Süddeutsche Zeitung

Flughafen München:Die Krux mit dem Drehkreuz

Lesezeit: 2 min

Streit um die dritte Startbahn: Nur das Lufthansa-Geschäftsmodell macht den Ausbau des Flughafens nötig - doch dieses gilt in der Branche zunehmend als überholt.

Jens Flottau

Die Flughafen München Gesellschaft (FMG) betreibt einen gewaltigen PR-Aufwand, wenn es um die dritte Startbahn geht. Sie hat unter anderem eine eigene Internetseite mit Graphiken, Faktensammlungen, Unterlagen zum Planfeststellungsbeschluss und allen Argumenten zusammengestellt. Fazit natürlich: Das Ding muss her, und zwar schnell.

Doch wenn man ein bisschen hinter die nackten Zahlen schaut und einige wichtige Branchentrends berücksichtigt, dann ist die Sache nicht mehr so eindeutig. "Die große Gefahr besteht darin, dass man ein Problem lösen will, das es gar nicht dauerhaft gibt", sagt Markus Franke, ein Unternehmensberater für Luftverkehr, mit Blick auf den Münchner Kapazitätsengpass.

Die FMG argumentiert, dass die Fluggesellschaften schon heute mehr Start- und Landezeiten (sogenannte Slots) beantragen, als zur Verfügung stehen. Damit könne der Flughafen die Nachfrage nicht mehr befriedigen. Auf den ersten Blick ein klarer Fall, zumal die FMG dies auch mit Daten belegen kann. Doch so einfach ist die Sache nicht: Der Flughafen Frankfurt schafft heute mit einer Kapazität von durchschnittlich 83 Flugbewegungen pro Stunde 53 Millionen Passagiere pro Jahr.

Der Flughafen München erreicht mit den derzeit zwei Bahnen 90 Bewegungen, zählt aber etwa 20 Millionen Passagiere pro Jahr weniger. Der wesentliche Grund: Die Lufthansa als Hauptnutzerin setzt auf den Münchner Strecken Flugzeugtypen ein, die im Durchschnitt um ein Drittel kleiner sind als in Frankfurt. Wenn sie also nur genauso große Flugzeuge wie an ihrem Haupt-Drehkreuz nutzen würde, könnte Lufthansa in München ohne einen einzigen zusätzlichen Slot um 30 Prozent wachsen.

Zudem kommen viele andere Flughäfen mit zwei Startbahnen aus und fertigen viel mehr Passagiere als München ab. Bestes Beispiel ist London-Heathrow: zwei Bahnen, 66 Millionen Passagiere im Jahr 2009.

Der Unterschied liegt in der Ausrichtung: Der Schwerpunkt des Münchner Lufthansa-Drehkreuzes liegt immer noch auf dem Europaverkehr, in dem kleinere Maschinen eingesetzt werden als auf den Langstrecken. Frankfurt und London sind Spezialisten für Langstrecken. Zusätzlich aber bedient sich Lufthansa in München besonders gerne ihrer Regionalpartner wie Air Dolomiti oder Augsburg Airways, deren Flugzeuge noch kleiner sind als die eigene Kontinentalflotte.

Doch das klassische Konzept, möglichst viele Flüge zu möglichst vielen Zielen anzubieten und die Passagiere in möglichst kurzer Zeit am Drehkreuz umsteigen zu lassen, ist in die Krise geraten. Das Modell ist zwar in der Theorie attraktiv, es funktioniert aber nur, wenn die Passagiere hohe Preise zahlen.

Denn Drehkreuze sind sehr komplexe und damit teure Gebilde. Billigkonkurrenz und Wirtschaftskrise aber haben dazu geführt, dass die Ticketpreise stark sinken; alleine 2009 sind die Durchschnittspreise auf vielen Strecken um mehr als 20 Prozent gefallen. Lufthansa macht auf den innereuropäischen Strecken nach Informationen aus Branchenkreisen jährlich Verluste von mehreren hundert Millionen Euro - das Unternehmen sagt dazu offiziell nichts.

Im Rahmen des Programms Climb 2011 mustert Lufthansa Dutzende Regionalflugzeuge aus und ersetzt sie durch größere Jets, die geringere Kosten pro Sitz aufweisen. Das Unternehmen setzt also auf größere Flieger, unabhängig davon, ob es nun in München zusätzliche Slots gibt oder nicht. Darüber hinaus gibt es in der Branche immer mehr Stimmen, die das Drehkreuz-Konzept für Kurzstrecken sogar grundsätzlich in Frage stellen - weil es zu teuer kommt, die Firmen also kein Geld verdienen.

Deshalb flachen einige Fluggesellschaften, zuletzt Austrian Airlines in Wien, die Verkehrsspitzen ein wenig ab und verschieben Flüge in ruhigere Tageszeiten, um die Produktivität zu erhöhen und die Kosten zu senken. Auch dies würde in München den Druck verringern, eine dritte Startbahn zu bauen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.972467
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.07.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.