Süddeutsche Zeitung

Feldkirchen:Vier Monate alt und todkrank

Der kleine Alex aus Feldkirchen leidet unter einem seltenen Gendefekt. Nur eine Stammzellenspende kann ihn retten. Eine Typisierungsaktion soll dabei helfen. 1089 Menschen beteiligen sich am Sonntag daran.

Von Ulrike Schuster, Feldkirchen

"Team Alex" trägt T-Shirts in Grün, die Farbe der Hoffnung. Auf dem Rücken steht: "Jeder könnte Alex' Held sein." Die 120 Team-Mitglieder von Markus Sperl, dem Vater des kleinen Jungen, machen es an diesem Sonntag eine Nummer kleiner. Sie tun das, was sie tun können. Es sind Freunde und Bekannte, Arbeitskollegen vom Roten Kreuz oder der Freiwilligen Feuerwehr.

Unter Vorbehalt sagte Constanze Straßer ihre Hilfe zu. Die 30-Jährige ist im neunten Monat schwanger, Geburtstermin von Franziska ist am 16. September. Das Mädchen soll völlig gesund sein, aber die Angst bleibe. Genauso das schlechte Gewissen, das sie gegenüber Markus Sperl, einem Freund, empfindet. "Darf ich ihm sagen, wir freuen uns auf ein gesundes Baby? Ist es okay zu erzählen, wir richten das Kinderzimmer ein, planen den Urlaub für die gemeinsame Elternzeit?" Manchmal habe sie um 4 Uhr nachts noch mit Sperl gechattet. Der konnte nicht schlafen und sie musste mal wieder aufs Klo.

Der Vater stellt sich wie ein Feldherr auf einen Stuhl

Die Rettungsassistentin hat sich bereits vor zehn Jahren bei der Deutschen Gesellschaft für Knochenmarkspende (DKMS) registrieren lassen. Es nervt sie, dass alle erst aktiv werden, wenn sie selbst irgendwie betroffen sei. "Wir müssen in größerer Dimension denken", sagt die Moosinningerin, "menschlicher." Alex' Vater stellt sich unterdessen wie ein Feldherr auf einen Stuhl - so entschlossen und siegeswillig wirkt er -, um die Helfer zu begrüßen, die sich an diesem Sonntag in der Mehrzweckhalle Feldkirchen versammelt haben.

"Der Hammer, wie ihr euch reingehängt habt. Wir rocken das heute, bringen das zusammen richtig toll über die Bühne", ruft der 31-Jährige. Applaus. Er zeugt von Respekt und Hochachtung für einen Vater, in dessen Haut keiner stecken will. Unausgesprochen steht die Frage im Raum: "Was wäre, wenn dein Kind?" Darauf gibt es nur eine Antwort: Man würde sich jede mögliche Hilfe wünschen.

Vier Monate ist der Sohn von Markus Sperl und Laura Haimerl jetzt alt und todkrank. Er leidet unter einem seltenen Gendefekt. Ohne neue Stammzellen, die ein neues Immunsystem aufbauen, wird Alex sterben. Also wird nach seinem genetischen Zwilling gesucht. Es ist die berüchtigte Nadel-im-Heuhaufen-Suche. Zusammen mit der DKMS hoffen die Eltern, den Einen oder die Eine zu finden. Vielleicht an diesem Sonntag.

Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert

Natürlich dienen Aktionen wie in Feldkirchen der Suche nach Spendern für Patienten weltweit. Indem man die Aktionen mit Einzelschicksalen verbindet, funktioniert die Spenderneuakquise aber besser. Dabei gilt: Je jünger, desto trauriger und desto größer das Bedürfnis der Menschen sich registrieren zu lassen. Markus und Laura haben ihr Bestes getan. Sie haben unermüdlich um Spender geworben, auf allen Kanälen. Sie wollen sich nicht vorwerfen müssen, es wäre noch mehr gegangen. 1089 Menschen haben sich am Sonntag von 11 bis 16 Uhr registrieren lassen. Auch die 20-jährige Veronika Linner ist unter ihnen, sie war mal Nachbarin von Alex' Mutter. Über Facebook hatte sie von der Aktion erfahren. Die Ausnahme. Die meisten an diesem Tag haben Mund zu Mund von der Aktion gehört. "Ich musste sofort an meine Nichten und Neffen denken", sagt sie.

Zunächst muss bei ihr wie bei allen Freiwilligen geklärt werden, ob sie überhaupt als Spenderin infrage kommt. Ist sie gesund und fit genug? Linner übersteht den Check, unterschreibt ein Einverständnis und bekommt ihr Blutröhrchen. Station zwei ist die Zwischenkontrolle. Dort werden die Spenden gesammelt. Die DKMS lebt als Verein davon. Danach wird's ernst, die Erdingerin muss zum Blutabnehmen. Für sie nicht ohne, wie sie bekennt. Rettungsassistent Lorenz Hornung beruhigt sie. Er habe sicher schon mehr als hundert Nadeln gelegt, sagt der 23-Jährige. Bloß blöd, wenn kein Blut fließt.

Wahrscheinlich hängt die Nadel an der Venenklappe fest, die andere Elle wird gepikst. Linner hält sich tapfer, sie schaut zu den vier weißen Liegen in der Ecke gegenüber. "Im Notfall hilfst du mir von dort wieder auf die Beine, ja?", fragt sie. Doch sie ist standfest. Nach zwölf Minuten hat sie den Parcours durchlaufen. Jetzt wartet ein großes Familienfest mit Käsekuchen und Sahne.

Eine Mini-Hürde muss sie zuvor aber noch passieren: die Endkontrolle. Stimmt der Barcode auf dem Datenblatt mit dem auf dem Blutröhrchen überein? Sind mindestens vier Milliliter drin? Alles passt. Jetzt muss unter allen Spendern nur noch ein passender gefunden werden für Alex.

Vielleicht sogar aus Feldkirchen.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2016/belo
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