Süddeutsche Zeitung

Folge 8:Ein Steinbruch aus mystischen Zeiten

Das Gleißental bei Oberhaching wirkt heute wie eine verwunschene Feenwelt. Jahrhundertelang herrschte hier Hochbetrieb, denn Münchner Baustellen brauchten das Felsmaterial

Von Iris Hilberth, Oberhaching

Ein Zauberwald, in dem jederzeit ein Elf oder vielleicht auch ein Zwerg hinter einem großen Stein hervorschauen könnte, würde wohl genauso aussehen: zerklüftete Felswände, die ein Halbrund um eine kleine Lichtung mitten im Wald bilden, fast wie ein natürliches Amphitheater. Das knapp 15 Meter hohe Gestein mit seinen vielen Ritzen, Löchern und kleinen Höhlen ist bemoost, an den obereren Rand krallen sich die Wurzeln hoher Bäume, die den Schauplatz in ein geheimnisvolles grünes Licht tauchen. Kein Wunder also, dass erst kürzlich in dem ehemaligen Steinbruch im Gleißental bei Oberhaching die Einheimischen Purcells Oper "The Fairy Queen" nach Shakespeares "Sommernachtstraum" aufführten. Auch Liselotte Pulver musste vor Jahrzehnten zwischen den Felsen des Gleißentals Textsicherheit beweisen. 1957 wurden hier einige Szenen der Filmkomödie "Das Wirtshaus im Spessart" gedreht. Eine solche Kulisse kann man gar nicht nachbauen.

"Wildromantisch" findet der Oberhachinger Klaus Bucher diesen Ort, gut zehn Gehminuten von der Stefanienstraße in seiner Gemeinde entfernt. Er sei auch heute noch "ein idealer Räuberspielplatz", sagt er, "ein Hotspot, der die Fantasie der Kinder anregt", das stelle er immer wieder fest, wenn er mit seinen Enkeln ins Gleißental komme. Aber eigentlich spricht jeder in Oberhaching vom "Klettergarten". Denn bis vor einigen Jahren noch haben sich die Alpinisten aus dem Ort an diesen Wänden fürs Gebirge fit gemacht. Heute sieht man hier kaum noch jemanden hinaufkraxeln. Bucher meint, es gebe für die Bergsportler inzwischen viele Alternativen, auch Kletterhallen.

Der Oberhachinger hat lange als Bauingenieur gearbeitet. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum ihn dieser ehemalige Steinbruch mit seinem ganz speziellen Gestein so fasziniert, das er sich intensiv mit seiner Entstehungsgeschichte befasst. Schaut man genauer hin, erkennt man, dass dieser Fels sich aus vielen kleinen Steinen zusammensetzt. Konglomerat nennt der Geologe eine solche Zusammenballung von Kies oder Geröll. Im Gleißental und im Isartal spricht man von Nagelfluh, einem Sedimentgestein, das durch die Ablagerung von Flüssen und spätere Verfestigung entstanden ist und dessen Bestandteile zuvor durch den Transport rund geschliffen wurden. "Bei dieser Art von Sedimentgesteinen unterscheidet man zwischen dem Nagelfluh und der Brekzie, bei der die Bestandteile eckig sind, weil sie am Ort der Erosion entstanden ist", erklärt Mineraloge Thomas Grasl aus Unterhaching. Durch das Bindemittel, in der Münchner Schotterebene verfestigter Kalk, werde das Sedimentgestein hart wie Beton.

Transportiert haben die Steine im Gleißentaler Nagelfluh einst die mächtigen Gletscherströme. Das Tal war Ende der Würmkaltzeit vor etwa 20 000 bis 14 000 Jahren entstanden, als die Schmelzwasser des Isargletschers hier durchflossen. Das Gletschertor dieses Eglinger Gletscherfingers befand sich dort, wo heute die Straße von Großdingharting zum Deininger Weiher am südlichen Ausgang des Gleißentals vorbeiführt. "Das muss eine tolle Landschaft gewesen sein", schwärmt Bucher, in etwa muss es so ausgeschaut haben wie heute noch in Island, meint er. Heute ist das Gebiet ein Trockental.

Drei Eiszeiten und vier Warmzeiten lassen sich noch immer in den verschiedenen Trennschichten des Klettergartens im Gleißental genauso betrachten wie bei dem größeren und bekannteren Pendant in Baierbrunn am Isarhochufer bei Buchenhain. Als besonders bemerkenswert gelten bei beiden dieser Geotope die sogenannten Geologischen Orgeln, röhrenförmige, vertikale Felsformationen, die durch lang andauernde Verwitterungsprozesse entstanden sind. "Der Kalk wird von kohlensäurehaltigem Wasser gelöst", sagt Mineraloge Grasl. Auch touristisch haben die Geologischen Orgeln eine Bedeutung: Schon als die ersten Sommerfrischler aus München Ende des 19. Jahrhunderts ins Gleißental gekommen seien, galten die Formationen als Attraktion, sagt Bucher.

Interessant war der Nagelfluh aber vor allem im Mittelalter als Baumaterial. Laut Bucher sind die Bewohner der umliegenden Dörfer damals beim Brunnenbau auf das Konglomerat gestoßen. So begann man, das Gestein im Gleißental in mehreren Steinbrüchen abzubauen, weil es hier gut zugänglich war. Eine Schwerstarbeit mit Eisenstangen. Abtransportiert werden mussten die Bruchsteine mit Ochsengespannen, denn schon lange floss im Gleißental kein Fluss mehr, sodass man sie nicht wie anderswo per Floß zu ihrem Bestimmungsort bringen konnte. Besonders eignete sich das Gestein für Fundamente, weshalb auch die Münchner Frauenkirche auf Gleißentaler Nagelfluh steht. Auch die Hochwasserschutzwände an der Isar wurden 1890 aus diesem Matererial errichtet.

Am Mittwoch geht es um den Notzinger Weiher.

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SZ vom 14.08.2017
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