Flüchtlinge:Die Herausforderung

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Traglufthallen, wie jene in Neubiberg, sind Notunterkünfte. (Foto: Angelika Bardehle)

Traglufthallen sind nur als Notunterkünfte gedacht. Sie fordern Bewohnern, aber auch den Sozialbetreuern viel ab. Caritas-Kreisgeschäftsführerin Gabriele Stark-Angermeier spricht von Kärrnerarbeit

Von Sabine Wejsada

Es ist für alle Neuland gewesen. Eine Traglufthalle, bewohnt von 300 Menschen mit im Schnitt 15 unterschiedlichen Nationalitäten, die einiges gemeinsam haben: Eine oft anstrengende Flucht über viele tausend Kilometer, teilweise mit traumatisierenden Erlebnissen, den Verlust von Heimat und Familie sowie die Angst, vielleicht nie wieder nach Hause zurückkehren können.

Sieben Hallen gibt es im Landkreis

Im Landkreis München gibt es sieben solcher Hallen. In ihnen sind mehr als 2000 Schutzsuchende untergebracht, die vor allem eines eint: die Hoffnung auf ein besseres, auf ein sicheres Leben in Deutschland. Um diese Menschen kümmern sich Fachleute von Wohlfahrtsverbänden. Sie sollen sie beraten und begleiten auf dem Weg zu einer möglichen Anerkennung als Asylbewerber.

Ein Mitarbeiter betreut etwa 100 Flüchtlinge, drei sind es bei 300 Personen, die in einer solchen Notunterkunft Platz finden. So sieht es der Betreuungsschlüssel des Landratsamts vor, die Regierung von Oberbayern setzt auf eine Quote von eins zu 150. Die sieben Traglufthallen hat der Landkreis München als Notfallmaßnahme zur Unterbringung von Flüchtlingen errichten lassen. Die erste Halle eröffnete im Juli 2015 in Taufkirchen, weitere folgten in Neubiberg, Oberhaching, Unterhaching, Grünwald, Unterföhring und Haar.

Es gibt auch einen Indoor-Spielplatz

Obwohl es sich bei den Traglufthallen explizit um Notunterkünfte handelt, ist nach Überzeugung des Landkreises die Aufenthaltsqualität wesentlich höher als in einer Sporthalle, in der die Stockbetten oft nicht einmal durch Trennwände in kleinere räumliche Einheiten unterteilt werden können. In den klimatisierten Traglufthallen hingegen werden nach oben offene, separate Einheiten mit jeweils sechs Betten gebildet. Jede einzelne hat Spinde, einen Tisch und Stühle.

Darüber hinaus gibt es Speise- und Aufenthaltsbereiche sowie einen Indoor-Spielplatz für Kinder. Die sanitären Anlagen befinden sich in eigenen Containereinheiten innerhalb der Halle. Auch die Objekt- und Sozialbetreuung haben eigene Arbeitsräume, manchmal auch die ehrenamtlichen Helferkreise. Darüber hinaus gibt es ein Behandlungszimmer zur ärztlichen Versorgung der Flüchtlinge.

Die Sozialbetreuer stehen den Asylsuchenden als Ansprechpartner für alle Fragen des täglichen Lebens zur Verfügung. Von Montag bis Freitag wird tagsüber immer mindestens ein Mitarbeiter in der Halle sein. So ist es vorgesehen. Die Verpflegung mit Essen erfolgt über einen Caterer. Rund um die Uhr sind Objektbetreuer sowie Brandwachen anwesend, die sich um die Sicherheit der Bewohner und die technische Bedienung der Halle kümmern. Und im Notfall Hand anlegen und Hilfe holen, wenn zum Beispiel ein Kurzschluss die Stromversorgung lahmlegt, wie jüngst in Unterföhring.

Die Hallen seien kein neuer Akzent in der Asylpolitik, sagt der Landrat

"Wir wollen keinen neuen Akzent in der Asylpolitik oder der Unterbringung der Flüchtlinge setzen, aber wir müssen der Entwicklung Rechnung tragen", sagte Landrat Christoph Göbel (CSU) im Sommer 2015 nach der Entscheidung,

Traglufthallen aufzustellen. Feste Sammelunterkünfte für die von der Regierung von Oberbayern zugewiesenen Schutzsuchenden seien in der Kürze der Zeit aber einfach nicht aus dem Boden zu stampfen. Mit Hilfe der Hallen wollte der Landkreis zudem verhindern, weitere Sporthallen beschlagnahmen zu müssen.

