Freie Lehrstellen im Landkreis:Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ausbildungsmesse

Unternehmen müssen mittlerweile hohen Aufwand treiben, um passende Bewerber für ihre Lehrstellen zu finden. Dazu gehört auch die Präsentation auf einer der Ausbildungsmessen in der Region.

(Foto: Günther Reger)

Handwerksbetriebe und Unternehmen im Landkreis finden für ihre Lehrstellen oft keine geeigneten Bewerber. Junge Leute mit der entsprechenden Qualifikation wollen lieber studieren. Und die anderen bringen oft nicht die nötige Qualifikation und Reife mit.

Von Jana Treffler

Händeringend suchen kurz vor dem beginnenden Ausbildungsjahr noch viele Betriebe nach Lehrlingen. Von den gut 1000 Ausbildungsplätzen im Landkreis, die momentan noch frei sind, werden voraussichtlich 600 überhaupt nicht besetzt werden können. Gleichzeitig gibt es aber auch Jugendliche, die keine Stelle finden. Was paradox klingt, ist das Ergebnis einer Vielzahl gesellschaftlicher und arbeitsmarktspezifischer Entwicklungen.

Der Landkreis München ist für Jugendliche vor dem Berufseinstieg eigentlich der optimale Standort: Ein Überangebot an Ausbildungsplätzen und ein vielfältiger Branchenmix bieten eine so breite Auswahl an Lehrstellen wie kaum eine andere Region Deutschlands.

"Die Situation für Bewerber ist hervorragend", sagt Hubert Schöffmann, bildungspolitischer Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bayern. Es könnte also für jeden etwas dabei sein, der sich für eine Ausbildung interessiert. Doch darin liegt bereits das erste Problem. Der Trend geht zu höheren Schulabschlüssen und einem Studium, das mit beruflichem Erfolg gleichgesetzt wird. 60 Prozent eines Schülerjahrgangs im Landkreis besuchen ein Gymnasium, und auch andere Schulformen bieten viele Möglichkeiten, über Umwege die mittlere Reife oder die Hochschulreife zu erlangen.

Eltern drängen Kinder zum höchstmöglichen Schulabschluss

Auch in diesem Bereich sei der Raum München extrem gut aufgestellt, sagt Gertraud Wurm, die bei der Agentur für Arbeit Teamleiterin der Berufsberatung für unter 25-Jährige ist. Das Angebot sei zunächst toll für die Jugendlichen, entpuppe sich aber für viele als der falsche Weg. Vor allem weil meist die Eltern die treibende Kraft bei der Berufs- und Schulwahl seien, würden Jugendliche dazu gebracht, erst den höchstmöglichen Schulabschluss anzustreben und dann häufig die "Karriereleiter rückwärts" zu gehen, also vom Gymnasium auf die Realschule und schließlich auf die Hauptschule. "So ein Lebenslauf voller Negativerlebnisse ist ganz schlimm für die Jugendlichen. Wieso nicht lieber die Treppe hochgehen?", sagt Wurm. Gebetsmühlenartig wiederhole sie mit ihren Kollegen vor ehrgeizigen Eltern, dass auch nach einer Berufsausbildung schulisch noch alles offen stehe.

Auch Schöffmann sieht die Rolle der Eltern bei der Berufswahl problematisch. Die hätten oft ein veraltetes Bild von Lehrberufen und würden es an die Kinder weitergeben. Was dann dazu führe, dass der Stellenwert der Ausbildung schlechter sei, als ihr zustehen würde. Die jungen Menschen würden die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit der Berufsausbildung nicht erkennen. Das führt zu einem Rückgang der Bewerberzahlen, der noch verstärkt wird durch den demografischen Wandel einer alternden Gesellschaft.

Doch auch die Bewerber, die es gibt, finden nicht automatisch ein Lehrstelle. Häufig passten Bewerber und Ausbildungsplatz einfach nicht zusammen, sagt Wurm und Schöffmann berichtet von Unternehmen, die über schlecht qualifizierte Bewerber klagen. Bei den Schulen sehen dabei weder Schöffmann noch Wurm die Schuld, die würden sich viel Mühe geben bei der beruflichen Vorbereitung ihrer Schüler. Dennoch seien viele Schulabgänger einfach noch nicht reif für eine Ausbildung. Oft liege das an altersbedingten Entwicklungsunterschieden der 14- bis 16-Jährigen. Nach einem Jahr in Praktika oder andern Fördermaßnahmen hätten sie aber meist einen enormen Sprung gemacht, erklärt Wurm. Gleichzeitig bieten 60 Prozent der Unternehmen mittlerweile innerbetrieblich Nachhilfen an, um die Auszubildenden auf das gewünschte Niveau zu bringen.

Jugendliche scheitern ohne Unterstützung

Die Zahl der Jugendlichen in Ausbildung, bei denen die Gefahr des Scheiterns ohne Unterstützung groß ist, nimmt zu. "Aber auch die Angebote, mit denen die Auszubildenden es schaffen können, werden mehr", sagt Wurm, "Betriebe warten oft zu lange, bis sie Jugendlichen ein Chance geben, die vielleicht auf den ersten Blick die Anforderungen nicht ganz erfüllen." Einzelfälle, die nie auf üblichem Weg eine Berufsausbildung erreichen würden, gebe es immer, sagen beide Experten, aber einen wachsenden Anteil nicht vermittelbarer Bewerber gibt es nicht.

Der Fachkräftemangel bleibt weiterhin groß. Digitalisierung und veränderte Produktionsweisen schaffen und modifizieren Berufsfelder, machen sie komplexer. In der Schule könne die nötige Basis dafür gelegt werden, sagt Schöffmann, die wichtigere Frage sei aber die nach dem Stellenwert, der Berufsausbildungen in einer Gesellschaft zugemessen werde.

Auch in Flüchtlingen sieht der bildungspolitische Sprecher der IHK wertvolles Potenzial. Eine Gegenüberstellung der Zahlen lässt eine Lösung vermuten: 850 junge Asylsuchende befinden sich im Landkreis in berufsvorbereitenden Berufsschulklassen, 600 Lehrstellen sind frei. Auch die Bereitschaft bei Unternehmen, Flüchtlinge aufzunehmen ist hoch. Ist die Sprachbarriere beseitigt, haben Flüchtlinge gute Chancen eingestellt zu werden.

Bewerbungen von Flüchtlingen gehen aber noch eher vereinzelt ein. Außerdem fehlt den Firmen die Planungssicherheit. Asylbewerber in Ausbildung könnten nach wie vor abgeschoben werden, sagt Schöffmann. Akute Abhilfe kann also nicht geschaffen werden, aber langfristig gesehen ist die Einstellung von Flüchtlingen eine Möglichkeit, die Bewerbelücke zu schließen und den Fachkräftemangel auszugleichen.

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