"Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." Bevor der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher diesen Satz vollenden konnte, brachen die versammelten Flüchtlinge aus der DDR vor der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Jubel aus. Unter ihnen war auch Jens Hase, der zuvor eine abenteuerliche Flucht erlebt hatte. Über seine Erfahrungen berichtete der 49-Jährige den Zehntklässlern des Garchinger Werner-Heisenberg-Gymnasiums bei einem Zeitzeugenvortrag.
Auch im Unterricht haben die Schüler sich schon mit der Geschichte der DDR beschäftigt. Aus nüchternen Schulbüchern konnten sie sich jedoch das "echte Leben" der DDR-Bürger nicht vorstellen, wie sie in einem kurzen Video zu Beginn des Vortrags erklärten. Um den Jugendlichen also einen lebensnahen Einblick in die Zeit der DDR zu ermöglichen, lud das Gymnasium Jens Hase ein. Bereits im Vorfeld informierten sich die Schüler über die Arbeit mit Zeitzeugen, recherchierten historische Hintergründe zur deutschen Botschaft in Prag sowie zu Hases Leben. Die Vorbereitung beeindruckte den Gast. "Das macht es mir auch leichter. Einmal habe ich einen Vortrag in einer Schule gehalten, in der die Schüler dachten, es käme ein Zeuge aus der Zeit der Reichspogromnacht", sagte er.
Geboren im Jahr 1970 im thüringischen Eisenach, wuchs er nur wenige Kilometer von der bundesdeutschen Grenze entfernt auf. Diese war ihm allerdings nur als "antifaschistischer Schutzwall" bekannt, denn schon in der Schule wurde den Kindern der Hass auf den Westen und die Treue zur DDR eingeschärft. Selbst militärische Waffen wurden zum Unterrichtsgegenstand. So hat Hase beispielsweise mit Attrappen von Handgranaten das Werfen gelernt. Als die Eltern des damals 19-Jährigen aus gesundheitlichen Gründen in die Bundesrepublik ausreisten und er selbst allein in der DDR zurückblieb, reiften seine Fluchtgedanken. "Die Liebe zu meinen Eltern war größer als meine Angst", sagte er. Spontan machte er sich auf den Weg nach Prag, wo sich bereits Flüchtlinge aus der DDR vor der deutschen Botschaft versammelt hatten. Nach langer Suche gelang es ihm schließlich, das Gelände zu erreichen - verfolgt von Polizisten mit Maschinengewehren. Nach der Ausreise mit dem Sonderzug fand er in Bayern seine Eltern wieder. Die Ankunft in deren Haus sei "einer der schönsten Momente" gewesen. Heute lebt Hase im schwäbischen Günzburg, er begleitet Jugendliche im Augsburger Berufsbildungszentrum bei ihrer Ausbildung und ist ehrenamtlich bei der Polizei tätig. Spürbar gerührt von Hases Geschichte waren auch die Zehntklässler am Werner-Heisenberg-Gymnasium, die gebannt den Vortrag verfolgten. "Wir haben noch nie solche persönlichen Erfahrungen gehört", sagt Leo. Sein Mitschüler Matti fügt hinzu: "Im Unterricht erfährt man zwar etwas über die Geschichte, aber ich wusste nicht, dass die Kinder damals mit Handgranaten Werfen geübt haben." Jens Hase ist es vor allem wichtig, den Jugendlichen eine Botschaft mitzugeben. "Wir Deutsche jammern immer viel, dabei sollten wir dankbar sein", sagt er. "Freiheit ist nicht selbstverständlich - es lohnt sich, jeden Tag dafür zu kämpfen."