Süddeutsche Zeitung

Freie Wähler:Kraus und Ertl rechnen mit Bußjäger ab

"Verleumdungen", "Unwahrheiten", "Unterstellungen" - nach ihrem Erfolg bei der Landtagswahl fallen führende Politiker der politischen Gruppierung im Landkreis übereinander her und erheben gegenseitig schwere Vorwürfe.

Von Bernhard Lohr, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

In der öffentlichen Jahreshauptversammlung des Kreisverbands der Freien Wähler ist es am Mittwochabend zu einem Eklat gekommen. Der Vorsitzende und eben erst wiedergewählte Landtagsabgeordnete Nikolaus Kraus warf Landratsstellvertreter Otto Bußjäger vor, seit Jahren hinter seinem Rücken gegen ihn und Kreisgeschäftsführerin Ilse Ertl zu arbeiten. Kraus verlangte von seinem politischen Weggefährten, dass "die Verleumdungen gegen mich aufhören". Bußjäger wehrte sich vor den 43 Mitgliedern im Gasthof Inselkammer in Siegertsbrunn und sprach von "Unwahrheiten und Unterstellungen". In einer turbulenten Abstimmung bestätigten die Mitglieder den Kreisvorstand mit Kraus an der Spitze mit großer Mehrheit im Amt.

Eigentlich könnten sich die Freien Wähler als neue Regierungspartei im Glanz ihrer Erfolge sonnen: 12,7 Prozent der Erststimmen holte ihr Zugpferd Nikolaus Kraus im Stimmkreis München-Land Nord und ließ damit die SPD-Kandidatin hinter sich. Im Süden kam Ilse Ertl auf 8,25 Prozent. Doch in der Versammlung im herrschaftlichen Saal des Landgasthofs herrschte zeitweise Aufruhr. Kraus und Bußjäger lieferten sich ein Wortgefecht, Kreisgeschäftsführerin Ilse Ertl rief schrill dazwischen und in der Aufregung geriet auch noch der Berner-Sennen-Collie-Mischling "Spickey" des stellvertretenden Kreischefs Martin Reichart aus dem Häuschen und bellte in einer Tour. FW-Kreischef Kraus hatte davor unvermittelt den seit Langem schwelenden Konflikt zwischen ihm und Bußjäger öffentlich gemacht. Er sprach von einem "sehr, sehr belasteten Vertrauen" und sagte: "Wenn man fünf Jahre lang schlechtgemacht wird, auch in jüngster Vergangenheit, dann müssen wir ernsthaft miteinander sprechen." Bußjäger hatte vor Tagen in einer Sitzung des erweiterten Vorstands offene Kritik an Kraus und Ertl geübt, was bei diesen das Fass zum Überlaufen brachte.

Kraus sagte, er lasse sich den Vorwurf nicht bieten, dass er sich im Kommunalwahlkampf 2014 weggeduckt habe. Bußjäger könne Ertl nicht ankreiden, bei der Landtagswahl ein "miserables" Ergebnis eingefahren zu haben. Kraus hielt Bußjäger vor, hinter den Kulissen Strippen zu ziehen und illoyal zu sein. Besonders ärgerte sich Kraus darüber, dass die Pleite bei der Nominierung von Ilse Ertl zur Landtagskandidatin, bei der von vier Anwesenden zwei im ersten Wahlgang gegen sie stimmten, an Journalisten "durchgestochen" wurde. Auch das lastete er Bußjäger an. Der wehrte sich. Während Kraus noch redete, stand Bußjäger von seinem Platz auf, ging nach vorne und sagte dem Vorsitzenden ins Gesicht: "Du bist jetzt weit über die Grenzen gegangen." Und: "Das ist der Bericht des Vorsitzenden, aber keine Anklage." Er bekräftigte dann seinerseits seine Kritik am Kreisvorstand.

Bußjäger: "So kann man keinen Verband führen."

