Süddeutsche Zeitung

Autonomes Fahren:Vorsehung auf der Bundesstraße

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Auf der B471 bei Garching sammeln Forscher der Technischen Universität mit Kameras und Radar Daten für das autonome Fahren. Das Ziel: nie mehr Autounfälle.

Von Sebastian Franz, Garching

Sollten Autounfälle irgendwann der Vergangenheit angehören, dann auch dank eines unscheinbaren Stücks Bundesstraße in Garching. Genauer: dank der B 471 zwischen der Autobahnabfahrt Garching-Süd und der Kreuzung mit der Zeppelinstraße. Dort forschen Wissenschaftler des Lehrstuhls für Robotik, künstliche Intelligenz und Echtzeitsysteme der Technischen Universität München (TU) an einem "digitalen Zwilling" des Straßenverkehrs.

Das Projekt heißt Providentia++. Das lateinische Wort heißt "Vorsehung" und steht für "proaktive videobasierte Nutzung von Telekommunikationstechnologien in innovativen Autoverkehr-Szenarien" und bedeutet: Kameras, Radar- und ähnlich funktionierende Lidar-Systeme mit Laserstrahlen sammeln in Echtzeit Daten, anhand derer die Verkehrssituation virtuell abgebildet wird. Vernetzte oder gar autonom fahrende Fahrzeuge greifen auf diesen digitalen Zwilling zu und können so effizienter und sicherer fahren. Das System erkennt beispielsweise, welche Fahrzeuge wie schnell auf welchen Spuren fahren, lange bevor der Fahrer dies sieht. So kommen alle Verkehrsteilnehmer optimal durch den Verkehr, wodurch Staus vermieden werden. Zudem trägt das System dazu bei, Unfällen vorzubeugen, da die Sensorik Gefahren vorhersehen kann.

Damit dieses Szenario einmal Realität wird, testen die Providentia-Forscher das System seit 2017 auf einem Teilstück der A 9. Hier sind hochauflösende Kameras und Radarsysteme auf zwei Schilderbrücken montiert. Andreas Schmitz von der TU versichert: "Hier wird niemand geblitzt, keine Nummernschilder oder Gesichter gespeichert. Unser Projekt ist maximal datenschutzkonform." Die Daten werden über 5G per Funk übertragen. Künstliche Intelligenz hilft dabei, Fahrzeugtypen und -klassen zu erkennen und die Daten zu fusionieren - also besagten digitalen Zwilling zu schaffen. Das Ziel der Wissenschaftler ist, Services zu entwickeln, die beispielsweise die Informationen aus dem digitalen Zwilling dafür nutzen können, eigenständig die Spur auf der Autobahn zu wechseln oder das Tempo zu drosseln.

Providentia++ ist die zweite Phase des Forschungsprojekts. Seit zwei Wochen stehen dafür neue Sensormasten und Rechner; erste Kameras, Radar- und Lidargeräte wurden auf den Schilderbrücken über der B 471 installiert. Die 50 neuen Sensoren für Providentia++ sind alle durch ein Netzwerk verbunden. In einer Woche sollen die ersten Daten fließen. Zurzeit konzentrieren sich die Forscher darauf, den bereits bestehenden digitalen Zwilling so zuverlässig wie möglich zu machen, also auch einsetzbar bei Nebel, Schnee und Starkregen.

Die künstliche Intelligenz erkennt mittlerweile selbst, wenn Messungen unzuverlässig sind; wenn die Daten beispielsweise suggerieren, dass Objekte Zickzack fahren oder über den Gehweg rasen. Die erweiterte Teststrecke ist dafür prädestiniert, kommen hier doch Radfahrer, Fußgänger und verschiedene Fahrzeugtypen zusammen. Die Kreuzung von B 471 und Daimlerstraße dient im Projekt als Blaupause für komplexe Kreuzungen im Stadtverkehr. Nur wenn der digitale Zwilling bei jeder Komplexitätsstufe fehlerfrei funktioniert, kann er einmal helfen, den Straßenverkehr sicherer zu machen.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2021
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