Mobilitätskonzept:Gräfelfing reißt das Steuer rum

Mobilitätskonzept: Die Bahnhofstraße in Gräfelfing ist ein Verkehrsknotenpunkt, an dem die Gemeinde die Kurve hin zu einem weniger autofreundlichen Verkehr kriegen will.

Die Bahnhofstraße in Gräfelfing ist ein Verkehrsknotenpunkt, an dem die Gemeinde die Kurve hin zu einem weniger autofreundlichen Verkehr kriegen will.

(Foto: Catherina Hess)

Die Gemeinde will die Verkehrswende und ist dazu bereit zu Experimenten - auch wenn es besonders den Autofahrern unter ihren Bürgern weh tun wird.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Die Gräfelfinger meinen es ernst mit ihrem Verkehrskonzept. Zumindest legen das die Leitlinien nahe, welche die Gemeinderäte am Donnerstagabend im Bauausschuss einstimmig bestätigt haben. Mit Mut und Experimentierfreude wollen sie die Verkehrswende einleiten. Dieser Wille zur Veränderung hat auch die Verkehrsexperten überrascht, die die Leitlinien in den kommenden Monaten in konkrete Maßnahmen übersetzen werden. "Das eröffnet Spielräume, die wir sonst nicht haben", sagte Tobias Kipp, Experte für kommunale Mobilität bei Team Red, einem Beratungsbüro für nachhaltige Mobilität. Eines ist aber auch klar: Für die Bürger der Gemeinde im Würmtal wird es "nicht nur angenehm", stellte Florian Ernstberger (Bürgerverein Gräfelfing-Lochham/BVGL) fest.

Gräfelfings Verkehr soll in geregelte Bahnen kommen. Weniger Auto-Dominanz ist gewünscht, eine Vielfalt an alternativen und nachhaltigen Mobilitätsangeboten für alle Verkehrsteilnehmer ist das Ziel. Das sogenannte Integrierte Gesamtverkehrskonzept, das der Gemeinderat erstellt, soll der Weg dahin sein. Nach intensiven Analysen von Verkehrsexperten, die unter anderem die Bahnhofstraße als Verkehrsknotenpunkt Nummer eins in der Gemeinde ausmachten, folgte ein Workshop mit Gemeinderäten Anfang Februar.

Hier brüteten die Kommunalpolitiker über den Leitlinien, die der Kompass für die künftigen Veränderungsmaßnahmen sein sollen. Am Ende wurden zehn Bekenntnisse herausgefiltert, die Gemeinderäte stimmten über deren Priorisierung ab. Das Ergebnis hat "gewundert, gefreut und beeindruckt", stellte Kipp auf Anfrage der SZ fest - und es verschafft der Gemeinde ein Alleinstellungsmerkmal im Landkreis München und darüber hinaus.

"Wir werden nicht nur Freunde erleben", ist man sich im Rathaus sicher

So steht an oberster Stelle die Leitlinie: "Gräfelfing schafft Raum für Experimente. Neue Mobilitäts-Ideen sollen getestet und aus den Ergebnissen der Pilotprojekte gelernt werden." Das ist ein Novum für eine Kommune, "hier wird was riskiert", sagte Verkehrsexperte Kipp am Donnerstagabend im Bauausschuss. Üblicherweise würden Kommunen auf das setzen, was sich in der Vergangenheit bewährt habe, sie wagten selten Neues. Die Gräfelfinger Gemeinderäte haben sich nun selbst den Stempel aufgedrückt, neue Wege gehen zu wollen.

Andere Leitlinien legen das ebenfalls nahe. "Der Verkehrsraum soll fair auf alle Verkehrsarten verteilt werden", heißt es in Leitlinie drei und die Gemeinde will es sich zur Aufgabe machen, ihre Bürger "für nachhaltige Mobilität zu begeistern". Es werden auch gewagte Wünsche formuliert: So soll der öffentliche Personennahverkehr eine "zuverlässige, zügige, bequeme und einfach nutzbare Mobilitätsoption für alle Bevölkerungsgruppen sein."

Ende März muss der Gemeinderat den Leitlinien noch im großen Gremium zustimmen. Dann wird es ernst. Kipp und Hellmuth Ammerl vom Ingenieurbüro Obermeyer werden bis zum Herbst konkrete Maßnahmen zu den Leitlinien erarbeiten. Es wird sich dann zeigen, wie mutig und experimentierfreudig die Gemeinderäte wirklich sind. Im Moment sind die Leitlinien noch "ein weiches Kissen", stellte Jörg Scholler (FDP) fest. Sie klingen gut und tun keinem weh. Wenn sie jedoch mit Leben gefüllt werden, werden sich auch kontroverse Themen offenbaren.

Wenn etwa Fußgänger und Radfahrer mehr Raum erhalten sollen, werden Autofahrer wohl zurückstecken müssen. "Wir werden nicht nur Freude erleben", sagte Ernstberger voraus. Annette Rosellen (Interessengemeinschaft Gartenstadt Gräfelfing/IGG) hofft derweil, dass der Gemeinderat den Mut aufbringt, trotz "Schmerzen, Ecken und Kanten", die die Maßnahmen für einzelne Bürger bedeuten werden, den Weg der Mobilitätswende zu gehen. Die wird auf jeden Fall nicht morgen vor der Tür stehen, sondern sich Schritt für Schritt vollziehen. Als Zeithorizont hatten die Gemeinderäte bei der Leitlinienberatung für ihr neues Verkehrskonzept das Jahr 2035 vor Augen.

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