Garching:Gelebte Vielfalt

Garching: Das Kinderhaus an der Einsteinstraße betreibt die Caritas, ebenfalls ein kirchlicher Träger.

Das Kinderhaus an der Einsteinstraße betreibt die Caritas, ebenfalls ein kirchlicher Träger.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Garchinger Stadtrat entscheidet sich nach kontroverser Debatte für die Diakonie als Träger des neuen Kinderhauses. Die evangelische Einrichtung präsentiert sich als weltoffener Arbeitgeber

Von Gudrun Passarge, Garching

Eine lesbische Hortleiterin, der von der Caritas gekündigt wurde, weil sie angekündigt hatte, ihre Lebensgefährtin zu heiraten; eine Erzieherin der Diakonie, die ihren Job verlor, weil sie in der Freizeit Pornos drehte; ein Arzt, der wegen seiner zweiten Heirat vom kirchlichen Träger vor die Tür gesetzt wurde - es waren wohl Schlagzeilen wie diese, die die Diskussion um die Vergabe der Trägerschaft eines Kinderhauses in Garching auslösten. Doch Franz Frey, Geschäftsbereichsleiter der Diakonie Jugendhilfe Oberbayern für Kindertagesstätten, sieht die Sorge, dass Mitarbeiter der Diakonie wegen ihrer religiösen oder sexuellen Ausrichtung benachteiligt würden, als unbegründet an: "Wir stellen Leute mit Konfession und ohne Konfession ein, unabhängig davon haben wir relativ viele Kolleginnen, die Kopftuch tragen."

Der Garchinger Stadtrat hatte konkret über das Kinderhaus an der Straße "Untere Straßäcker" zu entscheiden, das neu gebaut werden soll. Drei Bewerber waren in die engere Auswahl gekommen: die Johanniter, die Diakonie und die Arbeiterwohlfahrt, die das günstigste Angebot vorgelegt hatte. Cornelia Otto, im Rathaus zuständig für Jugend und Soziales, hatte betont, die Verwaltung könne mit allen drei Bewerbern sehr gut leben. Da es in Garching bisher keine Einrichtung der Diakonie gebe, habe sie sich bei anderen Kommunen erkundigt, "und unisono wurde gesagt, dass sie qualitativ gute Arbeit leistet". Außerdem sei kein Fall einer Kündigung aus religiösen Gründen bekannt. Die Verwaltung und Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) warben für die Diakonie, vor allem weil sie über große Erfahrung in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen verfüge, wovon man sich hier Synergien in der Stadt erhoffe. Außerdem betonte Gruchmann, mit einem neuen Träger in der Stadt vielleicht auch "die Vielfalt bei der Personalsuche" zu erhöhen.

Hans-Peter Adolf, Fraktionschef der Grünen, hatte recherchiert und vom Landratsamt die Auskunft bekommen, dass die minderjährigen Flüchtlinge gar nicht auf Dauer in Garching bleiben sollen, damit sei dieses Argument der Verwaltung schon mal hinfällig. Wegen des kirchlichen Arbeitsrechts befand er, "wenn man sozial denkt, ist es nicht akzeptabel so einen Träger zu nehmen". Auch Nihan Yamak (SPD) kritisierte, dass Caritas und Diakonie das Kirchenrecht über Arbeitsrecht stellten. Was das Bundesverfassungsgericht allerdings in einem Urteil 2014 abgesegnet hatte. Die Richter bestätigten das Recht der Kirchen, die Lebensführung der Mitarbeiter nach kirchlichen Maßstäben zu beurteilen. Für Yamak ist das nicht akzeptabel. Sie nannte das Beispiel eines homosexuellen Mannes, "der seinen Partner verleugnen muss, damit er nicht gekündigt wird". Antidiskriminierung sei "eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das muss raus aus den Köpfen und nicht rein in die Köpfe der Kinder", forderte sie.

