Süddeutsche Zeitung

Freie Wähler:Die Revanche des Strippenziehers

Mit dem Sturz von Nikolaus Kraus durch Otto Bußjäger erreicht der Machtkampf bei der Jahreshauptversammlung der Partei einen neuen Höhepunkt. Führende Köpfe beschwören nun den Zusammenhalt unter dem neuen Kreisvorsitzenden.

Von Stefan Galler

Ein bisschen angeschlagen ist er schon, das kann Nikolaus Kraus nicht verhehlen. "Nach zwölf Jahren hätte ich mir einen anderen Abschied gewünscht", sagt der 56 Jahre alte Ismaninger. Am vergangenen Freitag war er als Vorsitzender des Kreisverbandes der Freien Wähler abgewählt worden, er unterlag in einer Kampfabstimmung gegen Otto Bußjäger deutlich mit 11 zu 28 Stimmen. "Es ist halt so, wie wenn man gekündigt wird", sagt Kraus und räumt ein, die darauffolgenden Nächte "nicht gut geschlafen" zu haben. Und obwohl er "sehr gerne" im Amt geblieben wäre, will er jetzt kein Fass aufmachen: "Es ist ein normaler demokratischer Vorgang, wenn man eine Wahl verliert." Er wünsche jedenfalls den Freien Wählern alles Gute. Einen speziellen Glückwunsch an Bußjäger verkneift er sich.

Man kann davon ausgehen, dass die beiden Duellanten keine Stammtischbrüder mehr werden - dabei haben sie eine lange gemeinsame Vita: Nachdem Bußjäger aus der CSU ausgetreten war und 2008 sein Amt als Bürgermeister von Grasbrunn nicht verteidigen konnte, gründete er eine kommunale Berateragentur, organisierte etwa den Landtagswahlkampf von Kraus 2013. Mit Erfolg: Der Ismaninger Gemeinderat schaffte den Einzug ins Maximilianeum. Und schlug seinerseits 2014 Bußjäger als Kandidat für den Landratsposten vor. Jener verlor zwar erwartungsgemäß gegen CSU-Bewerber Christoph Göbel, ist aber seither einer seiner Stellvertreter.

Bei der Mitgliederversammlung vor drei Jahren kam es dann zum Eklat. Kraus und Kreisgeschäftsführerin Ilse Ertl nutzten die Versammlung, die in der Hand ihrer Anhänger war, um mit Bußjäger öffentlich abzurechnen. Der Vorwurf: Bußjäger betreibe seit Jahren hinter dem Rücken von Kraus und Ertl Intrigen. Zeitweise herrschte regelrecht Aufruhr in der Versammlung, als sich die beiden Kontrahenten ein lautstarkes Wortgefecht lieferten. Ausdrücke wie "Verleumdung" und "Unwahrheiten" fielen. Bußjäger musste geradezu ein Scherbengericht ertragen, das seine parteiinternen Gegner über ihn abhielten. Michael Sedlmair, der langjährige Ismaninger Bürgermeister und ehemalige Kreisvorsitzende der Freien Wähler, wähnte seine Partei damals "in der wahren Politik angekommen", wie er sagt: "Personelle Auseinandersetzungen mit Ellbogen auszutragen, war bis dahin nicht unser Stil."

Und es ging weiter: Vor der Kommunalwahl 2020 hatte sich Bußjäger frühzeitig ein weiteres Mal als Landratskandidat in Position gebracht, ehe Kraus gegen ihn antrat - für Bußjäger, der mittlerweile in Höhenkirchen-Siegertsbrunn wohnt und dort im Gemeinderat sitzt, ein weiterer Affront. Bußjäger setzte sich zwar durch, doch das Tischtuch war endgültig zerschnitten. Gut möglich, dass er seitdem, auf eine Chance zur Revanche wartete.

Und die kam nun bei der Jahreshauptversammlung am Freitag in Aschheim, die anders als vor drei Jahren offensichtlich bewusst unter Ausschluss der Medien abgehalten wurde. Kraus wurde vorgeworfen, sich zu wenig einzubringen in die Kreisbelange. "Man muss schon sagen, dass Nick seinen politischen Schwerpunkt auf die Arbeit als Landtagsabgeordneter setzt", sagt Sedlmair, der den politischen Werdegang von Kraus seit Jahrzehnten begleitet und bei der Wachablösung am Freitag als Wahlleiter fungierte. "Otto Bußjäger ist als stellvertretender Landrat ständig mit den Ortsverbänden in Kontakt, er hat schon im Vorfeld Gespräche geführt und dann waren in der Versammlung eben die Leute da, die ihn unterstützen", so Sedlmair weiter.