"Ich wünsche mir, dass diese Form der Notunterbringung für alle Seiten eine gute und menschenwürdige Lösung ist - sowohl für die Asylbewerber, die zumindest ein wenig mehr Privatsphäre als in den Turnhallen haben, als auch für die Bürger, denen die Turnhallenunterbringung ebenfalls viel Verständnis abverlangt", sagte der Landrat Ende Juli 2015 der Bayerischen Staatszeitung. Sobald feste Unterkünfte fertig würden, ziehen die Asylbewerber nach Planung des Landkreises sukzessive nach dem Drehscheibenprinzip wieder aus.

Die Caritas als Vorreiterin

Die Sozialbetreuer der Caritas waren die ersten, die im Landkreis das Neuland Traglufthalle betreten haben. Seit der Eröffnung der Notunterkunft in Taufkirchen, übrigens der ersten Traglufthalle in ganz Bayern, kümmern sie sich um die Flüchtlinge. Jetzt, ein Dreivierteljahr nach der Eröffnung, können die Mitarbeiter auf einige Erfahrung zurückblicken.

Nach den Worten von Gabriele Stark-Angermeier, der Kreisgeschäftsführerin der Caritas im Landkreis München, ist die Arbeit für die Sozialbetreuer sehr anstrengend. Ähnlich wie das Leben für die Flüchtlinge. "Wir tauschen nun unser Team in Taufkirchen aus", sagt Stark-Angermeier.

Der Grund? "Die Rahmenbedingungen für die Sozialarbeit sind richtig knackig", berichtet die Kreisgeschäftsführerin, die Herausforderungen, in einer Traglufthalle Dienst zu tun, sei für das Personal sehr, sehr anstrengend. "Kärrnerarbeit", nennt Stark-Angermeier den Job. Früher bezeichnete man mit diesem Ausdruck eine körperlich äußerst anstrengende, zähe Aufgabe. Das gelte auch für die Traglufthallen, wo die Sozialbetreuer nicht nur körperlich gefordert seien, sondern auch psychisch wegen der Menschen und ihrer Schicksale.

Für Kinder und Schwangere vollkommen ungeeignet - das sagt die Caritas

Die Caritas-Mitarbeiter mussten für sich selber erst einmal Strukturen schaffen für die Betreuung von Menschen in einer Unterkunft ohne Tageslicht und Frischluftzufuhr, mit einem permanenten Gebläse und Menschen in Not. "Die Traglufthallen verlangen allen Beteiligten alles ab", sagt die Caritas-Kreisgeschäftsführerin.

Und sie dürften wirklich nur eine Notlösung für die Bewohner und auch für die Betreuer sein. Für Familien mit Kindern und Schwangere sei eine solche Form der Unterbringung vollkommen ungeeignet, sagt Stark-Angermeier entschieden: "Die gehören dort nicht hin. Wir als Sozialdienst arbeiten da Hand in Hand mit dem Landratsamt, sagen, wenn etwas nicht geht, und werden auch gehört."

Die Caritas verfüge zwar über ein hohes Maß an Erfahrung, was die Betreuung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften angeht, sie habe Mitarbeiter mit Migrations- und sogar Fluchthintergrund. Trotzdem habe die Arbeit in einer Traglufthalle aber auch ihre Organisation vor große Aufgaben gestellt, sagt die Kreisgeschäftsführerin: So vielen Menschen in einer Unterkunft ohne Privatsphäre zu helfen, sei nicht immer einfach.

Personalfindung, Fortbildung, Supervision

Die Caritas kümmert sich um die Tragluftallen in Taufkirchen und Oberhaching, die Innere Mission betreut die Halle in Neubiberg, der Verein Hilfe von Mensch zu Mensch arbeitet in der Beratung in den Notunterkünften in Haar und Wörnbrunn/Grünwald und die Arbeiterwohlfahrt (Awo) hat die Hallen in Unterföhring und Unterhaching übernommen.

Jeder einzelne Wohlfahrtsverband stellt sich mit der Sozialbetreuung einer großen Herausforderung: Personalfindung, Fortbildung und Supervision. Und arbeitet auch ein bisschen für den anderen. Man unterstützt sich gegenseitig, wie Stark-Angermeier sagt. Und könne auch voneinander profitieren - alles immer in Absprache mit dem Landratsamt. "Klar, am Anfang in der ersten Halle macht man natürlich Fehler, mit der Zeit beziehungsweise der steigenden Zahl von Traglufthallen im Landkreis werden es immer weniger", sagt die Caritas-Frau.

