Burschenvereine:Hoaße Hasn, fesche Buam

Maibaum-Brauch

Viel dreht sich bei Burschenvereinen um den Maibaum, dessen Bewachung und natürlich das Aufstellen. Aber nicht alles. Es geht auch um Verantwortung.

(Foto: Stephan Jansen/dpa)

Stadtrand und Brauchtum passen nicht zusammen? Von wegen. Burschenvereine und Dirndlschaften erleben immer stärkeren Zulauf. Wo so viele junge Menschen in Tracht zusammenkommen, geht es natürlich ums Feiern - aber auch ganz viel um Heimatliebe.

Von Christina Hertel

Mario Neumeyer fand Leute, die Lederhosen tragen, immer peinlich. Er schwor sich, nie so ein Ding anzuziehen. Niemals. Nach dem Abi besuchte er seine Schwester in Kirchheim. Drei Monate wollte er bleiben, danach ein Studium beginnen - in seiner Heimat, in Dresden. Das ist inzwischen acht Jahre her. Und Neumeyer ist immer noch da. Der Grund: die Kirchheimer Burschen. "Ich hab' sie getroffen und gedacht: Ich mag nicht mehr weg." Mittlerweile ist er ihr Vorstand, sagt "i" statt "ich" und "ned" statt "nicht", trinkt Helles statt Pils und selbstverständlich hängt bei ihm eine Lederhose im Schrank.

Gerade, vor ein paar Tagen erst, wurde ein wichtiges Projekt der Kirchheimer Burschen fertig: ihre neue Wachhütte. Die Gemeinde spendete dafür einen Container, den sie nicht mehr brauchte. Dass es mal ein ungemütlicher Kasten aus Metall war, sieht man kaum noch: Die Burschen verkleideten ihn mit Holz - innen und außen -, bauten Bänke, Tische, Bar aus ihrem alten Maibaum. Es gibt eine Nebelmaschine und eine Soundanlage. An der Wand hängt ein Stamperlautomat, aus dem man sich für zwei Euro einen Jägermeister ziehen kann. Außen wollen die Burschen noch eine Terrasse bauen. Und in zwei Wochen, spätestens zum 1. April, soll alles endgültig fertig sein. Denn da beginnt die Wachhüttenzeit. Die Zeit, in der der Verein aufpassen muss, dass sein Maibaum nicht geklaut wird. Aber auch die Zeit, in der fast jeden Tag eine andere Party ist: von der "Cuba-Libre-Night" bis zum "Noagalsaufa".

In den vergangenen Jahren gründeten sich im Landkreis einige solcher Burschenvereine - in Garching, Haar, Unterföhring. Neu dazu kam auch das weibliche Pendant, die Dirndlschaft - zum Beispiel die "Hoaßen Hasn" in Aschheim, "D'wuidn Goaßn" in Haar oder die "Pullacher Madln". Eigentlich alles stadtnahe Gemeinden, in denen viele Menschen wahrscheinlich nur wohnen, weil sie gerne einen Garten haben, aber auch schnell in München sein wollen. Warum gründen sich gerade hier Vereine, in deren Satzung der "Erhalt des bayerischen Brauchtums" steht? Sind das tatsächlich alles junge Leute, die in Dirndl und Lederhose etwas auf die Beine stellen möchten? Oder steht ganz einfach die große Party im Vordergrund, Bier trinken, die Sau rauslassen?

"Wir sind keine Stoderer."