"Es gab den Wunsch zur Veränderung", sagt Bußjäger und will offensichtlich keine schmutzige Wäsche waschen. Erika Aulenbach, Gemeinderätin von der Bürgervereinigung Ottobrunn (BVO), nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund: "Kraus hat gar nichts für den Kreisverband getan, er hat zu viele Ämter, um allen Aufgaben gerecht zu werden, und dann hatte er auch noch eine schwache Geschäftsführung." Womit Ilse Ertl gemeint ist, die am Freitag durch Dirk Wöhling ersetzt wurde. "Wir haben schon vor drei Jahren gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Geändert hat sich leider nichts", so Aulenbach.

Bußjäger ist um moderatere Töne bemüht: "Wir werden Nick Kraus selbstverständlich auch weiterhin vor allem in alle landespolitischen Themen einbinden." Jetzt gehe es aber darum, die Ortsverbände zu stärken und das Potenzial der Partei voll auszuschöpfen. Er setze auf ein Miteinander. "Gemeinsam geht's besser", laute schließlich sein Motto, so Bußjäger, der sich als Vorsitzender für die nächsten drei Jahre große Ziele auf die Fahnen geschrieben hat: Er wolle die Jungen Freien Wähler im Landkreis etablieren, die Mitgliederzahl von aktuell 100 auf bis zu 400 steigern und den Kreisverband "jünger, weiblicher, digitaler und kommunikativer" machen. Nikolaus Kraus sieht dieses Programm als zu ambitioniert an: "Da wünsche ich ihm viel Glück. Wenn er das schafft, dann Hut ab. Aber ich kann es mir nicht vorstellen." Dennoch will er nicht als schlechter Verlierer rüberkommen und "den Kopf in den Sand stecken", sondern seinen Sitz im erweiterten Kreisvorstand nutzen, der ihm als Kreisrat zusteht.

Dass sich die Mehrheit der Mitglieder gegen ihn entschieden hat, kann der Landwirt sogar nachvollziehen: "Ich habe womöglich tatsächlich zu wenig Zeit für die Arbeit mit den Ortsverbänden gehabt." Bußjäger sei als stellvertretender Landrat näher dran. "Er kommt viel herum im Kreis", sagt auch Sedlmair, der betont, dass es sich bei Bußjäger um einen gewieften Taktiker handelt. In der Tat ist der Grasbrunner Ex-Rathauschef mit allen politischen Wassern gewaschen, weiß Stimmungen sehr genau einzuschätzen und zu nutzen. Kraus warf ihm einst vor, ein "Chamäleon" zu sein, Bußjäger sagte mal über sich selbst, er sei sein "grüner Schwarzer mit einem sozialen Herz, der viel für die Gelben gearbeitet hat und nun zurück ist bei den Freien Wählern". Einer der mit allen gut kann, aber eben auch ein Strippenzieher.

Wichtig sei, dass der Machtkampf nicht auf Kosten der Partei gehe, sagt Sedlmair. Darauf hofft auch Florian Ernstberger, der die Kreistagsfraktion leitet und der neuen FW-Führung als zweiter Vorsitzender angehört. "Persönliche Animositäten dürfen keine Rolle spielen. Wir haben eine funktionierende Fraktion. Und die Freien Wähler leben sowieso von freien Meinungen", sagt der Gräfelfinger. Das zeige sich auch daran, dass man sich traut, dem Parteivorsitzenden Hubert Aiwanger zu widersprechen, etwa was dessen Aussagen zu Corona-Impfungen anbelangt. Kraus verspricht eine kollegiale Kooperation. "Auch Sportler, die in einem Team spielen, müssen nicht zwangsläufig Freunde sein", sagt er.

Ernstberger setzte sich ebenfalls in einer Kampfabstimmung um das Stellvertreteramt durch und ebenfalls gegen Kraus, wie auch Pauline Miller aus Hohenbrunn im Wettstreit um den dritten Vorstandsposten. "Ich habe ihm abgeraten, für die weiteren Ämter zu kandidieren", sagt Sedlmair. "Aber da ist der Nick, wie er ist."

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SZ vom 29.09.2021/hilb
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