Gleichberechtigung:"Raus mit den Männern"

Gleichberechtigung: Elfie Kriester, Karin Sommer, Fritz Letsch sowie Anlis Spitzauer (v.l.) bei der Lesung in Sauerlach.

Elfie Kriester, Karin Sommer, Fritz Letsch sowie Anlis Spitzauer (v.l.) bei der Lesung in Sauerlach.

(Foto: Claus Schunk)

Lesung im Sauerlacher Rathaus erinnert an die ersten Frauen im Bayerischen Landtag

Von Julian Carlos Betz, Sauerlach

Fast 50 Zuhörer sind gekommen, damit hatte Bürgermeisterin Barbara Bogner (UBV) jedenfalls nicht gerechnet, wie sie erfreut zugibt. Zwar seien vor allem Zuhörerinnen anwesend und nur ein paar Männer (eine Hand voll), doch das habe man wiederum erwartet. "Hysterische Furien und schnatternde Gänse", unter dieser Überschrift versammeln sich die Interessierten im Sauerlacher Rathaus, um Kulturwissenschaftlerin Karin Sommer und ihrem Team bei der szenischen Lesung des Buches "Frauenleben in Bayern", bei dem sie als Co-Autorin mitgewirkt hat, beizuwohnen. Die Stimmung ist ausnehmend gut, Hysterie kann der männliche Beobachter auf den ersten Blick jedenfalls nicht entdecken.

Schon bevor man den Sitzungssaal betritt, informieren Plakate über das Thema Frauenwahlrecht. Die Inhalte werden von den Ankommenden nicht nur gelesen, sondern auch diskutiert. Die vom Helene-Weber-Kolleg stammenden Plakate hat Angelika Rettenbeck, Leiterin der Volkshochschule Sauerlach, für die Ausstellung organisiert. Zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts wollte sie einen "größeren Rahmen" schaffen und hat die Ausstellung zum Thema "Die Mütter des Grundgesetzes" in den Räumen des Rathauses und der Volkshochschule realisiert. Die Lesung sollte schließlich den Abschluss bilden, anschließend wird die Ausstellung jedoch nach Oberhaching "weiterwandern".

Mit Beginn des Abends geht es dann gleich in die Vollen: "Raus mit den Männern!" skandiert der stampfend einmarschierende Chor um die Wissenschaftler Elfie Kriester, Anlis Spitzauer, Fritz Letsch sowie Karin Sommer selbst. Die vier nehmen an diesem Abend verschiedene Rollen ein, um den Alltag der politisch aktiven Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts angemessen darzustellen. Nach dieser ersten Kampfansage werden der Zuhörer und die Zuhörerin schließlich in die aufreibende Geschichte um den Kampf der Frauen für ihre Rechte mitgenommen. Bissige Zitate von Presse und Politikern der damaligen Zeit werden vorgetragen und mit entsprechend kernigen Entgegnungen der wortgewandten Frauen gekontert. Dabei wird im Publikum nicht selten gelacht, mal kopfschüttelnd, mal zustimmend.

Die damaligen Protagonistinnen um die erste promovierte Juristin im Kaiserreich Anita Augspurg, die 1907 den Bayerischen Landesverein für Frauenstimmrecht mitbegründete, Rosa Aschenbrenner, die wegen ihrer sozialistischen, später kommunistischen Ansichten auch "rote Rosa" genannt wurde, sowie weitere wichtige Wegbereiterinnen weiblicher Mitbestimmung mussten dabei nicht nur gegen die männlichen Widersacher zu Felde ziehen, welche die Frauen gerne "an die Kette legen" würden (so ein Zitat aus der Presse von 1902), sondern auch gegen sich selbst. Denn parteilich waren die wenigen Frauen im Bayerischen Landtag nach 1918 wie ihre Kontrahenten in linke und rechte, sozialistische und bürgerliche Lager geteilt. Das erschwerte den Kampf gegen den gemeinsamen Feind und oftmals mussten bürgerliche Abgeordnete erst überzeugt werden, beispielsweise zur Öffnung der Gerichte für Frauen als Schöffinnen.

Als ein großes Problem galten auch die ungleichen Bildungschancen von Mann und Frau. So wies der Anarchist und Buchautor Otto Feige, alias B. Traven und Ret Marut, darauf hin, dass die systematische Unbildung der Frauen dazu führe, dass selbst bei einer Erteilung des Wahlrechts keine reflektierte Urteilsbildung stattfinden könne und die männlichen Befürworter dieses Rechts lediglich eine leicht zu manipulierende Wählerschaft dazugewinnen wollten.

Auch die Sprache bildete eine Hürde. Der erste Ministerpräsident Bayerns Kurt Eisner, der den provisorischen Nationalrat 1918 leitete und nicht als Frauenfeind galt, sprach die versammelten Abgeordneten lediglich mit "meine sehr verehrten Herren" an. Auch später tat man sich noch schwer mit der Anrede und künstliche Ungetüme wie "meine sehr verehrten Herren und Frauen" wurden gebildet.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten war es dann erst mal vorbei mit der Mitbestimmung. Die politisch aktiven Frauen passten nicht in die Ideologie und verschwanden damit von der Bildfläche, oft auch in Haft. Erst 1946 konnten dann wieder sechs Frauen bei der Einführung der bayerischen Verfassung mitarbeiten. Ebenso wie die vier "Mütter" drei Jahre später bei der Formulierung des Grundgesetzes und dem wirkmächtigen Artikel 3, Absatz 2, Satz 1: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt".

Die Bürgermeisterin quittierte den Abend noch mit einer Kiste Wein und der Bemerkung, dass sie selbst eigentlich nie Ungerechtigkeiten wegen ihres Geschlechts erlebt habe. Erst im politischen Sauerlach sei ihr dann aufgefallen, dass es da wohl doch einige Unterschiede gebe. Darauf trank man dann in geselliger Runde erst mal ein Glas vom spendierten Wein.

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