Süddeutsche Zeitung

Migration:"Menschliche Begegnungen sind die beste Prävention gegen Vorurteile"

Claudio Cumani leitet seit 2016 den Garchinger Integrationsbeirat, der jetzt vor der Neuwahl steht. Er will die Stimme des Gremiums in der Stadtpolitik stärken und fordert ein Integrationskonzept.

Von Irmengard Gnau, Garching

Der Dialog zwischen den Kulturen beschäftigt Claudio Cumani schon seit Jahrzehnten. Seit bald 30 Jahren lebt und arbeitet der gebürtige Italiener in Garching, wo der Astrophysiker an der Europäischen Südsternwarte ESO als Software-Ingenieur beschäftigt ist. Seit 2016 steht er zudem dem Garchinger Integrationsbeirat vor. In dem Gremium, 2005 ins Leben gerufen, engagieren sich Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund für ein gelingendes Miteinander in der Stadtgesellschaft. In diesem Frühjahr wird der Beirat neu gewählt.

SZ: Herr Cumani, Sie gehören dem Garchinger Integrationsbeirat seit 2009 an, seit 2016 sind Sie dessen Vorsitzender. Was hat Sie motiviert, sich dort zu engagieren?

Claudio Cumani: Ich war schon vorher in der Integrationspolitik engagiert, unter anderem als Vorsitzender des Komitees der Italiener in Bayern. 2009 dachte ich, vielleicht kann ich mein Netzwerk und meine Erfahrungen auch nutzen, um für diese Stadt, in der ich lebe, etwas zu tun. Zusammenleben bedeutet für mich, den Austausch mit anderen zu suchen, neugierig zu sein. Garching ist eine sehr internationale Kommune - hier leben Menschen aus mehr als 120 Nationen. Das ist nicht immer einfach, aber ich sehe das auch als Chance, mit so vielen Menschen aus anderen Kulturen zusammenzuleben.

Ist diese Vielfalt denn allen bewusst?

Es ist immer noch sehr wichtig, bekannt zu machen, dass hier Menschen aus vielen Kulturen zusammenleben, dass ein gutes Zusammenleben und ein angstfreies Miteinander möglich ist, wenn wir aufeinander zugehen. Man lebt oft beieinander, aber nicht unbedingt miteinander. Für jeden, der hier neu ankommt, ist es erstmal eine Herausforderung, in die über lange Jahre gewachsenen Strukturen der Stadtgesellschaft hineinzufinden und seinen Platz zu finden. Beispielsweise bei der Kommunikation: Ist es üblich, mit einem Anliegen direkt auf ein Mitglied des Stadtrats zuzugehen oder baut man zunächst eine persönliche Beziehung auf, bevor man eine Bitte äußert? Kulturelle Unterschiede können dieses Hineinfinden in die Strukturen erschweren, aber im Prinzip sieht man das auch bei Neubürgern zum Beispiel aus Norddeutschland.

"Es hat Verletzungen auf beiden Seiten gegeben."

Was unternehmen Sie als Integrationsbeirat, um das Zusammenleben gelingen zu lassen?

Wir sind eine Gruppe, die viele Sprachen spricht, von Portugiesisch über Farsi, Türkisch, Italienisch, Englisch bis Chinesisch. Die Stadtverwaltung kontaktiert uns oft, wenn Neuankömmlinge in der Stadt ankommen. Wir sind außerdem sehr gut vernetzt. Und wir haben inzwischen ein großes Wissen über kulturelle Besonderheiten und interkulturelle Kommunikation aufgebaut. Oft entstehen Missverständnisse aus kulturellen Unterschieden, die uns gar nicht bewusst sind. In Italien ist es beispielsweise üblich, jemanden im Redefluss zu unterbrechen, wenn man ihm zustimmt. Etwas sehr Positives also - in Deutschland hingegen ist das eine große Unhöflichkeit. Das musste ich auch erst lernen. Wir versuchen als Integrationsbeiräte, bei Konflikten mit solchem kulturellen Hintergrund zu vermitteln oder sie gar nicht erst aufkommen zu lassen, Brücken zwischen den Kulturen zu sein. Wir organisieren mit anderen Garchinger Gruppen Veranstaltungen, etwa ein gemeinsames Fastenbrechen zwischen Muslimen und Christen oder Ausflüge. Das ist auch für mich persönlich bereichernd, ich lerne viel von den anderen. Menschliche Begegnungen sind die beste Prävention gegen Vorurteile.

Zuletzt hat ein Konflikt zwischen den beiden Garchinger Fußballvereinen Türk Sport und VfR die Stimmung in der Stadt belastet. Es ging um Rassismusvorwürfe bei einem Kreisklasse-Spiel der beiden Mannschaften.

Das ist ein sehr sensibles Thema, deshalb möchte ich nicht zu viel dazu sagen. Wir sind als Integrationsbeirat von Anfang an hinzugezogen worden und haben mit allen Seiten geredet. Es hat Verletzungen auf beiden Seiten gegeben. Wir hoffen, dass wir da bald vorankommen und gemeinsam eine Lösung finden, auch zusammen mit dem Bayerischen Fußballverband (BFV). Mit dem BFV mit seinem Konfliktmanager- und Mediatorenprogramm arbeiten wir seit mehr als zwei Jahren vertrauensvoll zusammen; damals konnten wir im Streit um den Militärgruß (den einige türkischstämmige Spieler auf dem Fußballplatz gezeigt hatten, Anm. d. Red.) eine gute Lösung finden.

Wo sehen Sie die wichtigsten Aufgaben des Integrationsbeirats in der kommenden Amtsperiode?

Wir wollen klar machen, dass Integration eine Sache der ganzen Gesellschaft und der Politik auf allen Ebenen ist. Der Stadt Garching fehlt immer noch ein bisschen das Bewusstsein, dass wir eine internationale Stadt sind - zum Beispiel sollte die Homepage einer Universitätsstadt auch in weiteren Sprachen, zumindest auf Englisch, verfügbar sein. Um dieses Bewusstsein zu schärfen, wollen wir noch präsenter sein, unsere Stimme auch in der Stadtpolitik erheben. Ich wünsche mir, dass wir die vielen guten Beispiele, die es schon in Garching gibt, bündeln und endlich ein Integrationskonzept erarbeiten. Dass wir uns gemeinsam die Frage stellen: Wie können 2030 alle Garchinger, egal woher sie stammen, gut zusammenleben? Außerdem wollen wir den Austausch mit Integrationsbeiräten in anderen Kommunen weiter stärken, unter anderem über den bayerischen Dachverband Agaby, über den wir zuletzt viele wertvolle Kontakte geknüpft haben.

Wie sollte der neue Integrationsbeirat aussehen?

Wir versuchen, neue Mitglieder für unser Gremium zu gewinnen, um unseren Horizont noch mehr zu erweitern. Ich hoffe, dass wir auch Vertreter der Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren zu uns gekommen sind, ermutigen können, sich zu engagieren.

Noch bis 28. Januar können sich interessierte Garchinger Bürgerinnen und Bürger als Kandidaten für den Integrationsbeirat bewerben. Nähere Informationen und der Bewerbungsbogen sind erhältlich bei Christopher Redl, Leiter des Fachbereichs Bildung und Soziales der Stadt unter Telefon 089/ 320 89 154 oder per E-Mail an Soziales-netzwerk@garching.de.

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