Süddeutsche Zeitung

Gaufest:Eine Lebenseinstellung

Der Ismaninger Trachtenverein feiert sein 110-jähriges Bestehen. Wie fast alle Institutionen, die sich der Tradition verpflichten, plagen die Trachtler Nachwuchssorgen. Dennoch blicken sie optimistisch in die Zukunft.

Von Anna-Maria Salmen

Es war im Sommer 1909, als eine kleine Gruppe junger Männer in einer Ismaninger Gaststätte einen Trachtenverein gründete. Die Zeiten haben sich seither zwar geändert, doch das Ziel ist gleich geblieben: Die Sitten und Bräuche der Vorfahren zu erhalten. Am kommenden Wochenende feiern die Trachtler nun ihr 110-jähriges Bestehen. Doch nicht nur die Ismaninger blicken auf eine lange Geschichte zurück, viele weitere Vereine im Landkreis stehen ebenfalls vor einem Jubiläum. Nur eine Woche später findet das 100-jährige Gründungsfest der Ammertaler aus Ottendichl statt, Anfang Juli feiern die Großhelfendorfer Goldbergler und in zwei Jahren sind die Hachingertaler aus Unterhaching an der Reihe.

Sie alle kämpfen darum, in der heutigen Zeit lebendig zu bleiben. "Wir sind eben kein "In-Verein", sagt Rosina Müller, zweite Vorsitzende des Ismaninger Trachtenvereins. Es sei momentan schwierig, neue Mitglieder zu finden, erzählt der Vorplattler der Ammertaler, Thomas Baylacher. Besonders beim Nachwuchs gibt es Probleme: "Die Jugend findet sich nicht zurecht mit dem Brauchtum", sagt Silvia Maier-Neumann, Vortänzerin der Hachingertaler. Ihr Mann Rudolf Maier, Vorsitzender des Vereins, fügt hinzu: "Wenn du ein Kind fragst, ob es zum Baden oder zu einer Veranstaltung des Trachtenvereins fahren will, ist die Antwort meistens klar." Das Baden schlägt die Trachten.

Die Gründe hierfür sind nach Ansicht der Trachtler vielfältig. Zum einen spielt laut Maier-Neumann das zu unrecht verbreitete Bild der "Ewiggestrigen" eine Rolle. "Wenn man in Tracht in der S-Bahn unterwegs ist, wird man angeschaut wie das achte Weltwunder", sagt Baylacher. Die Ottendichler Jugendleiterin Heike Hardi hat sich in derartigen Situationen früher sogar geschämt, sagt sie. Ihre Tochter Katharina sieht das anders: "Ich stehe dazu und trage das gern." Seit sie laufen kann, ist die 15-Jährige bei den Ammertalern, "und ich würde es nie aufgeben." Mit ihren Gewändern habe sie sogar Freunde dazu ermutigt, Tracht zu tragen. Schlechtere Erfahrungen hat hingegen ihr Bruder Andreas gemacht: Der Elfjährige wurde in der Schule geärgert, weil er Trachtler ist. Katharina glaubt: "Viele Leute trauen es sich nicht, zum Trachtenverein zu gehen. Sie denken, dass andere das nicht gut finden."

"Wir müssen zeigen, dass wir nicht angestaubt sind", sagt ihr Vater Markus Hardi, Vorsitzender der Ammertaler. Denn in der etwa 100-jährigen Geschichte vieler Trachtenvereine hat sich einiges geändert. "Die Strukturen haben sich gelockert", sagt die Ismaningerin Müller. "Wir haben bei uns einen Bulgaren aufgenommen, der unbedingt Schuhplattln wollte. Vor 30 Jahren wäre das undenkbar gewesen." Auch die Ottendichler haben Mitglieder aus Ländern wie Italien, Schottland oder den Niederlanden, wie sie erzählen. Ein Trachtenverein bedeute schließlich nicht nur, in traditionellem Gewand aufzutreten. Viel mehr gehört dazu, von Volkstänzen über Musik bis hin zum Bauerntheater. Den Trachtlern ist es auch wichtig, einfach gemütlich zusammenzusitzen, etwa bei Vereinsabenden. "Es ist wie eine Familie", sagt Heike Hardi. Diese Gemeinschaft sei nicht rückständig: "Man muss zwar das Alte bewahren, aber auch offen für das Moderne sein", sagt sie.

Häufig müssen sich die Trachtenvereine auch gegen starke Konkurrenz behaupten. In Unterhaching gebe es beispielsweise die Feuerwehr sowie den Burschenverein, sagt Rudolf Maier, und alle würden lieber unter sich bleiben. Ein weiteres Kriterium ist nicht zu verachten: Traditionelle Trachten werden per Hand geschneidert und sind dementsprechend teuer. Der Silberschmuck für ein Dirndlgewand kostet nach Aussage der Maiers etwa 500 Euro, der Schalk, eine aufwendig verzierte Robe für Frauen, kommt auf 3500 Euro. "Viele fahren für das Geld lieber in den Urlaub", sagt der Vorsitzende der Hachingertaler.

Was kann man also unternehmen, um die Trachtenvereine wieder beliebter zu machen? Viele besuchen Schulen und Kindergärten, um den nächsten Generationen das bayerische Brauchtum wieder näher zu bringen. Rosina Müller erzählt von einer besonderen Aktion: Gemeinsam mit anderen Vereinen haben die Ismaninger vor Kurzem in der Münchner Innenstadt einen spontanen Tanz in Tracht aufgeführt. Die Unterhachinger sehen das skeptisch, so etwas sei schnell wieder vergessen. "Unsere Zeit ist schnelllebig. Da hat ein Trachtenverein kaum Chancen", sagt Maier.

Was die Bedeutung ihrer Leidenschaft betrifft, sind sich jedoch alle Trachtler einig. "Es ist eine Lebenseinstellung, die wir weitergeben möchten", sagt der Ottendichler Baylacher. Maier ist überzeugt: "Ohne unsere Vereine würde die Tracht heute im Museum hängen." Wie es in Zukunft weitergeht, können viele nicht einschätzen. Baylacher macht sich Sorgen um die Ammertaler, sagt er. Deren Vorsitzender Hardi plant, durch neue Aktivitäten wie beispielsweise das "Goasslschnalzen" wieder mehr Menschen begeistern zu können. "Wir haben noch nicht aufgegeben." Auch die Ismaningerin Müller ist zuversichtlich: "Es geht immer irgendwie weiter."

Die Jubiläumsfeier des Ismaninger Trachtenvereins beginnt am Samstag, 22. Juni, um 19 Uhr mit einem Tanzabend im Festzelt am Eisweiher. Einlass ist um 18 Uhr, der Eintritt ist frei. Am Sonntag, 23. Juni, findet von 14 Uhr an im Ortskern ein Umzug statt, an dem etwa 6o Trachtenvereine teilnehmen.

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SZ vom 17.06.2019/wat
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