Bildung:Wer braucht schon ein Schulhaus?

Bildung: "Das hab ich auch nicht erwartet, dass wir so schnell wachsen werden", sagt Schulleiterin Nicola Tauscher-Meriç.

"Das hab ich auch nicht erwartet, dass wir so schnell wachsen werden", sagt Schulleiterin Nicola Tauscher-Meriç.

(Foto: Claus Schunk)

Die FOS in Haar ist seit drei Jahren provisorisch in einem Bürogebäude untergebracht. Trotzdem hat sie bald so viele Schüler wie das Ernst-Mach-Gymnasium.

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Fachoberschule ist vielleicht bald die größte Schule in Haar. Und doch muss man sie suchen, selbst wenn man direkt davor steht. Ist es der Eingang 9a oder doch der Eingang 10a? Ein Blick aufs Klingelschild hilft weiter. Neben Firmennamen steht da "FOS Haar" gleich an zwei Klingelknöpfen. Das muss also der Haupteingang sein. Und wenn man dann einmal drinnen ist, im zweiten Stock des grauen Gewerbebaus an der Hans-Pinsel-Straße in Haar steht, gehen einem doch die Augen auf. Schüler begegnen einem auf den Fluren, hier steht die Tür eines Klassenzimmers halb offen. Da ist ein richtiges Sekretariat - und eine strahlende Schulleiterin sitzt in ihrem geräumigen Büro.

Die Fachoberschule Haar ist ein Unikum. Seit bald drei Jahren gibt es diese weiterführende Schule direkt an der Stadtgrenze zu München-Trudering. Und obwohl diese Schule bis heute über kein Schulgebäude verfügt, ist sie eine Erfolgsgeschichte. In kurzer Zeit hat man in einem Bürogebäude ein paar Umbauten vorgenommen, um die vom Kultusministerium genehmigte Schule überhaupt aufmachen zu können. Übergangsweise sollte dort unterrichtet werden, bis ein toller, nach allen Regeln der Schulbaukunst errichteter Neubau am Gronsdorfer Bahnhof fertig ist. Doch der ist nicht in Sicht. Dafür blüht das Schulleben im Provisorium.

Aus 200 Schülern wurden 400, dann 600. 628 Schüler sind es gerade exakt. 1022 werden es sein, wenn Wirklichkeit wird, was sich in den Anmeldezahlen niederschlägt. Schulleiterin Nicola Tauscher-Meriç kann kaum glauben, wie ihr geschieht. "Das hab' ich auch nicht erwartet, dass wir so schnell wachsen werden", sagt sie. Man kommt fast an das Ernst-Mach-Gymnasium in Haar heran.

"Dass der Bedarf im Münchner Osten so groß ist, war vielen nicht so bewusst", sagt die 49-jährige Pädagogin, die lange Jahre an der Therese-von-Bayern-Schule an der Lindwurmstraße im Münchner Zentrum tätig war. Auch dort erlebte sie eine Fachoberschule im Aufbau. Aber dieses Mal geht alles im Turbo-Tempo. Fachoberschulen wurden lange wenig beachtet. Nun sind sie gefragt. Erst 2013 entstand die erste FOS im Landkreis München in Unterschleißheim. In Oberhaching entsteht am Bahnhof Deisenhofen bald die nächste. Und dort werden Lehrer und Schüler wohl vor der Schule in Haar ein eigenes Schulhaus haben.

Dabei ist die FOS in Haar seit langem schon im Gespräch. Der frühere Bürgermeister Helmut Dworzak (SPD) setzte sich vor 15 Jahren bereits für eine FOS in Haar ein, die auf dem Gelände des heutigen Jugenstilparks hätte entstehen sollen. Aber es hieß, es gebe nicht genug Schüler. Jetzt erlebt Tauscher-Meriç, wie die Schüler aus weiten Teilen Münchens und dem Landkreis kommen. Vier Fachrichtungen werden mit Gesundheit, Sozialwesen, Wirtschaft und Verwaltung sowie Technik angeboten, fast das volle Programm. Dieses Jahr sei die Zahl der neuen Schüler nach aktuellem Stand besonders hoch, sagt die Schulleiterin, weil viele womöglich auch coronabedingt den nötigen Schnitt von 3,5 zum Halbjahr erreicht hätten. Man werde sehen, wie viele am Ende tatsächlich nächstes Schuljahr kommen würden.

