Flucht und Integration:Kommunen an der Belastungsgrenze

Flucht und Integration: Eine der neuesten Flüchtlingssiedlungen: das Containerdorf auf der alten Landebahn im Landschaftspark zwischen Neubiberg und Unterhaching.

Eine der neuesten Flüchtlingssiedlungen: das Containerdorf auf der alten Landebahn im Landschaftspark zwischen Neubiberg und Unterhaching.

(Foto: Catherina Hess)

Aktuell sind im Landkreis München etwa 4500 Geflüchtete in staatlichen Unterkünften untergebracht. Die Zahl der Neuankömmlinge steigt seit Monaten erheblich.

Von Stefan Galler und Iris Hilberth, Landkreis München

Die schlimmen Bilder vom Erdbeben in der Türkei und in Syrien dominieren aktuell die Nachrichten - und die Katastrophe könnte auch Auswirkungen auf Mitteleuropa, Deutschland und Bayern haben. Denn es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sich zahlreiche Überlebende, deren Häuser zerstört sind, auf den Weg machen und ihre Heimat verlassen. Das zumindest hat die CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Flüchtlingsstaatssekretärin in Nordrhein-Westfalen, Serap Güler, bereits gemutmaßt. In einen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte die Tochter türkischer Gastarbeiter: "Eine neue Flüchtlingswelle ist nach dem Erdbeben möglich."

Das könnte Landkreise und Kommunen vor noch größere Schwierigkeiten stellen. Sie haben schon länger darauf hingewiesen, dass sie mit der Unterbringung von Geflüchteten am Limit sind, bereits bevor die Erde in Syrien und der Türkei bebte. Auch im Landkreis München ist die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in den vergangenen Monaten erheblich gestiegen. Laut Landratsamt sind aktuell etwa 4500 Menschen in staatlichen Unterkünften untergebracht, im gesamten Landkreis gibt es 39 Groß- und Notunterkünfte. "Darüber hinaus stehen dem Landratsamt knapp 200 Wohnungen oder Häuser mit Raum für eine bis 30 Personen zur Verfügung. Zudem haben wir noch einige Hotels oder Pensionen angemietet", teilt die Pressestelle des Landratsamtes auf SZ-Nachfrage mit.

Alleine in den vergangenen Monaten sind vier neue Unterkünfte entstanden und bereits zum Teil belegt worden, und zwar in Neubiberg (maximal 432 Personen), Haar (44), Unterhaching (260) und Unterschleißheim (116). Weitere Einrichtungen sind derzeit im Entstehen: in Unterföhring (330 Plätze), Kirchheim (200 Plätze), Ottobrunn (210 Plätze) und in Grünwald (116 Plätze).

Noch seien Plätze verfügbar, heißt es aus dem Landratsamt. So werde in der kommenden Woche wieder ein Bus mit 50 Flüchtlingen erwartet, diese Personen könne man unterbringen. "Wie viele Plätze wirklich belegbar sind, hängt immer auch davon ab, wer zu uns kommt, ob Einzelpersonen oder Personen im Familienverbund", erläutert Landratsamtssprecherin Christine Spiegel. Nicht immer könne jeder Platz, der auf dem Papier vorhanden ist, belegt werden. Oft müssten die Kollegen auch Personen von einer Unterkunft in eine andere verlegen oder innerhalb der Unterkunft, um etwa eine Familie gemeinsam unterzubringen.

Die Grünen-Politikerin Nina Hartmann, Dritte Bürgermeisterin in Oberhaching und bei der Caritas zuständig für Flüchtlingsbetreuung und Integration, bestätigt: "Das Geschehen ist derzeit sehr dynamisch." Fakt ist, dass die Zahlen weiter steigen, nicht nur aus der Ukraine, auch aus dem Mittleren Osten kommen Menschen, sagt Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD). "Es wird wieder zugeteilt, es gibt wieder Bedarf."

Dabei seien viele Kommunen bereits an der Belastungsgrenze. Man sei "gut voll, zentral und dezentral", so Greulich. Mittlerweile bringe Ismaning etwa 300 Flüchtlinge unter, "damit kommen wir auf 200 Prozent unserer Zuteilungsquote". So lange es freie Betten gebe, sei selbstverständlich, dass man diese auch belegen wolle, allerdings sei es damit ja nicht getan. "Da hängt irrsinnig viel dran, man muss die Kinderbetreuung gewährleisten, Schulplätze schaffen, die Helferkreise sind gefordert und auch die Tafeln." Und gerade dort macht Greulich in jüngster Zeit, auch durch die Inflation, große Probleme aus: "Ich habe mir in der Vorweihnachtszeit selbst ein Bild vom Ismaninger Tisch gemacht: Die Leute, die die Angebote wahrnehmen, werden immer mehr, der Bedarf immer größer."

"Nicht in der Situation, Turnhallen umfunktionieren zu müssen"

Besonders ärgerlich ist dann, wenn die Voraussetzungen für Hilfeleistungen geschaffen werden, es jedoch trotzdem hakt, wie aktuell in Ottobrunn: Die Containeranlage an der Rosenheimer Landstraße auf dem Johanniter-Grundstück im Süden der Gemeinde ist längst genehmigt, die Errichtung jedoch "zieht sich", wie Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) sagt: "Ich weiß nicht, woran es liegt, womöglich daran, dass die Container derzeit nicht lieferbar sind." Es habe jedenfalls nichts mit Protesten von Anwohnern zu tun, die bei der Gemeinde einen Baustopp erwirken wollten. "Wir haben den Anwohnern mitgeteilt, dass baurechtlich und politisch von unserer Seite alles klar ist", so Loderer. Deshalb werde es hier auch keine Wende geben.

Insgesamt ist die Flüchtlingssituation derzeit in Ottobrunn nach Aussage des Bürgermeisters nicht dramatisch. Neben der entstehenden Containeranlage habe das Landratsamt die oberen Stockwerke im Hotel Pazific zu einer Unterkunft für Flüchtlinge aus der Ukraine umgebaut und auf zehn Jahre angemietet. "Ich sehe uns aktuell nicht in der Situation, dass wir die Turnhallen zu Unterkünften umfunktionieren müssen", so Loderer. "Auch wenn man das natürlich nicht kategorisch ausschließen kann."

In Unterhaching wird unterdessen die bestehende Flüchtlingsunterkunft in Modulbauweise an der Hachinger Haid erweitert. Die Einrichtung soll in diesem Jahr fertig werden und Platz für weitere 120 Menschen bieten. Der 2015 errichtete Teil ist laut Rathaussprecher Simon Hötzl zu zwei Drittel belegt. Bis zu 75 Personen könnte man hier unterbringen, je nachdem ob Familien oder Einzelpersonen. Zudem steht an der Biberger Straße aktuell ein Containerdorf, in dem etwa 200 Geflüchtete wohnen. Damit sei Unterhaching in Bezug auf die Integrationsfähigkeit an seiner Grenze angekommen, so Hötzl, zumal auch die Neubiberger Unterkunft am Landschaftspark in Unterhachinger Einzugsbereich liegt. Hötzl betont: "Für eine weitere Unterkunft fehlt uns schlichtweg auch der Platz."

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