Doch es gab auch viele Fürsprecher der Diakonie. "Ich bin erschüttert, mit welcher Vehemenz hier gegen einen kirchlichen Träger argumentiert wird", sagte Joachim Krause, der Fraktionschef der SPD. "Wer einen kirchlichen Arbeitgeber wählt, muss sich auch dessen Bedingungen stellen", meinte Peter Riedl (Unabhängige Garchinger). Armin Scholz (Bürger für Garching) sprach sich gegen die Diakonie aus, machte jedoch einen Kompromissvorschlag. Er forderte, dass vertraglich eine Diskriminierung ausgeschlossen würde, dann könne er dafür stimmen. Als Beispiel nannte er Neuried.

Dort gab es erst jüngst eine ähnliche Diskussion um eine Kinderkrippe, als deren Träger sich unter anderem die Caritas beworben hatte. Letztlich entschieden sich die Gemeinderäte dort jedoch für die Arbeiterwohlfahrt, "wenn auch aus anderen Gründen", wie Inke Franzen erläutert. Sie ist in Neuried für soziale Einrichtungen zuständig. Gleichzeitig beschloss der Gemeinderat, Fakten zu schaffen: Ganz gleich, wer künftig den Zuschlag für ein Kinderhaus bekommt, er muss sich verpflichten, "keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen ihres Familienstandes beziehungsweise dessen Wechsels, wegen ihrer sexuellen Orientierung oder wegen ihrer Zugehörigkeit beziehungsweise Nichtzugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft zu diskriminieren oder zu kündigen".

Franz Frey von der Diakonie empfindet das als den falschen Weg. "Papier ist geduldig", sagt er. "Ich kann die Leute trotzdem unfair behandeln." Ihm sei viel wichtiger darzustellen, dass die Diakonie gut mit den Menschen umgehe. "Wir sind explizit offen und begrüßen die Vielfalt der Gesellschaft." Das zeige eine Kampagne zur Mitarbeiterakquise mit vielen Fotos. Dort seien Beschäftigte unterschiedlicher Nationalität, darunter Frauen mit Kopftuch oder auch erkennbar gleichgeschlechtliche Paare zu sehen. Zudem belegt der Geschäftsbereichsleiter mit einer Stellenanzeige, wie das Diakonische Werk Rosenheim mit dem Thema Vielfalt umgeht. "Wir begrüßen deshalb Bewerbungen von Frauen und Männern, unabhängig von deren kultureller und sozialer Herkunft, Alter, Kirchenzugehörigkeit, Weltanschauung, Behinderung oder sexueller Identität", heißt es in der Ausschreibung für eine Sozialarbeiterstelle. Der einzige Kündigungsgrund, den sich Frey vorstellen kann, ist der Austritt aus der evangelischen Kirche, "da sind wir an die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Bayern gebunden". Gehört jemand dagegen keiner Konfession an, kann er eingestellt werden. Frey verteidigt diese Regel: "Das ist wie ein Mitarbeiter bei einer politischen Partei." Wenn er austritt, dürfe er wohl nicht auf seinem Posten bleiben. Ein Argument, das auch CSU-Fraktionschef Jürgen Ascherl den Grünen entgegengehalten hatte: "Ich glaube nicht, dass ich als CSUler die Chance hätte, einen Job in der Parteizentrale der Grünen zu bekommen." "Aber als SPDler hat man gute Chancen, bei den Grünen unterzukommen", sagte Gruchmann. Gemeint war Werner Landmann, der nach seinem Austritt aus der SPD als Parteiloser nun als viertes Mitglied der Grünenfraktion im Stadtrat sitzt.

Allerdings gibt es auch in den Kirchen selbst Bewegung beim Arbeitsrecht. Künftig sollen Mitarbeiter katholischer Einrichtungen bei Scheidung und standesamtlicher Heirat nur noch in Ausnahmefällen gekündigt werden dürfen. Auch eine eingetragene Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare gilt nicht mehr automatisch als Hindernis für eine Einstellung in einer Einrichtung unter kirchlicher Trägerschaft. Doch nicht alle Bistümer wollen diese Regeln umsetzen, Eichstätt, Passau und Regensburg scheren aus, in Berlin muss der neue Bischof im September darüber entscheiden.

In Garching stimmten schließlich 16 Stadträte für die Diakonie als Träger des neuen Kinderhauses, ohne Wenn und Aber. Vier SPDler, vier Grüne, ein Bürger für Garching waren dagegen.

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