Auch der Pullacher Burschenverein ist noch relativ jung, 2007 wurde er gegründet. Die Jahreszahl steht auf dem Steg der Lederhose, die alle Pullacher Burschen tragen, wenn sie zusammen unterwegs sind. "Wenn die anderen Burschenvereine sehen, wie jung wir sind, werden wir schon ein bisschen belächelt", sagt Moritz Harant, der Vorsitzende des Vereins. Er ist ein stämmiger Typ mit festem Händedruck, 25 Jahre alt. Harant sitzt in einem Wirtshaus am S-Bahnhof Isartal, trinkt natürlich ein Weißbier. Ein Vereinsheim haben die Pullacher Burschen nicht, weil in der Gemeinde kein Platz ist, also treffen sie sich im Wirtshaus. Zur Stadtgrenze sind es von hier aus vielleicht ein paar hundert Meter. Trotzdem sagt Harant: "Wir betonen immer, wir sind keine Stoderer." Aber vom Land, aus einem richtigen Dorf, sind sie doch auch nicht. "Wir sind halt Pullacher." Und als Pullacher ist ihm das bayerische Brauchtum wichtig. "Wenn jemand aus einem anderen Land an Deutschland denkt, sieht er sofort Bayern." Bier, Dirndl Lederhose. Moritz Harant macht das irgendwie stolz. Aber besteht Brauchtum nur daraus?

Die Pullacher Burschen organisieren vor allem Feste. Jedes Jahr das Sonnwendfeuer und heuer das zu ihrem zehnjährigen Bestehen. Da kommt eine Band, es gibt ein Schafkopfturnier. Ein Lehrer habe ihnen auch schon einmal für das Maibaumfest traditionelle bayerische Tänze beigebracht. Sonst machen sie Ausflüge, Floßfahrten, Biergartentouren und jetzt bald natürlich fahren sie zu den verschiedenen Wachhütten im Umkreis. "Wir sind kein typischer Saufverein, wie es immer heißt. Wir wollen wirklich etwas auf die Beine stellen." Die meisten wüssten gar nicht, wie viel Arbeit es sei, ein Fest zu stemmen. Die Kirchheimer Burschen macht der Vorwurf, sie würden eh nur Bier trinken, sogar ein bisschen wütend. "Wir könnten ja mal einen alkoholfreien Tag in unserem Maibaumstüberl machen", sagt Zacharias Hämmerle. "Und schauen, wie viele Gäste da kommen."

"Was die Burschen können, können wir schon lange."

Nadine Metzger trägt Lederjacke, Sonnenbrille, hat langes blondes Haar. Sie ist eine, die überall mitmischt, immer unterwegs ist. Eine, die wahrscheinlich nicht so schnell schlechte Laune bekommt. Was andere Leute denken oder sagen, ist ihr relativ egal. In Haar gründete sie vor ein einhalb Jahren zusammen mit einer Freundin eine Dirndlschaft, die "Wuidn Goaßn". "Wir haben uns gedacht, was die Burschen können, können wir schon lange." Tatsächlich gab es in Haar ihren Madlverein sogar vor den Burschen. Nadine Metzger gründete die Dirndlschaft, weil es für junge Leute nicht viel gibt in Haar. Weil die meisten ja doch zum Feiern in die Stadt fahren.

Haar Deandlschaft

Sie wollen die Gemeinde aufmischen: die jungen Frauen der Dirndlschaft "D' wuidn Goaßn" in Haar.

(Foto: privat)

Und weil sie anderen das zeigen will, was ihr wichtig ist. Metzger ist in Vereinen quasi aufgewachsen, sie ist Mitglied im Bürgerverein, im Trachtenverein, im Theaterverein. In ihrem Kleiderschrank hängen zehn Dirndl. Sie fühlt sich darin wohl - nicht nur zum Oktoberfest. Aber das sei nicht für alle in ihrem Alter normal. Für ihren Madlverein habe sie deshalb eins ausgesucht, das allen gefällt: Es ist schwarz mit einer türkisfarbenen Schürze. Wenn Nadine Metzger und ihre Madln - 30 sind es inzwischen - zusammen irgendwo auftauchen, tragen sie das alle. Sie sind eine Einheit. Da wird klar: Obwohl heute die Freiheit so groß, die Möglichkeiten so vielfältig sind, suchen die jungen Leute das gleiche, wie vor 200 Jahren, als die ersten Burschenvereine gegründet wurden. Sie wollen irgendwo dazugehören.

