Süddeutsche Zeitung

Gräfelfing:"Der Gemeinde wird ihr eigener Erfolg zur Gefahr"

Die frühere Bürgermeisterin Uta Wüst veranstaltet eine Gesprächsreihe über den bedrohten Gartenstadtcharakter

Interview von Annette Jäger, Gräfelfing

Die Furcht vor dem Verlust des Gartenstadt-Charakters der Gemeinde Gräfelfing treibt so manchen Bürger um. Kritik an einer zu dichten und zu urbanen Bebauung in der Gemeinde, die unter anderem vereinzelt auf der Bürgerversammlung im Oktober geäußert wurde, sind nun Anlass für die Interessengemeinschaft Gartenstadt Gräfelfing (IGG), eine Gesprächsreihe zu starten. Am Montag, 22. Oktober, wird um 19 Uhr in der Gaststätte Gräfelfinger, Scharnitzer Straße 1, zum Thema "Stirbt die Gartenstadt Gräfelfing an ihrem Erfolg?" diskutiert. Das unabhängige Bürgerforum IGG verfolgt seit mehr als 50 Jahren das Ziel, die Gartenstadt zu bewahren. Die Bürgerforum-Vorsitzende Uta Wüst war in der vergangenen Amtsperiode Bürgermeisterin von Gräfelfing.

SZ: Ist die Gartenstadt in Gefahr?

Uta Wüst: Die Bürgerversammlung war der Auslöser für die Gesprächsreihe. Es waren wenige, aber doch deutliche Stimmen, die dort den Verlust der Gartenstadt beklagt haben. Außerdem kriegen wir als IGG auch an anderer Stelle Rückmeldungen von Bürgern, die die Veränderungen am Bürgerhaus mit dem geplanten Turm zu massiv finden, ebenso die geplante Bebauung eines Wohn- und Geschäftshauses gegenüber am Kreisverkehr in der Bahnhofstraße 105. Der letzte große Bauschub gemeindlicher Projekte fand in den 1970er und 1980er Jahren statt. Jetzt stehen viele Sanierungen an, es wird viel neu gebaut, das bietet gerade viel Diskussionsstoff. Nicht zuletzt wird der Gemeinde ihr eigener Erfolg zur Gefahr: es ist hier so schön und deshalb auch so teuer, weshalb Bauherren das maximale Baurecht ausschöpfen wollen. Das wirkt sich bei privaten Bauvorhaben natürlich stark auf die Größe der Gärten aus.

Ist die Verteidigung einer Gartenstadt angesichts millionenteurer Grundstücke zeitgemäß? Zieht man damit nicht nur eine Schicht an, die es sich eben leisten kann, hier zu bauen?

Was Gartenstadt genau bedeutet, war ein intensiv diskutiertes Thema in unserem Leitbild. Natürlich wollen wir nicht nur die Villengrundstücke mit den großen Gärten konservieren. Gartenstadt hat auch einen sozialen Aspekt, es steht eine Haltung dahinter. Wir wollen keine Abschottung, sondern ein soziales Miteinander. Es geht um Wohnen im Grünen für alle Generationen, dazu gehört die Gestaltung öffentlicher Grünflächen und von Plätzen, auch ein Gewerbegebiet mit Aufenthaltsqualitäten oder eine individuelle Gestaltung der Bahnsteige. Es ist ein Spagat, zu verdichten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig den Gartenstadtcharakter zu bewahren.

Wie kann das gelingen?

Letztlich geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen für die Qualität unseres Umfelds und diesen Wert zu schätzen. Die Gemeinde kann bei ihren eigenen Bauprojekten Vorbild sein, die Gestaltung in den Vordergrund rücken und den öffentlichen Straßenraum gleich mitgestalten. Architektenwettbewerbe bieten sich für so etwas an. In der Gesprächsreihe wollen wir genau das debattieren: Wie sieht die Gartenstadt der Zukunft aus, kann man gegenhalten und wenn ja, wie?

Für die Veranstaltung gilt die 2G-Regelung, Luftreinigungsgeräte sind vorhanden.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2021
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