Eveline Petraschka:Am literaturaffinen Nerv der Jugend

Eveline Petraschka: Brennt für gute Literatur und deren Förderung: Eveline Petraschka, die Leiterin der Pullacher Gemeindebibliothek.

Brennt für gute Literatur und deren Förderung: Eveline Petraschka, die Leiterin der Pullacher Gemeindebibliothek.

(Foto: Claus Schunk)

Kandidaten für den Tassilopreis 2016: Die Bibliotheksleiterin der Charlotte-Dessecker-Bücherei, Eveline Petraschka, holt mit ihrem Internationalen Jugendliteraturfestival Autoren von Format nach Pullach.

Von Udo Watter, Pullach

Vielleicht liest man niemals mit größerem Heißhunger als in dieser aufregenden Phase der Unsicherheit zwischen Kindheit und dem Eintritt ins Erwachsenenalter.

Der Projektor des Kopfkinos springt bei Teenagern oft viel unmittelbarer an, auch weil die Skepsis des bildungsbürgerlichen Niveaubewusstseins die Vorstellungskraft nicht hemmt; man verliert sich in der Fiktion, taucht ein in imaginäre Welten - ob man nun mit "Tschick" im gestohlenen Auto durch Ostdeutschland brettert, mit Katness Everdeen die Hunger Games gewinnt oder auch, etwas zeitloser, Hesses "Siddharta" in die Wälder folgt.

Eveline Petraschka, Leiterin der Pullacher Gemeindebibliothek, sieht gerade in dieser Altersgruppe, über deren vermeintliches Fehlverhalten zu klagen seit Jahrhunderten ein Hobby der Älteren ist, Potenzial. "Jugendliche sind so neugierig und so aufgeweckt", schwärmt die Germanistin und promovierte Historikerin. "Und auch viel politischer als es immer heißt." Kürzlich bei der Lesung "Dschihad Calling" mit Christian Linker - ein Roman, in dem sich der 18-jährige Jakob in eine junge Salafistin verliebt und radikalisiert - war die Charlotte-Dessecker-Bücherei im Pullacher Bürgerhaus gut besucht. Die Lesung in Kooperation mit dem Otfried-Preußler-Gymnasium war einer der Höhepunkte des "Internationalen Jugendliteraturfestivals Pullach", das heuer zum dritten Mal stattfand. Ins Leben gerufen hat das Festival Eveline Petraschka im Jahr 2014.

Als die Jugendlichen klagten, nahm sie sich das zu Herzen

Einer der Gründe war die Klage von Jugendlichen am Ort, es gebe zu wenig Veranstaltungen für ihr Alter. Petraschka, die von 1999 bis 2010 als Bibliothekarin in der Studentenbibliothek des Studentenwerks München war, nahm sich das zu Herzen und organisierte ein Literaturfestival für junge Erwachsene. Für die beiden ersten Auflagen unter dem programmatischen Motto "Tacheles Hören" und "NachtSeiten" wurde die 51-Jährige in der Kategorie "herausragendes individuelles Engagement" für den renommierten Deutschen Lesepreis der "Stiftung Lesen" nominiert.

Gute Chancen hat heuer auch die dritten Auflage unter dem Motto "Crossover". Petraschkas generelle Intention ist es, den "literaturaffinen Nerv der Jugendlichen zu treffen" und - nachdem Einzelveranstaltungen wie die "Lange Nacht der Jungen Literatur" trotz bekannter Autoren nur geringe Resonanz gefunden hatte - entschloss sie sich zum Festival-Format. "Ich wollte die Jugendlichen mit einem mehrtägigen Event locken und mit der Möglichkeit, die Autoren ihrer Lieblingsbücher live zu erleben." Das Festival gilt als bundesweit einziges, das ein Programm ausschließlich für Jugendliche und junge Erwachsene von 14 Jahren an offeriert.

Es ist nicht nur durch Lesungen renommierter Autoren von junger und Jugendliteratur wie Bov Bjerg, Kevin Brooks, Chris Bradford, Ursula Poznanski oder Benedict Wells charakterisiert, sondern durch Kurzgeschichtenwettbewerbe für 14 bis 19-Jährige, U-20-Poetry-Slams, Creative-Writing-Kurse sowie intermediale Veranstaltungen wie "Audio Book meets Movie" mit Robert Stadlober.

Petraschka liebt gute Literatur und brennt dafür, sie zu präsentieren und fördern. Während sie die ersten Auflagen des Festivals quasi im Alleingang organisierte, wurde sie bei der 2016er-Auflage von einer jungen Mitarbeiterin, Laetitia Rieger, unterstützt, die 2015 noch am Kurzgeschichtenwettbewerb teilgenommen hatte. Manchmal muss sich Petraschka, die dank ihrer Erfahrung als Bibliothekarin und Veranstalterin in München gut vernetzt ist und zahlreiche Autoren persönlich kennt, mit solchen Erfolgen im Kleinen zufrieden geben.

Die Bibliothek hat die Schwelle von 100000 Ausleihen überschritten

Die Resonanz auf ihre Lesungen ist in der Isartal-Gemeinde doch sehr unterschiedlich, trotz des guten Angebots lassen sich in der als bildungsbürgerlich beleumundeten Gemeinde manchmal nur wenig Interessierte blicken. Die umtriebige Petraschka lässt sich davon bisher nicht entmutigen, ihre Enttäuschung spürt man mitunter zwar, aber sie schafft es auch immer wieder, mit Selbstironie suboptimale Erfahrungen wegzulachen. Generell will sie ohnehin nicht klagen: "Der Job ist toll und vielseitig. Auch das Engagement der Gemeinde ist hervorragend."

2013 hat sie anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Bücherei, die inzwischen deutlich modernisiert ist und jetzt die Schwelle von jährlich 100 000 Ausleihen überschritten hat, organisatorisch noch mal richtig hingelangt - und in der Reihe "Literatur Live" Autoren wie Hans Pleschinski oder Clemens Meyer (Petraschka: "Er ist der coolste deutsche Gegenwartsautor"), aber auch Sachbuchautoren wie Volker Ulrich engagiert. Die Resonanz war gut, und damit dies künftig auch konstant für das Jugendliteraturfestival gilt, will Petraschka - neben forcierter Zusammenarbeit mit den Schulen - mit Lesungen ein wenig runterfahren: "Sonst kannibalisieren wir uns ja selber." Das nächste Jugendliteraturfestival wird daher in etwas verdichteter Form statt finden.

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