Im Erdgeschoss im Trakt 9a sind Handwerker gerade dabei, neue Unterrichtsräume zu schaffen. Die Schule ist eine Baustelle. So wie sie immer eine Baustelle war. Mal wurde eine Elektrowerkstatt nachträglich eingerichtet. Jetzt wird erweitert. Und weil am anderen Ende des Gebäudes eine zweite Werkstatt entsteht, wird die erste auch dorthin verlegt. "Es wird nie wirklich ein Schulhaus sein", sagt Tauscher-Meriç bei einem Gang durchs Haus, "es ist ein Bürogebäude." Tatsächlich sind dort Wand an Wand zur Schule auch noch Firmen zuhause, was manche Konflikte mit sich bringt. Aber es ist auch eine quicklebendige Schule. Kaum hat man das Gebäude betreten, fällt ein Hinweis auf den "Anne-Frank-Tag" auf.

"Wir zeigen Flagge für Offenheit, Toleranz und Gleichberechtigung", heißt es auf einem Plakat daneben. Anfangs war die Schule im zweiten und dritten Stock beheimatet. Längst wird im Erdgeschoss des Gebäudeteils 10a unterrichtet und bald eben auch im Gebäudeteil 9a. Die ehemaligen Büroräume sind hell und geräumig. In einem Klassenzimmer sitzen die Schüler an ihren Plätzen und machen Brotzeit. Im dritten Stock stehen in einem größeren Gemeinschaftsraum, der einer Aula nahekommt, mehrere Schüler beisammen.

An Stellwänden ist eine Anne-Frank-Ausstellung gehängt. Die Gänge sind mit Arbeiten aus dem Kunstunterricht geschmückt. Es gibt einen Raum für Besprechungen, ein Büro für die Schulsozialarbeit, eine Bibliothek und eine Cafeteria, in der wegen der Pandemie Tische fehlen, damit sich keiner hinsetzt. Die Schüler verwalten den Gemeinschaftsraum. "Uns ist Eigenverantwortung wichtig", sagt die Schulleiterin.

Während des Distanz-Unterrichts konnte die Schule ihre Stärke ausspielen

Die Gemeinschaft litt natürlich im Distanzunterricht. Die FOS in Haar konnte gerade in dieser Zeit, in der Schulgebäude weniger wichtig waren, ihre Stärke ausspielen. Auf vielen Tischen in der Schule stehen Bildschirme. Die FOS ist von Anfang an mit hochwertiger IT ausgestattet worden. Die Lehrer bekamen sofort Dienst-Tablets. Teams-Sitzungen gab es früh. "Als am Freitag der Lockdown verhängt wurde, haben wir am Montag nach Lehrplan unterrichtet", sagt Tauscher-Meriç. Immer wieder lobt sie den "Sachaufwandsträger", sprich das Landratsamt, der an nichts gespart habe. Und die Schule setzte die IT-Agenda direkt um. Es wurde immer wieder nachgefragt, was verbessert werden könnte. Lehrer gaben eigens Einführungen in die Nutzung der Microsoft-Programme. Jetzt will man sich auch SAP-Programme anschaffen.

Dabei wirkt die FOS keineswegs wie eine Schule von Technik-Nerds. Das geräumige Büro der Direktorin ist liebevoll eingerichtet. Es gibt viele Blumen, durchs offene Fenster geht der Blick in den grünen Innenhof, Vogelgezwitscher ist zu hören. Gegenüber von Tauscher-Meriçs Schreibtisch hängt - ganz Old School - eine Pinnwand, auf der das Lehrer-Kollegium festgehalten hat, was es sich von der Schulleitung erwartet. "Fairness" natürlich und "gute Laune". Auf einer Pinnwand im Gang beschreiben die Schüler ihre Traumschule, an der sie sich "Respekt", "Zusammenhalt" und "Spontaneität" wünschen.

Natürlich ist das viel Theorie. Die Schulleiterin hat erlebt, wie im Distanzunterricht hehre Wünsche an der Realität zerbröseln. Mancher Schüler missversteht eine Fachoberschule auch als eine Möglichkeit, noch zwei Jahre zu gewinnen und nach der Mittleren Reife die Berufsentscheidung hinauszuschieben.

Doch Tauscher-Meriç erlebt auch große Motivation und den Willen, etwas zu erreichen. Die Pandemie habe die Bildung wieder zum Thema gemacht, sagt sie. Technik ist für sie dabei kein Selbstzweck, aber auch nicht zu verteufeln. Schulen seien lange der Entwicklung in der Arbeitswelt hinterhergehinkt. "Wir in der Schule müssten eigentlich Vorreiter sein", sagt die Schulleiterin, damit die Schüler dann am Ende reif fürs Studium und fürs Berufsleben sind.

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