommunale Fernwärmenetz in Kontinentaleuropa verfügt, startet demnächst neue Bohrungen in Laufzorn.