Fröttmaninger Heide:Rasenmäher auf vier Beinen

Schafe und Ziegen leisten einen großen Beitrag zur Pflege der Heideflächen im Norden von München. Doch Schäfer wie Hermann Stadler gibt es kaum noch - weil der Beruf alles andere als attraktiv ist

Von Frederick Mersi

Heiß ist es am Donnerstagabend an der U-Bahnstation Fröttmaning. Wenige hundert Meter vom Fußballtempel des FC Bayern trifft sich bei 30 Grad im Schatten eine bunt gemischte Gruppe von etwa 20 Leuten: Einige Rentner sind dabei, aber vor allem Mütter mit Kindern. Das gemeinsame Ziel ist die Fröttmaninger Heide, denn dort wollen die Teilnehmer der Veranstaltung des Heideflächenvereins einen selten gewordenen Artgenossen treffen.

Einer der letzten seiner Art ist Hermann Stadler, dabei ist sein Beruf in der christlichen Kultur so prominent wie kaum ein anderer. Stadler ist Schäfer. Nicht irgendein Schäfer, sondern der Besitzer des größten Schäfereibetriebs in Bayern. Als die Besuchergruppe über einen kleinen Hügel in der sonst so flachen Heidelandschaft wandert und die Herde erblickt, schätzt einer der jüngsten Teilnehmer die Zahl der Schafe entgeistert auf "zehn Millionen". Ganz so viele sind es nicht, aber mit etwa 1300 doch eine beachtliche Menge.

Auch Ziegen sind in Stadlers Herde vertreten, allerdings nicht, weil sie den Schafen gut tun. "Die stören eigentlich nur", gibt Stadler zu. Für die Erhaltung der Heidelandschaft sind sie jedoch wichtig, da sie Sträucher und Baumsetzlinge abfressen. So behält die Fröttmaninger Heide ihren offenen Charakter und ihre beeindruckende Weite. Auch die Schafe werden als "selektive Rasenmäher" genutzt, erklärt Verena Eißfeller, Ökologin und seit dieser Woche Bildungsreferentin des Heideflächenvereins mit Sitz in Unterschleißheim. Die Heide sei nicht wild, sondern eine Kulturlandschaft. Das Gras muss niedrig gehalten, aber gleichzeitig die große Vielfalt der Flora mit mehr als 350 Pflanzenarten bewahrt werden.

Da ist Stadler mit seinen blökenden Schützlingen im entstehenden Naturschutzgebiet - die Schilder stehen bereits - herzlich willkommen. Doch nicht nur Naturschützer sind von Stadlers Präsenz begeistert. Kinder wie Erwachsene zeigen sich am Donnerstag fasziniert von seiner Profession, von der schieren Menge der dicht an dicht gedrängten Schafe und natürlich von Schäferhund Gero. "Er ist eine Mischung aus deutschem Schäferhund und Schafspudel", erklärt Stadler. Und er flößt neben den Schafen auch den jüngeren Besuchern zunächst Respekt ein.

4000 Schafe

gibt es noch im Münchner Umland, eine für viele überraschend hohe Zahl. Jedoch lag diese vor einiger Zeit noch deutlich über diesem Wert: 1970 grasten noch 60 000 Schafe auf den Weiden und Wiesen rund um die Landeshauptstadt. In der nächsten Dekade wird sich auch die aktuelle Zahl vermutlich noch einmal halbieren.

Der mit zwei Jahren jüngste Besucher Florian, der auf Nachfrage standhaft behauptet, doppelt so alt zu sein, ist selbst mit Strohhut nicht größer als der kräftige schwarze Hund. Gero stamme aus einer thüringischen Linie, die schon in der DDR gezüchtet wurde, erzählt Fachmann Stadler. Ein Pfiff genügt, und Gero schießt mit einem beeindruckenden Tempo um die Herde herum, um die Woll-, Fleisch- und Käseproduzenten in Schach zu halten. Der Schäferhund ist auch der Grund, weshalb Stadler schwarze Schafe in der Herde hält. Sie nehmen den Tieren die Angst vor ihrem Ordnungshüter mit dem dunklen Fell, Respekt behalten sie trotzdem.