Er sei mit dessen "Amtsführung nicht einverstanden", insbesondere nicht mit der Kreisgeschäftsführerin. "Einfach, weil sich nichts tut", sagte Bußjäger. Kraus und Ertl seien zu weit weg von den Leuten. Er selbst habe Kraus geholfen bei Problemen mit den Ortsverbänden in Planegg und Ottobrunn. Ertl hielt er vor, dass sie gar nicht im Landkreis wohne und öffentlich bekannt habe, sich für Kommunalpolitik nicht besonders zu interessieren. Dies sei aber die Basis der Freien Wähler, so Bußjäger: "So kann man keinen Verband führen." Er forderte dazu auf, die Kreisgeschäftsführerin gegen eine Person aus der Region auszutauschen.

Bis heute sind die Freien Wähler auf Kreisebene lose organisiert. Die Basis bilden Organisationen in den Gemeinden, die manchmal auch ganz anders heißen, wie etwa die "Unabhängigen Bürger" in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Wenn Unabhängige oder Freie in manchen Orten meinen, dass es reicht, sich lokal zu engagieren, dann ignorieren sie den Kreisverband, der im Landkreis die Zusammenarbeit organisiert und vor allem auch die Kreistagsarbeit unterstützt. In Baierbrunn ist das etwa so. Der Kreisverband zählt aktuell 106 Mitglieder. Separat existiert ebenfalls mit Kraus an der Spitze die Kreisvereinigung mit 30 Mitgliedern, die zu Landtags- und Bundestagswahlen Kandidaten nominiert.

Nach dem Disput wird Kraus wiedergewählt

Bei dem Streit zwischen Bußjäger, Kraus und Ertl ging es auch darum, wie straff organisiert die Freien im Landkreis arbeiten wollen. Bis dato läuft viel auf Zuruf und unkoordiniert. Kraus beklagte, dass es Veranstaltungen zur Landtagswahl gegeben habe, von denen die Kandidaten nichts gewusst hätten. Bußjäger räumte auf SZ-Anfrage ein, im Wahlkampf für den aus dem Raum Fürstenfeldbruck stammenden FW-Kandidaten Hans Friedl in Ottobrunn eine Veranstaltung moderiert zu haben. Dies sei ein Freundschaftsdienst gewesen, sagte er. Er habe auch Kraus unterstützt, aber der unternehme selbst zu wenig, um bekannt zu werden.

Nach dem Disput am Mittwochabend gaben bei der geheimen Wahl des Vorstands, auf die Bußjäger bestand, 36 Mitglieder dem einzigen Kandidaten Kraus ihre Stimme, fünf stimmten mit "Nein" und zwei enthielten sich. Der zweite Vorsitzende Reichart aus Unterschleißheim, der Kraus gegen Bußjäger in Schutz genommen hatte, wurde mit 39 Ja-Stimmen im Amt bestätigt. Der Fraktionschef der Freien Wähler im Kreistag, Florian Ernstberger, setzte sich in einer Kampfabstimmung mit 26 zu 16 gegen den Höhenkirchner Robert Loborec durch, der auf Empfehlung von Ertl ins Rennen gegangen war. Ertl hatte Ernstberger vorgeworfen, für "Reibungsverluste" im Kreisvorstand verantwortlich zu sein. Die von Bußjäger hart attackierte Ertl behauptete sich ihrerseits gegen Loborec, den Bußjäger ermuntert hatte, gegen Ertl anzutreten. 26 zu 16 ging das Rennen aus.

Der neue Vorstand amtiert für drei Jahre und soll die Freien Wähler vor allem in die Kommunalwahl 2020 führen. Otto Bußjäger gehört weiter dem erweiterten Vorstand an. Er sagte am Donnerstag zur SZ, er hoffe, dass die Veranstaltung aufgerüttelt habe. Es könnte sogar "der erste Tag in einem neuen Zeitalter für die Freien Wähler" im Landkreis sein.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018/hilb
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