Süddeutsche Zeitung

Bierbrauer-Schule Gräfelfing:Neuer Platz für Hopfen und Malz

Die Doemens Akademie ist aus beengten Räumen im Gräfelfinger Ortszentrum in einen großzügigen Neubau ins Gewerbegebiet gezogen. Bei der Ausbildung der angehenden Braumeister werden Traditionen aber weiter hochgehalten.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Mit so einer "Fieselarbeit" hat er nicht gerechnet. Luis Sailer, angehender Braumeister, beugt sich im weißen Laborkittel über seinen Arbeitstisch und sortiert Gerstenkörner mit der Pinzette. Vorher hat er sie mit einer speziellen Schneidemaschine in zwei Hälften geteilt. Mit der Pinzette dreht er die Körner nun von rechts nach links, um zu untersuchen, ob der Keim in beiden Kornhälften enthalten ist. Es ist ein Qualitätskriterium: Ohne Keim keimt das Korn nicht, das ist aber die Voraussetzung für die Herstellung von Malz, das man zum Bierbrauen braucht. Eine Lieferung nicht keimfähiger Gerste würde er als Braumeister bei der Lieferung ablehnen, erklärt Sailer.

Die Praktikumseinheit der Braumeisterschüler am Donnerstagvormittag findet in den noch nahezu unberührten Laborräumen der Doemens Akademie am neuen Standort im Gräfelfinger Gewerbegebiet statt. Erst im Oktober fand nach zweieinhalb Jahren Bauzeit der Umzug statt. Das weißleuchtende Gebäude, markant an der Ecke Pasinger und Lohenstraße als Prestigeobjekt platziert, beherbergt in Doemens ein renommiertes, international agierendes Fortbildungs- und Beratungsunternehmen für die Brau-, Getränke-, und Lebensmittelwirtschaft. Unter dem Dach werden unter anderem Brau-, Lebensmittelindustrie- und Getränkebetriebsmeister ausgebildet, obendrein ziehen internationale Kurse, die auf Englisch gehalten werden, Schüler aus allen Kontinenten nach Gräfelfing. In der zusätzlichen Rolle als Beratungsunternehmen unterstützt Doemens die Branche, etwa bei der Produktentwicklung.

Fast 30 Millionen Euro hat die neue Lehrstätte gekostet, zu der auch die runderneuerte technische Ausstattung gehört: eine komplette Versuchs- und Lehrbrauerei samt Gär- und Lagerkeller und Abfüllanlage. Laborräume für Mikrobiologie und Biotechnologie, Schulungs- und Seminarräume machen die Akademie komplett.

Und in all dem Hochglanz modernster Technologie wird im Labor Gerste mit der Pinzette sortiert und das Auge des Braumeisters geschult. Im neuen Gebäude wird der Bogen, den Doemens spannt, noch sichtbarer: Braumeisterkunst wird von der Pike auf gelernt, traditionelles Handwerk paart sich mit moderner Technologie, Theorie und Praxis sind eng verzahnt. "Der Neubau reflektiert, dass wir am Puls der Zeit in der Branche sind", sagt Marlene Speck, die an der Genussakademie, einem weiteren Ausbildungsangebot der Schule, zum Biersommelier ausbildet.

Vorher, in der Stefanusstraße im Gräfelfinger Ortszentrum, wo Doemens seit 1966 sein Domizil hatte, sei es halt eher "gemütlich" gewesen, erklärt sie. Man könnte auch sagen: viel zu eng und zu klein. "Wie die Eichhörnchen" hätten die Lehrkräfte ihre Unterrichtsmaterialien in den Ecken verstaut und versteckt vor dem Zugriff anderer. Jetzt gibt es Platz und Klarheit. "Es ist ein ganz anderes Arbeiten", sagt Speck - einen "Quantensprung", nennt es Andreas Hofbauer, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Es war ein langes Ringen, bis Doemens sich den Standort im Gewerbegebiet sichern konnte. Die Gemeinde hat hier unterstützt, ihr Vorkaufsrecht für das Grundstück gezogen, es an Doemens gegeben und dafür den ehemaligen Standort als Filetstück im Ortszentrum erhalten, wo nun Wohnungen entwickelt werden.

