Forschung:Mit Zeppelinen die Welt vermessen

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Flugbegleiter: Wochenlang ist über der Gemeinde Aying ein unbemanntes Luftschiff unterwegs und gleitet nahezu lautlos dahin. Der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus kartografiert mithilfe von 3D-Scannern, die an Keiko angebracht sind, die Landschaft – mit den daraus entstandenen Aufnahmen werden dann am Computer detailgetreue Virtual-Reality-Darstellungen angefertigt. (Foto: Claus Schunk)
  • Airbus testet über und in Aying ein neues, unbemanntes Luftschiff, mit dem die Landschaft dreidimensional kartografiert werden soll.
  • Daraus werden Modelle des Ortes erstellt, mit denen detailgetreue Virtual-Reality-Darstellungen angefertigt werden können.
  • Das elf Meter lange Luftschiff "Keiko" ist derzeit regelmäßig bei Probefahrten am Himmel zu sehen.

Von Martin Mühlfenzl

Es ist nur ein leichtes Surren, das zu hören ist. Dann kommt die Startfreigabe: "Clear for Takeoff" - und "Keiko" hebt seine Nase steil an, das Brummen der beiden Motoren mit einer Leistung von jeweils drei Kilowatt wird etwas lauter und der weiße Ballon zischt nach oben in den strahlend blauen Himmel über Aying, bis er die angepeilte Höhe von etwa 170 Metern über dem Feld erreicht hat.

Seit Mitte Mai bietet sich den Ayingern ein immer wiederkehrendes Schauspiel. Ein elf Meter langes Luftschiff, das seelenruhig und lautlos über der Gemeinde seine Bahnen zieht. Natürlich nur, wenn das Wetter passt; bei Regen oder Wind, der mit mehr als 20 Stundenkilometern daherkommt, bleibt Keiko im Hangar.

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Den kennen mittlerweile auch einige Jugendliche aus dem Ort, die immer wieder vorbeischauen - und sich für das weiße, unbemannte Luftschiff interessieren. "Die lernen auch immer mehr dazu", sagt Robert Holder und lacht. "Sie lesen in Wikipedia nach, stellen uns Fragen und wissen mittlerweile auch, dass ein Luftschiff fährt und nicht fliegt."

Der Konzern Airbus testet über und in Aying ein neues, unbemanntes Luftschiff, mit dem die Landschaft dann von Juli an dreidimensional kartografiert werden soll. Daraus werden dann 3-D-Modelle des Ortes erstellt, mit denen detailgetreue Virtual-Reality-Darstellungen angefertigt werden können.

Genau genommen ist es ein "integriertes Team" aus acht Spezialisten, wie Projektleiter und Ideengeber Holder sagt. Eine "Operation Crew" bestehend aus Experten der Luft- und Raumfahrt, die eine Alternative zu Drohnen entwickeln wollen. "Und wir haben dabei starke Argumente", sagt Holder. "Luftschiffe sind im Gegensatz zu Drohnen supersicher, mit einem Niedrigrisiko in Hochrisikogebieten, und sie sind natürlich deutlich leiser."

An diesem Nachmittag in Aying bieten sich dem Team beste Bedingungen, nur ein lauer Luftzug ist zu spüren, und es herrscht strahlender Sonnenschein; am Horizont thront die Alpenkette, davor der Kirchturm von St. Andreas. Auch er wird einmal Eingang in die virtuelle Welt finden, mit einer Bodenauflösung von nur noch zwei Zentimetern, wie Holder sagt. "Das ist schon sehr detailliert. Eine Bodenauflösung von zwei Zentimetern heißt, dass ein Pixel im Modell dann auch zwei Zentimetern in der Realität entspricht."

Der Start wird manuell per Controller gesteuert, die Flüge absolviert das Gefährt meist per Autopilot. (Foto: Claus Schunk)

Bevor es an die Erstellung derart detailgetreuer 3-D-Modelle des Ayinger Ortsgebietes geht, steht für das Airbus-Team aber im Vordergrund, die Flugeigenschaften des Flugschiffs zu perfektionieren. Die Infrastruktur, die die acht Experten dafür brauchen, steht ihnen direkt am Sportplatz zur Verfügung. Dort haben sie ihren Hangar geparkt, einen Lkw-Container, in dem das Luftschiff "flugfertig" verstaut werden kann und vor Wettereinflüssen geschützt ist. Wenn in nicht allzu ferner Zukunft eine andere "Mission" an einem anderen Ort ansteht, werde der Hangar einfach auf einen Sattelschlepper verladen und an den Einsatzort gefahren.

Die Idee selbst sei in Friedrichshafen geboren worden, sagt Projektleiter Holder. Er selbst war dort längere Zeit tätig, in der "Stadt der Luftschiffe". "Dort gehören Luftschiffe wie selbstverständlich zum Stadtbild und lösen auch Begeisterung aus", sagt er. Ihm und seinem Team gehe es jetzt darum, "die Idee der althergebrachten, sicheren Technologie mit moderner Technik zu kombinieren".

Auf einer kleinen Anhöhe in Sichtweite des Hangars hat die Crew ihre Bodenstation aufgebaut, einen kleinen, blauen Pavillon mit einer Biertischgarnitur und einer blauen Box. Darin befindet sich ein Laptop, mit dem die Techniker während des Flugs alle relevanten Systeme des Schiffs überprüfen.