Michael Bichlmeier hat nicht viel Zeit. Er muss noch Einiges besorgen. Orangen und Limetten, zum Beispiel. Und Seife und Klopapier. Er ist der Vorsitzende der Grasbrunner Burschen. Am Samstag holen sie ihren Maibaum aus dem Wald und läuten abends die Wachhüttenzeit ein - mit einem Fest natürlich, da muss man auch an Kleinigkeiten denken. Was macht einen Burschenverein aus, neben dem Feiern? Für Bichlmeier ist die Antwort einfach: "Der Zusammenhalt." Er kommt zwei-, dreimal die Woche in sein Vereinsheim, dort trifft er immer wen, das muss er gar nicht groß ausmachen. Auf der einen Seite der Hütte ist der Fußballplatz, auf der anderen ein Seniorenzentrum. Erst seit einem Jahr steht das Vereinsheim dort.

Burschenvereine: Stolz stellen die Kirchheimer Vorstände Mario Neumeyer und Zacharias Hämmerle (v. li.) ihre Wachhütte vor

Stolz stellen die Kirchheimer Vorstände Mario Neumeyer und Zacharias Hämmerle (v. li.) ihre Wachhütte vor

(Foto: Claus Schunk)

Vorher wohnte in der Hütte ein älterer Mann, da stand die Hütte allerdings noch in Solalinden, einem Ortsteil von Putzbrunn. Die Burschen bauten die Hütte ab und in Grasbrunn wieder auf. Sie fliesten das Bad neu, richteten den Kachelofen wieder her, bauten eine Küche und eine Bar. An den Wänden hängen Geweihe und an den Fenstern grüne Vorhänge. Bei den Burschen lerne man Verantwortung, sagt Bichlmeier. Und Lebenserfahrung. "Einen Verein gründet man ja nicht einfach so. Man muss sich um die Finanzen kümmern, Steuern zahlen."

Sechs Wochen dauert die Wachhüttenzeit in Grasbrunn. Diese Zeit könnte für Bichlmaier noch ziemlich anstrengend werden. Jedes Wochenende bis dahin ist ein anderes Fest. "We love 90's", "Mallotze Party", "Hauptsach es knoit". Der Höhepunkt: das Maibaumfestwochenende. Am 29. April, zwei Tage bevor der Maibaum aufgestellt wird, kommt die Kult-Band "La Brass Banda" nach Grasbrunn. Sie machen eine Mischung aus bayerischer Volksmusik, Techno, Reggae und Brass. Die Band könnte die Olympiahalle füllen - geht dieses Jahr aber auf eine Bierzelttour. Vereine und Institutionen konnten sich darum bewerben, dass die Musiker bei ihnen spielen. Und offenbar hat die Bewerbung der Grasbrunner Burschen gefallen. Ausverkauft ist das Konzert schon lange.

Burschenvereine: Mit dem Einholen des Maibaums hat in Grasbrunn die Wachhüttnzeit begonnen.

Mit dem Einholen des Maibaums hat in Grasbrunn die Wachhüttnzeit begonnen.

Auch da sei die Organisation viel Arbeit gewesen, sagt Bichlmeier. Überhaupt habe die ganze Bürokratie immer mehr zugenommen - vor allem beim Maibaum einholen. Einfach in den Wald gehen, fällen, heimbringen, geht nämlich nicht mehr. Für den Schwerlasttransport zum Beispiel brauchen die Vereine eine Genehmigung des Landratsamts. Davor muss man Formulare ausfüllen, einen Antrag stellen. Die Kirchheimer Burschen haben wegen des Aufwands eine Firma beauftragt, die den Transport übernimmt. Manche Traditionen halten eben doch nicht für immer - gezwungenermaßen.

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