Flüchtlingsschicksal:"Eine Bedrohung gegen seine Person hat er nicht vorgetragen"

Grünwald, Portrait von Turyalai Ibrahimi Naderi, 25, Drogenfahnder aus Afghanistan

Turyalai Ibrahimi aus Afghanistan hat In Grünwald Zuflucht gefunden.

(Foto: Angelika Bardehle)

Das steht in Turyalai Ibrahimis Abschiebebescheid. In Afghanistan aber wurde er von den Taliban gejagt und mit dem Tod bedroht. Arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unsauber?

Von Lea Frehse, Grünwald

Drei Dutzend Männer, Rücken gestreckt, Hände an der Hosennaht, schauen streng in die Kamera. Mehrere Wochen lang haben sie auf einer Militärbasis in den USA für den Kampf gegen Drogenbosse in Afghanistan trainiert. Das Abschlussfoto aus dem Jahr 2014 zeigt die weißen, amerikanischen Ausbilder sitzend vorne, ihre afghanischen Schüler stehend dahinter. In der letzten Reihe ganz rechts außen steht Turyalai Ibrahimi Naderi, weiche Züge, schüchterner Blick. Es ist das Bild einer Vision, die schon damals längst bröckelt: in Reih und Glied für den Rechtsstaat in Afghanistan. "Meine alte Heimat", sagt Ibrahimi.

Turyalai Ibrahimis neues Zuhause ist eine Drei-Zimmer-Wohnung nahe der Isar in Grünwald. Er teilt sie sich mit zweien seiner Brüder und zwei Cousins. Er habe Afghanistan nie verlassen wollen, sagt Ibrahimi, doch nach Drohungen und Mordversuchen gegen ihn, den Drogenfahnder und Talibangegner, und seine Familie, habe er keinen anderen Ausweg mehr gesehen als die Flucht.

Über die Ägäis und den Balkan kam er im Dezember 2015 nach München. Er erinnert sich ganz deutlich an sein Staunen: Mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Menschen in Deutschland auf den Straßen bewegten, ohne den Blick zu senken vor Uniformen, ohne sich umzuschauen nach Autos, in denen doch Sprengstoff zünden könnte.

Es dauerte einige Wochen bis es sich in Ibrahimi ausbreitete: das Gefühl von Sicherheit. Eineinhalb Jahre später spricht Ibrahimi, 25, fließend deutsch, verdient sein Geld als Küchenhelfer in einem klassisch bayerischen Gasthof, hat Freunde gefunden. Obwohl er einer von Hunderttausenden war, die 2015 nach Deutschland flohen, hatte er nach einem Jahr ein ordnungsgemäßes Asylverfahren mit Anhörung und Aktenzeichen. Er sei Deutschland dankbar, sagt Ibrahimi. Wenn er die Wahl hätte, er würde hier wieder Polizist.

Turyalai Ibrahimi wäre ein Vorzeige-Flüchtling in einem Vorzeige-Land. Wäre da nicht dieser Bescheid. Und unter Entscheidung Punkt 1 bis 6 Worte wie: nicht zuerkannt, abgelehnt, Abschiebung. Mehr als 200 000 Menschen aus Afghanistan haben in Deutschland seit Anfang 2015 Asyl beantragt. Im Januar 2017 wurden erstmals seit Jahren wieder mehr Asylanträge von Afghanen abgelehnt als positiv beschieden. Ende 2015 waren es noch weniger als ein Viertel.

Die Quoten bestimmt die große Politik. Er wolle dem Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Afghanistan "Einhalt" gebieten, sagte Bundesinnenminister Thomas De Maizière (CDU) im November 2016. Afghanistan sei Bürgerkriegsland, in Teilen aber sicher genug, um abgelehnte Asylbewerber dorthin zurückschicken.

Grünwald, Portrait von Turyalai Ibrahimi Naderi, 25, Drogenfahnder aus Afghanistan

Turyalai Ibrahimi hat überlebt: Auch das Attentat, das sie in Afghanistan auf ihn verübt haben.

(Foto: Angelika Bardehle)

Menschenrechtsorganisationen und Fachleute protestieren vehement: Das Land sei nirgendwo sicher, argumentieren sie und verweisen auf Ergebnisse einer Studie des UN-Flüchtlingshilfswerks, die vom Ministerium selbst in Auftrag gegeben worden war. Die Bundesregierung missachte Grundrechte, um politischem Druck auszuweichen, sagen Kritiker. Druck wie den polternden Forderungen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) etwa nach einer Obergrenze.

Soweit die Politik. In der Praxis sind Abschiebungen nach Afghanistan schwer umzusetzen. Seit Dezember sind vier Flieger mit insgesamt 92 abgelehnten Asylbewerbern an Bord nach Kabul gestartet. Mehrere Bundesländer, darunter Schleswig-Holstein, verweigern sich den Abschiebungen aufgrund ethischer Bedenken. Bayern steht hinter der Rückführungspolitik. So hat die Angst vor Abschiebung Afghanen hier fest im Griff. Wessen Asylantrag abgelehnt wurde wie Turyalai Ibrahimis, muss jederzeit fürchten, von Polizisten aus der Wohnung geholt und in den nächsten Flieger gesetzt zu werden.