Der Verlust dieses Respekts würde Stadler die Arbeit extrem schwer machen. Mit seiner Herde legt er im Münchner Umland pro Jahr bis zu 200 Kilometer zurück, wie er selbst schätzt. Das erfordert Zeit. "Schäfer sein bedeutet, zwölf Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr zu arbeiten", sagt Stadler, der in Vilsbiburg nahe Landshut "in die Schäferei hineingeboren" wurde. Schon sein Vater, Großvater und Urgroßvater waren in diesem Beruf tätig. Er habe zwar freie Wahl gehabt, aber letztlich sei seine Entscheidung klar gewesen.

Seine drei Töchter wollen jedoch nicht seine Nachfolge antreten, und Lehrlinge gibt es kaum. So romantisch verklärt und bedeutungsschwanger der Beruf des Schafhirten häufig dargestellt wird, so unattraktiv ist er in der Realität. "Früher gab es noch Schäferschulen, aber die sind in den Neunzigern komplett zusammengebrochen", sagt Stadler. Er könne als Meister auch selbst ausbilden, das lohne sich jedoch finanziell nicht. Reich wird man als Schäfer sowieso nicht, ganz im Gegenteil. "55 Prozent meines Gehalts kommen als Subventionen von der EU, nur 45 Prozent sind mein eigener Umsatz", sagt Hermann Stadler.

Mit der Wiedervereinigung sei besonders der Preis für Lammfleisch gesunken, da der Markt mit Schafen aus der DDR überschwemmt wurde. Auch die Wollpreise gingen auf Talfahrt. Heute sind Baumwolle und Kunstfasern als Stoffe billiger und damit attraktiver, Schafwolle in Kleidungsstücken ist zur Luxusware geworden. So wird beispielsweise Merinowolle von reinrassigen Schafen als Material für Funktionskleidung verwendet.

"Wir als Produzenten haben halt nix davon", sagt Stadler ein wenig resigniert. 4,50 Euro bekommt er im Schnitt pro Schaf für die Wolle. Diese verkauft er an einen Großhändler nach Dortmund, von dort aus geht das Rohmaterial zur Verarbeitung meist nach China. Hierzulande haben strenge Umweltbestimmungen dazu geführt, dass die Verarbeitung von Wolle ins Ausland verlagert wurde. Stadler hofft, bis zum Ende des Jahres über die neu gegründete Unternehmergesellschaft "Genuss vom Schäfer" seine Produkte online direkt vermarkten zu können. An dieser Gesellschaft wollen sich Schäfer aus ganz Deutschland und viele der 234 verbliebenen bayerischen Schäfer beteiligen.

Während die Herde weiter in Richtung Tränke zieht und die jüngeren Besucher sich aufs Heuschreckenfangen verlegt haben, erzählt Stadler all dies seinen erwachsenen Zuhörern und Fragestellern eher gelassen. Die Probleme, die er anspricht, sind für ihn nicht neu. Im Alltagsbetrieb hat er mit seinem polnischen Hirtengehilfen aus den Karpaten auch ohne die großen Zukunftsfragen genug zu tun, obwohl er scherzt: "Was man als Schäfer macht? Dastehen und den Schafen beim Fressen zuschauen."

Am Abend wird die Herde mit einem Elektronetz umzäunt, dann kann sich auch Stadler seine persönliche Mütze Schlaf holen. Doch mit der kürzlichen Sichtung eines Wolfs, nur wenige Kilometer von Stadlers Herde entfernt, kann die Nacht zur Gefahr werden: "So ein Zaun hält den Wolf zwar auf, aber man weiß nie, wie die Tiere bei einem Angriff reagieren." Andere Schäfer setzen bereits zusätzliche Schutzhunde ein. Für Stadler ist es noch "fraglich", wie man diese Problematik lösen könnte.

Trotz all dieser Unwägbarkeiten kommt die Veranstaltung am Donnerstagabend bei allen Teilnehmern gut an. Die Jüngsten müssen zwar die gefangenen Heuschrecken wieder freilassen, doch ein Stück Schafwolle dürfen sie mitnehmen. Nach einem Abstecher zu einer eingezäunten Ziegenherde geht es zurück zum Ausgangspunkt Heidehaus an der U-Bahnstation Fröttmaning. Auch der kleine Florian hält die vollen zweieinhalb Stunden beim "Onkel von den Schafen", wie er Stadler nennt, durch. Die Frage, ob es ihm gefallen habe, bejaht er. Und ein "Pfiat di" gibt er den Schafen auch noch mit auf die Reise durchs Münchner Umland.

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