Friedhöfe für Muslime:Wo mein Zuhause ist

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An Allerheiligen gedenken Christen ihrer Verstorbenen. Aber wo beerdigen Muslime ihre Toten? In Ottobrunn gibt es das erste muslimische Gräberfeld im Landkreis. Ein Vater, der seine kleine Tochter dort beerdigt hat, ist froh darüber

Von Christina Hertel, Ottobrunn

Amun steht da, vor dem weißen Stein, unter dem seit fast zwei Jahren seine Tochter liegt. "As-salāmu ʿalaikum", betet er. Friede sei mit euch. Heidekraut und lila Veilchen blühen, braune Blätter liegen auf der Erde und ein kleiner blauer Schmetterling, den seine Kinder einmal mitgebracht haben. Amuns Augen sind schwarz und man sieht darin, dass er schon lange nicht mehr glücklich war.

Amun kommt fast jeden Tag hierher, mindestens zwei, drei Mal die Woche. Seine Tochter war sechs, als sie starb. Davor war sie nur ein Hauch von Leben, vier Jahre lang. Ärzte hatten ihr ein Narkosemittel verabreicht, das sie nicht vertrug. Sie fiel ins Wachkoma und wurde ein Pflegefall. "Sie konnte nur ihre Augen bewegen." Im Januar 2016 starb das Mädchen. Seitdem liegt sie auf dem Friedhof in Ottobrunn.

Das Grab soll in seiner Nähe sein

Amun, der seinen richtigen Namen nicht verraten will, ist Muslim. Er kommt ursprünglich aus Ägypten, aber in Deutschland hat er den größten Teil seines Lebens verbracht. "Ottobrunn ist mein Zuhause", sagt er. Ihm war es wichtig, dass seine Tochter nach muslimischen Traditionen und Regeln beerdigt wird. Und ihm war auch wichtig, dass das Grab in seiner Nähe ist. In Ottobrunn war beides möglich. Dort gibt es seit zwei Jahren ein muslimisches Gräberfeld.

Melike Kapicibasi kennt sich aus mit muslimischen Bestattungsregeln. Sie berät Altenheime. (Foto: Angelika Bardehle)

Andernorts im Landkreis sieht es für Angehörige des Islam schlecht aus: Wenn Christen, vor allem Katholiken, an Allerheiligen wieder auf die Friedhöfe strömen, um ihrer Verstorbenen zu gedenken, stellt sich die Frage, wo etwa Muslime, die in den vergangenen Jahren zahlreich ins Land gekommen sind, ihre Toten bestatten.

Im Landkreis München hat außer Ottobrunn keine Kommune Gräberfelder, die islamischen Vorschriften entsprechen. Nur in der Stadt München am Waldfriedhof sowie am West- und Südfriedhof sind Bestattungen nach muslimischer Tradition möglich.

Auch in Ottobrunn ist Amuns Tochter bisher die einzige Muslimin, die auf dem Friedhof beerdigt wurde. Platz wäre für 50 Gräber. Der Gemeinderat stimmte 2015 dem Gräberfeld einstimmig zu. Zuvor war er an den Deutsch-Islamischen Kulturkreis Ottobrunn (Diko) herangetreten. "Sie fragten uns, ob wir das brauchen", sagt Hussein Durmic, der Vorsitzende des Vereins, und man hört, wie sehr er sich immer noch darüber freut.

Ottobrunn sei so noch mehr zu seiner Heimat geworden. "Wir leben hier und wir möchten hier sterben." In Oberhaching wurde dagegen vor kurzem ein muslimisches Gräberfeld abgelehnt. "Wir setzen uns nicht mit Ritualen auseinander", sagte Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) damals in der Gemeinderatssitzung.

Eine Bereitstellung eines eigenen Bereichs für Muslime sei nicht notwendig, weil die Gräber auf dem Oberhachinger Friedhof so angeordnet sind, dass immer eines frei sei, das nach Osten zeigt. Schelle sagte damals außerdem: "Dass nun auch noch links und rechts kein Ungläubiger liegt, ist bei uns nicht passend."

