Süddeutsche Zeitung

Eklat bei Wählervereinigung:"Was wollen Sie mit so einem Vorsitzenden?"

Die Bürger für Grasbrunn werfen ihren Chef und einzigen Gemeinderat raus, weil sie angeblich jeglichen Kontakt zu ihm verloren haben. Dieser wehrt sich und sieht sich weiterhin als rechtmäßiger Vertreter der Gruppe.

Von Lars Brunckhorst, Grasbrunn

Es ist noch gar nicht so lange her, da wirkte es, als passe zwischen beide kein Blatt Papier: Bis zur Kommunalwahl 2020 saßen Thomas Michalka und Johann Hiltmair Seite an Seite im Grasbrunner Gemeinderat. Sechs Jahre vertraten die beiden in dem 20-köpfigen Ratsgremium die "Bürger für Grasbrunn" (BFG), eine Gruppierung, die nach eigener Aussage "völlig unabhängig von jedweder Parteiräson und Interessen Dritter" ist und "ohne Wenn und Aber dem Gemeinwohl verpflichtet". Nach den Stimmenverlusten bei der Wahl vor anderthalb Jahren blieb nur noch Michalka übrig. Schon das ein Tiefpunkt für die Wählergruppierung, die nach ihrem ersten Einzug in den Gemeinderat 2008 sogar mal zu dritt im Gremium saß. Doch seit neuestem ist sie gar nicht mehr im Gemeinderat vertreten. Oder etwa doch?

Es ist jedenfalls kompliziert. Vor einigen Tage verkündete zunächst Johann Hiltmair, der stellvertretende Vorsitzende und ehemalige Gemeinderat, dass die Mitglieder der BFG ihren Vorsitzenden Thomas Michalka abgesetzt hätten. Und nicht nur das: Sie hätten ihn auch per einstimmigem Votum aus der Wählergruppe ausgeschlossen. Bis auf weiteres führe er, Hiltmair, die BFG kommissarisch.

Über die Gründe konnte nur spekuliert werden. In einer Erklärung des BFG-Restvorstands war lediglich von "lange währenden unüberbrückbaren Differenzen" die Rede sowie von "Verstößen gegen die Vereinssatzung". Mit ein paar Tagen Abstand zu der Mitgliederversammlung ist Hiltmair dann doch bereit, am Telefon mehr zu dem Rauswurf seines ehemaligen politischen Weggefährten zu sagen. Und was er sagt, zeichnet ein Bild von einem Kommunalpolitiker, der nicht nur seinen einstigen Mitstreitern offenbar immer mehr entrückt ist, sondern dem auch die Zügel zur Führung des Vereins entglitten sind.

Folgt man Hiltmair, dann hat Michalka als Vorsitzender der Bürger für Grasbrunn offenbar seit Jahren keine Mitgliederversammlung mehr einberufen, obgleich er dazu laut Vereinssatzung verpflichtet gewesen wäre. Auch ein Rechenschaftsbericht sei nicht mehr vorgelegt worden, ebenso wenig Jahresrechnungen, mithin sei weder bekannt, wie viele zahlende Mitglieder der Verein überhaupt habe, noch was mit deren Mitgliedsbeiträgen geschehen sei. Aussprachen habe sich Michalka mit stets anderen Begründungen entzogen. Seit der Kommunalwahl vor anderthalb Jahren hätten die Mitglieder dann jeglichen Kontakt zu ihrem Vorsitzenden verloren.

"Was wollen Sie mit so einem Vorsitzenden?", sagt Hiltmair. Und: "Irgendwann ist es genug." Die übrigen Vorstandsmitglieder hätten schließlich eine Mitgliederversammlung einberufen, zu der sie auch ihren Vorsitzenden zitierten. Doch Michalka erschien nicht - unentschuldigt, wie Hiltmair wichtig ist zu betonen. Dafür habe Michalka genau zu der Zeit Mails verschickt, als die übrigen BFG-Mitglieder zusammen saßen, einen kommissarischen Vorsitzenden benannten und mit der Vorbereitung einer Vorstandsneuwahl für 2022 betrauten. "Da kennt man einen Menschen 15 Jahre und dann schüttelt man nur noch den Kopf", sagt Hiltmair über seinen ehemaligen politischen Weggefährten.

