Süddeutsche Zeitung

Notverbund:Mit Corona auf der Urologie

Weil die Krankenhäuser in München überlastet sind, werden Covid-19-Patienten auf Kliniken im Würmtal verteilt, auch wenn diese auf andere medizinische Fachgebiete spezialisiert sind.

Von Anna Lea Jakobs, Gräfelfing/Planegg

"Wir sind hier nur die Etappe, das Klinikum Großhadern kämpft an der Front", sagt Claas Hohmann. Er ist ärztlicher Leiter der Wolfartklinik in Gräfelfing. Dort wurde vergangene Woche eine abgesonderte Station geschaffen, um Covid-19-Patienten, die sich auf dem Weg der Besserung befinden, aus dem Krankenhaus in Großhadern aufzunehmen. Manche von ihnen müssen mit Sauerstoff versorgt werden, andere erhalten eine medikamentöse Therapie, um wieder nach Hause gehen zu können. Intensivpflege wie etwa Beatmungstherapie kann die kleine Privatklinik im Würmtal nicht leisten, dazu braucht es ausgebildete Fachkräfte. "Das wäre ungefähr so, als ob Sie vom Stadtbus erwarten würden, fliegen zu können", sagt Viktoria Bogner-Flatz, die mit Dominik Hinzmann die Krankenhauskoordinierung des Rettungszweckverbands München leitet.

Dass die Wolfartklinik diese Entlastungsarbeit leistet, ist von der oberbayerischen Regierung aufgrund der hohen Hospitalisierungsrate von 2,29 bestimmt worden. Danach müssen Kliniken etwa operative Eingriffe, die nicht dringend notwendig sind, verschieben und stattdessen Covid-19-Patienten sowie andere Notfallpatienten aufnehmen und versorgen. Etliche Krankenhäuser in Oberbayern, die bisher nicht oder nur in geringem Maße Corona-Patienten aufgenommen haben, müssen nach einer Verordnung der Bezirksregierung bereits seit 19. November überlasteten Einrichtungen unter die Arme greifen. Mittlerweile müssen neben acht Münchner Krankenhäusern auch die Gräfelfinger Wolfartklinik und die Urologische Klinik München-Planegg im Landkreis München einspringen. Nach Gräfelfing wurde am vergangenen Freitag ein Patient aus Großhadern verlegt, Planegg hat mittlerweile zwei. Weitere können - je nach Bedarf - jederzeit folgen.

Insgesamt stehen durch die Verpflichtung der zehn Krankenhäuser Viktoria Bogner-Flatz vom Rettungszweckverband etwa 80 zusätzliche Betten auf Normalstationen zur Verfügung. Wie viele Patienten aus anderen Schwerpunktkrankenhäusern in der Wolfartklinik aufgenommen werden können, hängt vom Personal ab und davon, wie pflegeaufwendig die eingelieferten Menschen sind. Von Tag zu Tag wird diese Entscheidung neu getroffen. Die Urologische Klinik München-Planegg hält zehn Betten frei, um das Klinikum Großhadern zu unterstützen. "Wir haben versucht, mit Augenmaß unsere Bescheide so zu formulieren, dass Fachkliniken weiter ihrem Kerngeschäft nachgehen können", sagt Bogner-Flatz.

Bisher mussten in der Wolfartklinik noch keine Operationen abgesagt werden. "Wir führen relativ viele Krebsoperationen durch, die abzusagen, wäre verrückt", sagt Florian Wolfart, der geschäftsführende Gesellschafter der Gräfelfinger Klinik. In der Urologischen Klinik München-Planegg können Transgender-Patienten oder andere nicht hochdringliche Fälle dagegen aktuell nicht mehr operiert werden. Dort werden Operationstermine vor allem für Tumor- oder andere Notfallpatienten freigehalten. Seit dieser Welle erhält die Klinik auch überregionale Anfragen, weil selbst Patienten mit dringlichen Anliegen in anderen Einrichtungen abgesagt worden ist.

In Planegg steht das medizinische Personal seit der ersten Corona-Welle bereit, übt regelmäßig das Aus- und Anziehen der Schutzkleidung. Die Wolfartklinik entlastete bereits in der ersten Welle das Klinikum Großhadern. Dort wurde das Personal ebenfalls eingehend geschult, denn normalerweise ist die Wolfartklinik auf Chirurgie, Frauenheilkunde, innere Medizin, Anästhesie und Orthopädie spezialisiert. "Dass man in dieser Pandemie zusammenstehen und sich helfen muss, ist uns allen klar", sagt der ärztliche Leiter Arzt Claas Hohmann.

Doch auch in der Wolfartklinik fallen immer mehr Pflegekräfte aus - aufgrund von Krankheit oder weil sie selbst in die Quarantäne müssen. So verdichtet sich die Arbeit auf weniger Angestellte, was die Situation zusätzlich verschärfe, wie Florian Wolfart sagt. Seiner Ansicht nach spiegelt der Pflegekräftemangel, der in der Corona-Pandemie noch deutlicher geworden ist, das langjährige Versagen der Politik wider. "Niemand lässt sich gerne als Helden feiern und wird dann von der Politik mit Trinkgeld abgespeist", so Wolfart.

Voraussichtlich bis 10. Januar soll die Maßnahme aufrechterhalten werden. "Wenn dann immer noch eine so hohe Belegung vorliegt, müssen wir das natürlich verlängern", sagt Koordinatorin Bogner-Flatz. Zurzeit sind zwischen 94 und 96 Prozent der Intensivbetten in den Münchner Krankenhäusern ausgelastet. Im Prinzip seien sie komplett belegt, denn die wenigen Betten, die noch frei sind, eignen sich wegen der strengen Hygiene-Regeln oft nicht für Covid-19-Patienten.

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