Wenn aber die Lage der Asylsuchenden nicht anders ist als vor einem Jahr und die Gesetze die gleichen sind, wie kann es dann zu mehr Ablehnungen kommen? Wird hier Recht gebeugt, um Anerkennungsquoten zu senken?

Hat sich der Entscheider die Akte gar nicht richtig angesehen?

Den Fall Ibrahimi dokumentieren zwei Schriftstücke. Zum einen das Protokoll seiner Anhörung. Darin ist von seiner Arbeit als Kundschafter für die Drogenfahndung der afghanischen Polizei zu lesen, von einem korrupten Gericht, das Ibrahimi für einen Schuss aus Notwehr ins Gefängnis brachte. Von einem Leben als Flüchtender im eigenen Land, der Schutz sucht in ständig wechselnden Wohnungen vor Häschern der Taliban. Nicht allgemeine Gefahren oder Geldsorgen hätten ihn vertrieben, wird Ibrahimi zitiert, sondern gezielte Anschläge auf ihn als Polizist. Immer wieder weisen Vermerke auf Dokumente hin, die er vorlegt, Schreiben der Provinzregierung, Prozessakten, Fotos wie das aus der US-Akademie.

Dann ist da der Bescheid. Auf acht Seiten finden sich Sätze wie: "Der Talibankommandant habe (...) geschworen (...), sie alle zu töten." Weiter: "(...) eine Bedrohung gegen seine Person hat er nicht vorgetragen." Es folgt eine banale Zusammenfassung zur "Lage in Afghanistan": Afghanische Sicherheitskräfte seien heute "bevorzugtes Ziel von Angriffen." Und Afghanistan "eines der ärmsten Länder der Welt".

"Man könnte meinen, der Entscheider habe sich die Akte gar nicht richtig angesehen", sagt Asylanwalt Christoph Unrath. Dank der Vermittlung einer Asylhelferin in Grünwald hat Ibrahimi über Anwalt Unrath Klage gegen die Ablehnung einreichen können. Das Verfahren werde wohl mindestens ein halbes Jahr dauern, sagt Unrath, die Aussicht auf Anerkennung: eher schlecht. "In seiner Absurdität ist der Bescheid meines Mandanten schon ein Einzelfall", sagt Unrath. Dennoch glaube er nicht, dass es sich hier schlicht um einen Fehler handele: "Ablehnungen für Afghanen sind politisch gewollt", sagt Unrath.

Laut Asylrechtsverbänden häufen sich in den vergangenen Wochen Bescheide, die den Eindruck vermittelten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) würde unsauber arbeiten. "Es sieht ganz dunkel aus", kommentiert Nicolas Chevreux, Asylverfahrensberater bei Amnesty International. Auf Missstände deuten auch konkrete Zahlen hin: So wurden 2016 nicht nur ein Drittel mehr Klagen gegen Entscheidungen des Bamf eingereicht als noch 2015. Es waren auch drei Mal mehr Klagen von Antragstellern erfolgreich als noch im Jahr zuvor.

Entscheidungen wie im Fall Ibrahimi ergäben sich auch aus Neuerungen im Bamf, sagt Stephan Dünnwald, Vorsitzender des Bayerischen Flüchtlingsrates. Im Bestreben schneller mehr Fälle abarbeiten zu können, sei Anhörer inzwischen nicht mehr gleich Entscheider. "Das ist fatal. Erstens werden augenscheinlich nicht alle Akten gründlich gelesen. Zweitens ist Asyl immer auch eine Ermessensfrage. Wenn aber ein Entscheider den Antragsteller nie gesehen hat, wie soll er dessen Glaubwürdigkeit einschätzen können?", sagt Dünnwald. Bei oft hastig eingestellten Anhörern, Entscheidern, Dolmetschern fehle die nötige Ausbildung.

Wieso aber wird ein strukturelles Problem ausgerechnet zu einem Problem für die Afghanen? "Hier werden nicht gezielt Fehler gemacht", sagt Dünnwald, "aber zweifellos haben Entscheider die Weisungen des Bundesinnenministeriums im Hinterkopf und die besagen: Nach Afghanistan kann abgeschoben werden". Sei aber eine Entscheidung negativ, schlage sie bei Asylsuchenden aus Afghanistan besonders durch: "Wird ein Syrer nicht als politischer Flüchtling anerkannt, erhält er in der Regel trotzdem einen temporären Schutzstatus, denn Syrien gilt als Bürgerkriegsland. Afghanen aber werden schlicht ganz abgelehnt."

Ibrahimi hat auf der richtigen Seite stehen wollen

Für Turyalai Ibrahimi könnte das beschauliche Grünwald zur Sackgasse werden. Die Staatsregierung unterstützt nicht nur die Abschiebungen. Sie greift aktiv ein: Indem sie etwa Zuständigkeiten in punkto Arbeitserlaubnissen für Afghanen vom Landratsamt auf die Regierung von Oberbayern übertragen hat.

Dass sein Leben Gegenstand eines Richtungsstreits ist, hat Turyalai Ibrahimi längst mitgekriegt. Damals, in Afghanistan, hatte er auf der richtigen Seite stehen wollen. Auf der Seite eines im Aufbau befindlichen Staates. Die Grundsätze des Polizeidienstes lernte er auch von deutschen Ausbildern. Vielleicht fühlte er sich deshalb wie gelähmt, als der Bescheid kam. Er glaubt so fest an Recht und Gesetz.

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