Heute möchte der Bürgermeister zu dem Thema nichts mehr sagen. Zu groß sei der Wirbel danach gewesen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, der Münchner Merkur und die tz, aber auch RTL und die deutsche Version der russischen Nachrichtenseite Sputnik News. "Muslime fordern Grab mit Abstand zu Ungläubigen - Bürgermeister kontert", lautete die Überschrift.

"Warum sollten wir nicht im Tod neben einander liegen?"

Dabei war gar nicht klar, wer wie und mit welchen Forderungen an den Bürgermeister herangetreten war. In der Sitzung waren die Muslime nicht anwesend. Hinterher hetzten dafür viele User anonym in den sozialen Medien. "Am Hundefriedhof begraben wäre eine Lösung!", schrieb jemand über den Kurznachrichtendienst Twitter. Und ein anderer: "Können doch die Leichen auf eigene Kosten in der Wüste verscharren. Da ist Platz ohne Ende."

Amun, dessen Tochter auf dem Ottobrunner Friedhof begraben ist, und Hussein Durmic haben davon nichts mitbekommen. Sie sagen, es sei ihnen egal, ob neben ihnen ein Christ oder Muslim bestattet werde. So weit sie wüssten, gebe es keine Regel, wie weit Gräber von Menschen anderer Religionen entfernt sein sollten. "Wir leben ja auch zusammen. Warum sollten wir nicht im Tod neben einander liegen?"

Das Grabfeld in Ottobrunn sei aus einem anderen Grund geschaffen worden. Die Gräber dort sind bereits präpariert und so ausgerichtet, dass die rechte Seite des Verstorbenen Richtung Mekka zeigt. Außerdem steht vor dem Grabfeld ein weißer Stein, auf dem der Sarg aufgebahrt wird. Auch bei der Beerdigung von Amuns Tochter wurde das so gemacht. Der Imam betete. "Und Muslime und Christen beteten mit", sagt Amun. Davor wusch seine Frau das tote Mädchen mit heißem Wasser und Seife. Weil es am Ottobrunner Friedhof dafür keinen Raum gibt, machte sie das am Münchner Südfriedhof. Danach hüllte sie ihre Tochter in ein weißes Tuch.

Melike Kapicibasi, die ehemalige zweite Vorsitzende von Ditib in Taufkirchen, kennt sich mit solchen muslimischen Bestattungsriten gut aus. Sie gibt manchmal Seminare in Krankenhäusern oder Palliativstationen. Die Krankenpfleger, sagt sie, wollen sich auskennen, weil sie immer mehr muslimische Patienten haben. Außerdem ist Kapicibasi Sterbebegleiterin. Wenn Muslime keine Angehörigen haben, spricht sie das Totengebet und wäscht die Verstorbenen. Aus dieser Erfahrung weiß sie, dass sich viele Muslime ohnehin in der Heimat ihrer Familie beerdigen lassen wollen. Ein Grund dafür sei, dass Tote nach muslimischer Tradition ohne Sarg beerdigt werden. Doch nach bayerischem Recht ist das nicht möglich - anders als etwa in Hessen oder Nordrhein-Westfahlen. Ditib hat deshalb einen angeschlossenen Verein, der sich um die Überführung der Verstorbenen und die Formalitäten kümmert. Aber auch viele Bestattungsunternehmen sind darauf spezialisiert.

Die muslimische Gemeinde in Taufkirchen, sagt Melike Kapicibasi, möchte sich nun auch bald an den Bürgermeister wenden und um ein Gräberfeld bitten. Denn Kapicibasi vermutet, dass sich die nächste Generation anders entscheidet als deren Eltern und Großeltern heute. Sie glaubt, dass die Muslime, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, sich auch dort beerdigen lassen möchten. Einfach, weil hier ihr Zuhause ist.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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