Es war ein Sommerabend wie aus dem Bilderbuch, als der Garchinger Ortsverband der Grünen am Montag zu seiner Debatte über frühkindliche Bildung, Kinder- und Jugendpolitik geladen hatte. Daniela Rieth, Stadträtin in Garching und Pädagogin, hatte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Katharina Schulze, und die Unterhachinger Abgeordnete Claudia Köhler zu Gast, um über dieses angesichts des Personalnotstandes in den Kitas sehr aktuelle Thema mit Besucherinnen und Besuchern zu diskutieren. Zu diesen zählten anfangs auch zwei Polizeibeamte in Zivil. Denn was ich im Vorfeld der Veranstaltung abgespielt hatte, war weit weniger idyllisch: Unbekannte hatten fast alle Veranstaltungsplakate in Garching mit vorbereiteten Hassparolen überklebt oder zerstört.
Der Vorfall in Garching ist nicht der einzige. In den vergangenen Monaten sehen sich die Grünen vermehrt Angriffen ausgesetzt. Die Wut mancher richtet sich oft gegen politische Entscheidungen oder Bemühungen der Bundespartei, sie reicht aber zunehmend bis auf die kommunale Ebene. So berichtet der Kreisverband München-Land, dass in der Gemeinde Haar Veranstaltungsplakate mit Farbe besprüht wurden, immer wieder würden auch Plakate abgerissen.
Er habe den Eindruck, es gebe mehr Menschen "mit kurzer Zündschnur", sagt Kreisvorsitzender Volker Leib. Bei Veranstaltungen seien zuletzt immer wieder Menschen im Publikum aufgefallen, die in der Diskussion mit ausufernden Wortbeiträgen ihre eigenen, teils kruden Meinungen vortragen. Gewaltsame Störungen seien aber bis jetzt zum Glück nicht vorgekommen. "Vor allem seit der Corona-Zeit sehen wir da ein verändertes Verhalten bei manchen Leuten", sagt Leib. "Eine größere Polarisierung und auch Radikalisierung." Dass gerade die Grünen so viel Wut abbekommen, sieht Leib auch darin begründet, dass sie die "progressivste Partei im Parteiensystem sind".
Vor allem via Social Media brechen sich Hass und Hetze Bahn, meist unter dem Deckmantel der Anonymität. Das sei generell ein großes Problem, sagt Leib. Und: "Es bleibt die Sorge, dass verbale Aggression im Netz zu gewaltsamen Übergriffen in der physischen Welt führen können." Dass die Polizei Veranstaltungen begleitet, ist keine Seltenheit mehr.
Auch Köhler berichtet, dass Angriffe oder aggressives Verhalten zuletzt deutlich zunähmen. Sie habe schon mehrere Anzeigen erstattet. Einen Mann, der sie unter ihrer privaten Telefonnummer heftig beleidigt hatte, traf sie nun sogar vor Gericht. "Mich schockiert das Niveau, das der politische Diskurs zum Teil angenommen hat", sagt die Unterhachinger Grünen-Landtagsabgeordnete. "Dass wir uns alle an die Wahrheit halten und uns auch in der kontroversen Debatte nicht auf einer persönlichen Ebene angehen, das sollte unter Demokraten eigentlich selbstverständlich sein."
Bei der Veranstaltung in Garching bedankte sich die Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze beim Ortsverband und den gut zwei Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern, dass diese sich nicht hatten einschüchtern lassen von den hasserfüllten Worten im Vorfeld. Die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Oktober kritisierte auch Aussagen wie jene des Freie-Wähler-Chefs und stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger auf einer Demonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding kurz vor dem Vorfall. "Man sieht, was passiert, wenn Spitzen der Landesregierung rote Linien überschreiten", sagt Schulze. "Gedanken werden Worte, und Worte können irgendwann Taten werden. In den USA haben die Worte Trumps, die sich Herr Aiwanger geliehen hat, zum Sturm aufs Capitol geführt."

Auch der Garchinger Ortsverband hat Anzeige erstattet, gegen Unbekannt. Auch einem Strafantrag haben die Lokalpolitiker nach kurzem Bedenken zugestimmt, sie erklären also ausdrücklich, dass sie eine Strafverfolgung der Tat möchten. "Da geht es ums Prinzip, wir wollen ein Zeichen setzen", sagt Stadträtin Daniela Rieth. Der Vorfall und vor allem die gewaltvolle Wortwahl auf den Aufklebern habe sie durchaus beschäftigt. Zweimal sei sie zuletzt auch auf der Straße verbal angegangen worden, sagt Rieth.

Bestärkt hat sie, dass Vertreter alle Garchinger Parteien inklusive Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) nach der Plakatverschandelung den Grünen ihre Solidarität bekannt haben. "Das wird von uns ganz klar verurteilt, das geht gar nicht", sagt auch Jürgen Ascherl, Fraktionsvorsitzender der Garchinger CSU und langjähriger stellvertretender Vorsitzender im bayerischen Landesvorstand der Polizeigewerkschaft. Ascherl kritisiert ebenfalls, dass der Ton in sozialen Medien wie auch auf der Straße zuletzt auffallend aggressiv geworden sei. "Das ist kein Umgang miteinander. Alle demokratischen Parteien müssen dem geschlossen entgegenwirken, auch öffentlich", fordert er.
Auch der Ismaninger Landtagsabgeordnete Nikolaus Kraus von den Freien Wählern verurteilt die Aufkleber auf den Plakaten. Selbst wenn er nicht mit allen Ansichten der Grünen übereinstimme, sagt er: "Sowas geht natürlich gar nicht. Und dann noch anonym - das ist feige." Eine direkte Folge von Aussagen wie der seines Parteivorsitzenden sieht er aber in solchen Taten nicht.

Für die Grünen auf kommunaler wie auf Landesebene ist klar: Einschüchtern lassen wollen sie sich von Anfeindungen nicht. "Wir appellieren an alle Demokraten, hier zusammenzuhalten und zu deeskalieren", sagt Kreisvorsitzender Leib. "Unser Ziel bleibt auch im Wahlkampf, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und sie - sachlich und besonnen - von unserem Programm zu überzeugen."