Ein Bündnis aus Umweltschützern, Juristen, Politikern und Wissenschaftlern fordert seit voriger Woche die sofortige Abschaltung des Forschungsreaktors FRM II in Garching bei München, doch die Neutronenquelle steht bereits still - und zwar seit 12. März. Grund sind fehlende Brennelemente, nachdem Frankreich den Transport des hochangereicherten Urans mit einem deutschen Spezialfahrzeug durch sein Land untersagt hat. Wann der Reaktor wieder hochgefahren werden kann, ist offen.
Avishek Maity nutzt die Zeit, um am Dreiachsenspektrometer zu arbeiten. Der Wissenschaftler von der Georg-August-Universität Göttingen justiert Teile des Multidetektors und Multianalysators, danach ist das Spektrometer wieder bereit für das nächste Experiment mit Neutronen. Damit werden dann die Eigenschaften der Atome supraleitender Materialen getestet.
Maity ist einer von circa 1000 Forschern, die davon betroffen sind, dass die Neutronenquelle der TU München derzeit nicht läuft, die als eine der leistungsstärksten weltweit gilt und deshalb von Wissenschaftlern und Industriekunden aus vielen Ländern genutzt wird.
Normalerweise fährt der FRM II bis zu vier Zyklen im Jahr, für die er jeweils ein Brennelement braucht. Das zu 93 Prozent angereicherte Uran kommt aus Russland, in Frankreich wird es verarbeitet. Bisher gab es für die Lieferung nach Deutschland durch ein Spezialunternehmen eine Sondergenehmigung, dieses Mal nicht. "Es sind rein politisch-administrative Probleme", sagt Andrea Voit, Sprecherin der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz, wie der offizielle Name lautet. "Die Schwierigkeit besteht darin, schriftlich festzulegen, wie diese Transporte ablaufen sollen, sodass in beiden Ländern die Sicherheitsbedingungen erfüllt werden."
Dass der Reaktor mit hoch angereichertem Uran arbeitet, das als waffenfähig gilt, war von Anfang an ein Streitpunkt. Eine Umstellung auf niedriger angereichertes Uran (unter 50 Prozent) war in der Genehmigung der Neutronenquelle für 2010 vorgesehen, dann gab es wegen technischer Probleme eine Verlängerung der Frist bis 2018. Doch auch sie verstrich, weil laut Betreiber eine Umstellung technisch nach wie vor nicht möglich ist, vor allem nicht ohne Qualitätsverlust. Aber man forsche daran auf internationaler Ebene.
Kritiker sind der Ansicht, eine Umstellung sei durchaus möglich. An diesem Mittwoch werden der Bund Naturschutz in Bayern, das Umweltinstitut München, die Bürger gegen Atomreaktor Garching und die bayerische Landtagsfraktion der Grünen ein Rechtsgutachten vorstellen, das ihrer Ansicht nach belegt, dass der Einsatz von hoch angereichertem Uran ein Verstoß gegen die Genehmigung ist, weshalb sie die sofortige und endgültige Abstellung des Reaktors fordern.
Genutzt wird die Neutronenquelle für Untersuchungen der Materialforschung, der Medizin, der Wissenschaft. Zu einem Drittel dürfen TU-Mitarbeiter die Instrumente nutzen, zu zwei Dritteln bewerben sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Im November vergangenen Jahres legte eine Gutachterrunde fest, wer in den ersten sechs Monaten 2019 am FRMII arbeiten darf. Doch nun ist der Betrieb lahmgelegt, am Reaktor gibt es eine "verlängerte Zwangswartungspause". Für die Wissenschaftler bedeutet das, sie können ihre Versuche nicht fortführen.
Sie werten derweil ihre Ergebnisse aus oder sie schreiben Veröffentlichungen, wie Sprecherin Voit sagt. Besonders betroffen seien Doktoranden und Masteranden, die ihre Arbeiten auf Grundlage von Messergebnissen machen und teils unter Zeitdruck stehen. Sie müssten sich jetzt an anderen Forschungsreaktoren anmelden. Viele kommen da nicht mehr in Frage, in Berlin schließt ein Reaktor noch Ende des Jahres.
In Grenoble gibt es noch einen, aber der hat laut Voit auch eine längere Wartezeit. Die Gutachterrunde für die zweite Jahreshälfte hat erst gar nicht stattgefunden. Aktuell stehen circa 950 Wissenschaftler auf der Warteliste. Beispielsweise Forscher der Uni Neapel, die wissen wollen, wie Nanoteilchen in der Krebstherapie eingesetzt werden können, oder die Wissenschaftler der Uni Würzburg, die zu Stabilisatoren von Medikamenten forschen. Manche ziehen auch Arbeiten vor, verbessern ihre Instrumente oder bauen sie um.
Die TU etwa plant ihre Molybdän-Anlage. Dieses Radioisotop wird für Untersuchungen genutzt, die auf bildgebende Verfahren setzen. Mit Molybdän wird es möglich, Kontraste auf den Aufnahmen zu erkennen. "Der FRM II könnte da in eine Lücke springen", sagt Voit, denn das Radioisotop ist sehr begehrt. Allein in Deutschland würde es für circa drei Millionen Untersuchungen jährlich gebraucht, bisher gibt es aber keine Produktion hier im Land. Die nächstgelegene Anlage steht in Belgien, und auch aus Kanada oder Südafrika werde Molybdän bezogen. Bei einer Produktion in Garching könnte laut Voit der "halbe europäische Bedarf" gedeckt werden.
Der FRM II benötige für viele Versuche einen hohen Neutronenfluss, der momentan nur mit hoch angereichertem Uran erreicht werden könne. Voit berichtet von einer internationalen Forschergruppe, die an einer neuen Technologie für niedrig angereichertes Uran forsche (unter 20 Prozent), denn das sei das "Endziel", den Garchinger Reaktor darauf umzustellen.
Aber die Untersuchungen der Wissenschaftler aus den USA, Frankreich und anderen Ländern seien zeitaufwendig. Wann genau mit einer Umstellung gerechnet werden könne, könne sie nicht sagen. "Aber es wird dauern." So ein Test mit neuen Brennplatten benötige etwa vier Jahre. Wann die Forscher ihre Messungen am FRM II wieder aufnehmen können, ist nicht absehbar. Doch Voit ist zuversichtlich: "Wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr auf jeden Fall wieder Neutronen geben wird."