Relativ neu in der Verantwortung in der Betreuung einer Notunterkunft ist der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt München-Land. Angelika Martin ist dort als Fachbereichsleiterin für Soziale Dienste tätig und damit im ständigen Kontakt mit den Betreuer-Teams in den Notunterkünften in Unterhaching und Unterföhring. Ähnlich wie bei der Caritas kämpfen die Beschäftigten mit den physischen Rahmenbedingungen ihres Arbeitsplatzes: schlechte Luft, keine Fenster, Kunstlicht.

Doch das Aushalten dieser Umstände ist nur ein kleiner Teil der Arbeit: "Wir sind da, wenn die Bewohner in der Halle ankommen. Da geht es nicht um die klassische Aufgabe einer Asylberatung oder Verfahrensbegleitung. Zuerst einmal stellen sich Fragen nach der Gesundheit der Flüchtlinge. Wo ist ein Arzt? Haben sie warme Kleidung und etwas zu essen?", berichtet Martin. Die Menschen wollten zunächst die Infrastruktur der Halle kennenlernen, viele der Ankommenden müssen erst einmal zur Ruhe kommen. "In den ersten vier Wochen sind wir Info-Point für alles" - und da muss die klassische Aufgabe der von den Wohlfahrtsverbänden entsandten Betreuer ganz automatisch in den Hintergrund treten. Normalerweise geht es um Hilfe bei Asylanträgen, bei Bescheiden von Ämtern und um Fragen, die sich mit den Themen Arbeit und Aufenthalt beschäftigen. Das alles müsse zunächst einmal warten.

So wie jetzt in Unterföhring, wo die Flüchtlinge erst Anfang Januar in die Traglufthalle eingezogen sind. In Unterhaching sei man schon weiter; dort ist die Awo seit Ende September in der Notfallunterkunft tätig und kümmere sich um die vielen Familien mit Kindern. Da hätten viele schon Arbeit gefunden, Kinder gingen in die Schule, Erwachsene besuchten Deutsch-Kurse, sagt Martin. In der Halle finde wenig statt, dafür gebe es viele Aktionen im Ort, zusammen mit den Helferkreisen. Die Arbeiterwohlfahrt habe deswegen auch ihre Bürozeiten angepasst.

Wie die Caritas setzt auch die Awo auf ein Zusammenspiel der Träger der Traglufthallen: Nach den Worten von Michael Wüstendörfer, dem Geschäftsführer des Awo-Kreisverbandes München-Land, ist es ganz wichtig, dass sich die Wohlfahrtsverbände absprechen, gemeinsame Standards für die Arbeit in den Notunterkünften finden. Für jede Halle gibt es einen eigenen runden Tisch mit dem Sicherheitsdienst, dem Caterer, dem Träger und dem Helferkreis sowie der jeweiligen Kommune - besprochen werden dort zum Beispiel die Reinigung, die Nacht-Problematik und auch Fragen, wie viele ehrenamtliche Helfer Zutritt erhalten sollen. Letztere sind nach übereinstimmenden Angaben der Wohlfahrtsverbände eine große Stütze in der Betreuung der Flüchtlinge. Ohne sie wären die Aufgaben nicht zu bewältigen.

Und auch in größerem Rahmen findet ein regelmäßiger Austausch statt, wie Landratsamts-Sprecherin Christine Spiegel sagt: So trifft sich einmal im Monat die Arbeitsgemeinschaft der freien Träger unter der Leitung der Kreisbehörde. "Wir sind in ganz engem Kontakt und sehr zufrieden mit den Trägern." In naher Zukunft soll es eine eigene Planstelle im Landratsamt geben - zur optimierten Koordination der Sozialbetreuung von Flüchtlingen.

Das Lob geben die Wohlfahrtsorganisationen an den Landkreis, die Mitarbeiter und politischen Würdenträger zurück: "Super, dass das Thema Asyl hier höchste Priorität hat", sagt Michael Wüstendörfer von der Awo. "Danke für die klare Positionierung des Landrats", sagt Caritas-Kreisgeschäftsführerin Gabriela Stark-Angermeier, auch wenn sie erklärtermaßen keine Freundin der aufblasbaren Notunterkünfte ist und sich eines wünscht: "Dass man die Traglufthallen bald zusammenklappen kann und die Menschen in feste Unterkünfte umziehen können. Und mit ihnen die Sozialbetreuer."

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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