Ausstellung:Eine Stimme für die Sprachlosen

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Die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine ist ein wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Kunsttherapeutin Brigitte Lobisch hilft Menschen mit Autismus, sich in Bildern auszudrücken. Die eindringlichen Ergebnisse sind derzeit im Garchinger Bürgerhaus zu sehen.

Von Franziska Gerlach, Garching

Ein Panzer rollt auf einen Menschen zu, der streckt die Arme aus, will das Ungetüm aus lila- und pinkfarbenem Acryl abwehren, dass da immer näher kommt. Joseph Berghammer, 43 Jahre alt, hat dieses Bild mit kraftvollen Farben und klaren, einfachen Formen gemalt. Und wer das Werk einen Augenblick auf sich wirken lässt, der spürt die Bedrohung, die der Ausbruch des Krieges für den Künstler dargestellt haben muss. "Sie können nicht sprechen, aber sie haben viel zu sagen", erläutert die Kunsttherapeutin Brigitte Lobisch den Gästen des Informationsabends "Autismus - Behinderung oder Stärke?", zu dem sich eine interessierte Runde auf der Bühne im Bürgerhaus Garching versammelt hat.

Als Lobischs Zuhörer gut anderthalb Stunden später - und bestens unterhalten von den virtuosen Klassik- und Jazzstücken, die Martin Keller, ein junger Pianist mit Autismus, dargeboten hat - wieder in die kalte Herbstnacht hinaustreten, haben sie viel erfahren: Wie die Methode des gestützten Malens funktioniert, die Lobisch entwickelt hat und die sie seit vielen Jahren in ihrer Praxis in Gauting anwendet. Wie unterschiedlich die Erscheinungsformen sind, die der Autismus annehmen kann. Und vor allem: Wie viel es diesen Künstlern bedeutet, nicht nur gesehen zu werden, sondern auch tatsächlich wahrgenommen.

Der Pianist Martin Keller interpretiert Klassik- und Jazzstücke. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Ausstellung "Malen ist Hoffnung", die noch bis zum 23. Dezember im Bürgerhaus Garching zu sehen ist, vermittelt anschaulich, auf welche Weise die 74-jährige Kunsttherapeutin es schwer kommunikationsbehinderten Menschen mit Autismus ermöglicht, andere an ihren Gefühlen und Gedanken teilhaben zu lassen. Die Schau zeigt die Arbeiten von 16 Künstlern. Die Bilder sind mit Lobisch "als Stützerin" entstanden, wie die Kunsttherapeutin das nennt, wenn sie die Hand der Autisten hält, um ihnen Sicherheit in der Bewegung zu geben - und den Frust zu vermeiden, der entsteht, wenn die Muskeln plötzlich die Spannung nicht mehr halten können.

Mitte der Achtzigerjahre kam Lobisch an einer Sonderschule mit autistischen Kindern in Kontakt, die über keine Verbalsprache verfügten. Später entwickelte sie ihre Methode des gestützten Malens aus der Methode der sogenannten gestützten Kommunikation, die aus Australien stammt und bei der die Worte durch Antippen von Buchstaben in einer Holztafel entstehen. Der stützende Therapeut bietet dem Patienten am Unterarm einen Widerstand. Dadurch wird ein Impuls ausgelöst, diesen zu überwinden. Eine willkürliche motorische Bewegung findet daraufhin sicher ihr Ziel auf der Buchstabentafel.

Brigitte Lobisch hat die Methode des gestützten Malens entwickelt. (Foto: Stephan Rumpf)

Dass dieser Ansatz sich auch der Kritik erwehren muss, der Therapeut könne beeinflussen, was geschrieben oder gemalt wird, weiß Lobisch natürlich. Als die Gäste am Ende des Vortrags selbst ausprobieren dürfen, wie sich das gestützte Malen denn anfühlt, legt Lobisch ihre Hand über die einer experimentierfreudigen Frau und sagt: "Wenn kein Bewegungsimpuls kommt, würde ich eine halbe Stunde so stehen." Passieren würde nichts.

Doch in den Therapiestunden bei Lobisch passiert offenbar so einiges, das zeigt die Ausstellung in Garching deutlich: Manche der Bilder sprechen für sich. Die Taube mit dem Lorbeerzweig, gemalt von Michael Krystkowiak, kann kaum anders interpretiert werden als die Sehnsucht nach Frieden. Doch dass es sich bei dem Mädchen mit dem Kopftuch, das Okan Kanmaz gemalt hat, um eine Auseinandersetzung mit der frauenfeindlichen Haltung im Iran handelt, erschließt sich dem Betrachter erst durch die Lektüre des Begleittextes. Überhaupt: Mehr noch als die Kunst, die sich ja einen gewissen Interpretationsspielraum bewahren kann, ist es in vielen Fällen die Sprache, die das reiche, oftmals höchst differenzierte Innenleben von Lobischs Patienten erfahrbar macht. Frederic Trilk hat einen Menschen gemalt, der vor einer strahlenden Sonne die Arme ausbreitet. "Mein Bild zeigt die friedliche Menschenkraft der ukrainischen Bevölkerung. Ich helfe mit meiner guten Gesinnung, dass die Friedenskraft stark sein soll", hat er dazu geschrieben.

Nicht immer ist die Aussage der Bilder sofort erkennbar. (Foto: Stephan Rumpf)

"Ich gebe nie ein Thema vor. Das ist immer nur meine offene Hand als offenes Angebot", erläuterte Lobisch. Eine knappe Stunde dauert ihre Kunsttherapie, zu der die autistischen Künstler aus ganz Bayern und sogar aus dem Stuttgarter Raum angereist kommen. Die Lebenssituation der Autisten findet in den Bildern und Texten Ausdruck, die Anfälle und Zwänge, die mit einer Autismus-Spektrum-Störung einhergehen, aber auch ihre Wünsche und Hoffnungen.

"Der Input ist ja in Ordnung."

Als im Februar Russland die Ukraine angriff, hatte etwa die Hälfte von Lobischs Patienten das Bedürfnis, sich mit dem Krieg auseinanderzusetzen. Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass die Autisten, die nicht sprechen, alles verstehen. "Der Input ist ja in Ordnung", sagt Lobisch. Auch Menschen mit Autismus sehen die Nachrichten, die zerbombten Städte und die Gräueltaten von Butscha. Ungefiltert prasseln die Eindrücke auf sie ein, arbeiten in ihnen, ohne dass sie mit jemandem darüber reden können. Wenn die Menschen dann nach einigen Wochen wieder zu Lobisch kommen, brechen sich die Empfindungen in kraftvollen Bildern und einer fast schon philosophischen Sprache Bahn, die nichts mit dem Geplänkel banaler Alltagsorganisation zu tun.

Da fällt Berghammer, der seit 1998 mit Lobisch malt, mit seinen messerscharfen Kommentaren fast schon aus dem Rahmen. Mit Unterstützung ihrer Hand hat er sein Panzer-Bild mit folgendem Satz versehen: "Wenn es nach mir ginge, würde ich gegen Putin ein Verfahren einleiten wegen roher menschenverachtender Verletzung des Völkerrechts."

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