Der war immerhin sogar mal Bürgermeisterkandidat der BFG. Kann das alles wirklich sein? Also Anruf bei Michalka. Der schildert, wie erwartet, natürlich alles ganz anders: Die Mitgliederversammlung, seine Abwahl und sein Rausschmiss seien allesamt rechtswidrig erfolgt. Laut Vereinssatzung dürfe nur der Vorstand in Gänze eine Versammlung einberufen, und über den Ausschluss eines Mitglieds könne ebenfalls nur der ganze Vorstand entscheiden, nicht aber die Mitgliederversammlung. Für Michalka steht daher fest: "Der Status quo ist klar: Ich bin weiter Mitglied und erster Vorsitzender der Bürger für Grasbrunn und laut Satzung nach außen alleine der Vertretungsberechtigte."

"Wenn das mein Versagen war, wie Herr Hiltmair mir vorwirft, dann war es auch sein Versagen."

Dass er es in anderer Hinsicht mit der Vereinsatzung weniger genau genommen hat, bestreitet Michalka dagegen nicht. So fand die letzte Mitgliederversammlung, auf der er als Vorsitzender bestätigt wurde, offenbar 2015 statt, die offizielle Amtszeit Michalkas ist damit seit vier Jahren abgelaufen. Seither wurden auch keine Jahresrechnungen erstellt. Michalka entschuldigt das mit privater Überlastung wie auch mit mangelndem Engagement des übrigen Vorstands und den zuletzt herrschenden Kontaktbeschränkungen durch die Corona-Pandemie. "Wenn das mein Versagen war, wie Herr Hiltmair mir vorwirft, dann war es auch sein Versagen."

Michalka beschuldigt seinen einstigen Weggefährten, ihn schon länger hinausdrängen zu wollen. So habe Hiltmair bereits im Sommer eine außerordentliche Versammlung zu diesem Zwecke anberaumt. Als Motiv vermutet er Enttäuschung über den Wahlausgang und den Verlust des eigenen Mandats. "Er hatte die Vorstellung, mich quasi aus dem Hintergrund lenken zu können." Doch Michalka ging im Gemeinderat eigene Wege, etwa indem er eine Ausschussgemeinschaft mit Sven Blaukat von der FDP schloss - offensichtlich zum Missfallen anderer in der BFG. Aber wie schreiben die BFG noch einmal über sich selbst? Man sei "unabhängig von jedweder Parteiräson".

Wenig überraschend widerspricht Hiltmair Michalkas Vermutungen. Dieser sei es, der die "Kernthemen" der Gruppierung nicht mehr vertrete. Die BFG hatten sich einst aus Protest gegen einen bei Möschenfeld geplanten Golfplatz gegründet und sich stets als Kämpfer für Erhalt und Bewahrung des Ortsbildes und der Gemeinde verstanden. Doch die "politischen Differenzen" seien zweitrangig, so Hiltmair.

Die Frage ist, wie es nun weitergeht. Hiltmair und seine Getreuen, unter ihnen Gründungsmitglied Axel Bornheimer, haben Michalka aufgefordert, nicht mehr namens der BFG zu sprechen. Und dem Rathaus mitgeteilt, dass dieser dort nicht mehr die BFG im Gemeinderat vertrete. Michalka, so fordern es seine ehemaligen politischen Freunde, solle zudem sein Mandat zurückzugeben, damit einer von ihnen nachrücken kann. Das lehnt dieser entschieden ab.

Michalka kündigt vielmehr an, nun doch eine Mitgliederversammlung abhalten zu wollen - "sobald Corona das zulässt". Danach werde er sich überlegen, welche Konsequenzen er ziehe. Sollte die Mehrheit seinem Kontrahenten Hiltmair folgen, "dann überlege ich mir, auszutreten". Schwer falle ihm das nach all den Jahren, denen er der BFG angehört, nicht. "Mit der Truppe wird man ohnehin nichts mehr bewegen."

Wie auch immer der Machtkampf ausgeht: Die BFG dürften so und so 13 Jahren nach ihrem ersten Einzug in den Gemeinderat dem Gremium bald nicht mehr angehören.

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