Jetzt hat Doemens 3800 Quadratmeter Platz, verteilt auf vier Ebenen, ein Luxusgefühl. Es gibt sogar Besprechungsräume, ein Novum für Doemens, sagt Andreas Hofbauer, der mit dem stellvertretenden Schulleiter Andreas Brandl durch das neue Gebäude führt. Viel Sichtbeton, ein großzügiges Treppenhaus, in dem über den ganzen Vormittag Schüler - in der Spitze sind es 150 - treppauf, treppab ziehen, dazu weite Flure und großräumige Treffpunkte vor den Seminarräumen. An einem finden sich gerade die Mitglieder eines Biersommelier-Lehrgangs im Kreis zusammen. Über zwei Wochen hinweg lernen sie alles über Schanktechnik, Bierherstellung, Sensorik oder Bierpräsentation. Und wieder klingt die Tradition mit an: Um 7.30 Uhr ist Unterrichtsbeginn, weil da traditionell der Brauer seine erste Brotzeit zu sich nimmt, wie Hofbauer erklärt.

Ganzer Stolz der Akademie ist das Technikum im Erdgeschoß mit der Versuchs- und Lehrbrauerei, das "Herzstück" wie es bei Doemens heißt. Hier findet die in den Obergeschossen gelehrte Theorie zur Praxis, das Markenzeichen von Doemens. Durch große Fenster im Eingangsbereich wird der Blick frei ins Sudhaus mit den neuen Edelstahlbehältern, wo der erste Schritt der Bierbereitung vollzogen wird. Ein gäriger Geruch hängt in der Luft. "Goldgelb und blank" sollte die Würze sein, die in den Behältern ist, sagt Andreas Brandl. Und wieder braucht der Brauer nicht nur Technik, sondern auch sein geschultes Auge. Vom Sudhaus geht es weiter in den Gär- und Lagerkeller. "Das Gebäude wurde um die Anlagen gebaut", erklärt Hofbauer. Es gebe jetzt deutlich mehr Kapazitäten, zum Beispiel mehr Lagertanks und erstmals eine Anlage zur Herstellung von alkoholfreiem Bier, was sehr im Trend liege.

Dass hinter Doemens große Teile der Getränke- und Lebensmittelwirtschaft stehen, wird zur Schau getragen. An den Türen im Technikum hängen Schilder mit den Namen der jeweiligen Sponsoren. Eine zwölf Meter hohe leuchtende Säule, auf der alle Spender mit ihrem Logo aufgeführt sind, ist das dominante Gestaltungselement des Treppenhauses. Die Millionen-Bausumme wurde unter anderem finanziert mit Zuschüssen aus dem Wirtschafts- und Kultusministerium, zudem wurde eigens ein "Freunde- und Förderkreis Doemens 2020" als eingetragener Verein gegründet, der Spenden aus der Wirtschaft eingesammelt hat, darunter finden sich große und kleine Brauereien.

Mit dem Umzug schlägt Doemens ein neues Kapitel in der mehr als hundertjährigen Geschichte auf. Die Vergangenheit darf aber noch ein wenig mitschwingen. Mit umgezogen sind zum Beispiel die Bierkrüge früherer Meisterklassen, die in einer Glasvitrine Platz gefunden haben und wie Fremdkörper wirken im funktionalen Neubau. Dazu gehören auch der Wetterhahn und das geschmiedete Ziergitter, das früher die Kantine in der Stefanusstraße schmückte, als sie noch "Stanglwirtin" hieß, und das nun an der modernen Holzfassade im Akademiegarten prangt. Jetzt heißt die Kantine Schalander, wie der traditionelle Pausenraum der Brauer. Hier dominiert der alte Doemens-Zapfhahn auf der blanken Theke. Außer Reliquien ist auch "das Doemens-Flair mitumgezogen", wie Andreas Brandl sagt. Offenheit und Begegnung auf Augenhöhe gehörten dazu. Im Schalander, dem zweiten Herzstück der Schule, wird es täglich gelebt. Zur Mittagszeit füllen sich die Plätze. Hier wird gegessen, in Loungemöbeln pausiert und nach Schulschluss um 16.15 Uhr noch gemeinsam gelernt, was früher nicht möglich war. Bei allem neuen Glanz will Doemens laut Brandl bleiben, was es immer war: ein familiärer Betrieb, der den Gemeinschaftsgedanken Gedanken hochhält. Wer durch die Tür kommt, wird Doemensianer und wer wieder hinausgeht, bleibt einer.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2021
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