Bevor zwei Mann das Luftschiff auf den Hügel tragen - mehr Muskelkraft braucht es für das mit Helium gefüllte Schiff nicht -, erfolgt am Container noch der "Preflight-Check". Etwa zehn Minuten dauert das Prozedere, bei dem die Liste sorgsam abgearbeitet wird und das sich kaum von der Vorflugkontrolle des Piloten eines Airbus auf dem Rollfeld unterscheide, sagt Holder. Die Motoren werden kontrolliert, ebenso die sogenannten Ballonnetts: Ballone im Inneren, die genutzt werden, um die Ausdehnung oder das Zusammenziehen der Hülle auszugleichen. "Würde es kalt werden, würde sich das Helium zusammenziehen. Dann füllen sich die Ballonetts mit Luft und stellen sicher, dass die Hülle stabil mit dem definierten Druck gefüllt bleibt, um aerodynamisch zuverlässig fliegen zu können", sagt Chefingenieur Markus Wagner.

Es gehe darum, den Innendruck zu halten, dass die Hülle prall ist. Das "Herzstück" des Schiffs sei aber die Gondel, dort befinden sich der Antrieb, die Akkus und die Datenmodems. Bis zu drei Stunden könne das Luftschiff in der Luft bleiben, sagt Wagner, das sei ein unschlagbarer Vorteil gegenüber einer Drohne. Bei gleicher Nutzlast ist das in etwa die zehnfache Dauer.

Gerade einmal zwei Mann braucht es, um das Luftschiff bis zum Startplatz zu tragen. (Foto: Claus Schunk)

Der Check ist erfolgreich abgeschlossen. Jetzt wird es ernst. Auf der grünen Wiese werden die Motoren gestartet, und Wagner lässt Keiko nach der Startfreigabe manuell mit seinem Controller abheben. Auf der gewünschten Höhe angekommen, beginnt das Luftschiff lautlos auf der gewünschten Bahn zu fahren.

Am Bildschirm im Pavillon lässt sich verfolgen, wie das Luftschiff dann in 170 Metern Höhe ziemlich genau auf dem vorher bestimmten Hippodrom, einer ovaler Flugbahn, seine Kreise zieht. "Man kann jetzt sehen, wie es superschön dem Track folgt", sagt Wagner. "Es gleicht Windböen aus, die aufsteigende Luft, und korrigiert immer leicht, um die Position möglichst akkurat zu halten." Und das alles lautlos.

Von Juli an werde dann aus dem "Test" eine "Mission", sagt Holder, dann beginnen die tatsächlichen Kartografierungen Ayings. Die Gemeinde, sagt der Projektleiter, dürfe sich auf "eine schöne Darstellung ihres Ortes freuen". Die 3-D-Modelle könnten als Methode dienen, sich mit einem "Alleinstellungsmerkmal" darzustellen, etwa beim Thema Tourismus", sagt er. "Gerade im schönen Alpenvorland." Das sei aber nur ein Aspekt, macht Holder deutlich. Mit den detailgetreuen Modellen von innerstädtischen Bebauungen können auch Straßenschäden identifiziert werden, Potenziale für Solaranlagen ermittelt und städtebauliche Maßnahmen unterstützt werden, etwa beim Thema Denkmalschutz.

Ein prominentes Beispiel für eine mögliche Anwendung, sagt Holder, sei die Kathedrale Notre-Dame de Paris, die im April durch einen Brand massive Schäden erlitten hat. "Mit so einem 3-D-Modell könnten wir zeigen, wie Details ausgesehen haben, und dies für einen Wiederaufbau verwenden. Das hätte einen wahnsinnigen Wert", sagt er. Aying ist nur der Anfang, später sollen vor allem große Städte kartografiert werden.

Aus den Bildern der Kameras entstehen detailgetreue, virtuelle Welten, die per 3-D-Brille betreten werden. (Foto: Claus Schunk)

Im Hangar des Luftschiffs lässt sich eine weitere Nutzung erleben. Vor einem Computer-Terminal setzt Ferdinand Eisenkeil, Mitarbeiter der IABG in Ottobrunn, Robert Holder eine VR-Brille auf und reicht ihm zwei Sticks. Auf dem Bildschirm lässt sich erkennen, was auch Holder durch die Brille in 3-D sieht - Bauerngehöfte, Bäume, Schuppen, eine virtuelle Realität, eine dreidimensionale Welt, erstellt durch Bilder, die mit den Kameras am Luftschiff aufgenommen worden sind.

Holder kann sich durch die Welt bewegen, sich mit einem Klick an einen anderen Punkt beamen oder über die Bauernhöfe schweben. Noch ist die Auflösung nicht ideal, alles sei noch in der Entwicklung, sagt Eisenkeil. "Wir haben uns zusammengetan, weil wir wissen wollen, wie wir große und komplexe dreidimensionale, georeferenzierte Daten in der virtuellen Realität interaktiv abgebildet bekommen."

Draußen vor dem Container wird Keiko wieder in seinen Frame gepackt, in seine Halterung am Boden. Bis zum nächsten Start in den Himmel über Aying, draußen in der wirklichen Welt.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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