Europawahl:Von wegen unpolitisch

Europawahl: Ab in die Urne. Bei der U 18-Wahl in Unterhaching herrschte am Freitag eine rege Wahlbeteiligung unter den Kindern und Jugendlichen.

Ab in die Urne. Bei der U 18-Wahl in Unterhaching herrschte am Freitag eine rege Wahlbeteiligung unter den Kindern und Jugendlichen.

(Foto: Claus Schunk)

Bei der U-18-Wahl in der Unterhachinger Jugendkulturwerkstatt diskutieren die Kinder und Jugendlichen leidenschaftlich vor allem über den Umweltschutz. Dürften sie tatsächlich schon wählen, lägen die Grünen weit vorne.

Von Sophie Kobel, Unterhaching

Die kleinen Finger fahren über die Schwarz-Weiß-Kopie auf dem Tisch, die Liste rauf und runter, immer wieder. "Ich finde die Grünen irgendwie nicht", sagt Sophie Cornudet und zupft stirnrunzelnd an ihren kurzen blonden Haaren. "Da sind sie doch", sagt ihre Schwester Vanessa und deutet auf das obere Drittel des Zettels. Sie schnappt sich ihre eigenen drei Blätter und verschwindet hinter der grauen Wahlkabine der Jugendkulturwerkstatt Unterhaching.

Am Freitag fanden in ganz Deutschland die U-18-Europawahlen statt, neun Tage vor der echten Wahl. So war es auch im vergangenen Jahr bei der bayerischen Landtagswahl, wie sich Mathias Rentsch erinnert. Der Sozialpädagoge arbeitet seit drei Jahren in dem Jugendtreff und organisiert auch diese Wahl für seine Kids. Gerade hat er die Stimmzettel ausgedruckt und wartet jetzt darauf, dass die ersten Kinder und Jugendlichen nach der Schule vorbeikommen.

"2018 haben fast 60 mitgemacht, vielleicht werden es heute noch mehr. Wir haben in den letzten Wochen viel über Europa geredet und Poster mit allen Informationen zu den unterschiedlichen Parteien aufgehängt", sagt er und ist stolz auf seine bunte Gruppe. Viele der Jugendlichen, die ihre Nachmittage und Wochenenden in dem Jugendtreff verbringen, stammen aus Albanien, Kroatien und der Türkei.

Auch sie kommen an diesem Freitagnachmittag, denn seine Stimme abgeben darf hier jeder: "Wählen und mitmachen dürfen alle unter 18-Jährigen in Deutschland und an deutschen Schulen im Ausland. Ungeachtet von Status, Schuhgröße, Geschlecht, Anorakfarbe, Musikgeschmack und Religion", so steht es auf der offiziellen Website zur U 18-Wahl.

Sophie und Vanessa sind fertig mit ihrer Wahl und trinken eine Limo. Neben ihnen auf der hölzernen Bar steht eine blaue Wahlurne mit einem Kreis aus gelben Sternen. "Die haben wir selbst gebastelt, aus einem kleinen Mülleimer und ganz viel Tape", sagt die Zehnjährige und drückt einen sich ablösenden Stern zurück an seinen Platz.

In den vergangenen Tagen haben die beiden mit Hilfe ihres Betreuers den Wahl-O-Mat ausprobiert. Zwar kam bei Sophie an erster Stelle die Piraten-Partei und danach erst die Grünen, aber die junge Unterhachingerin ist sich trotzdem sicher: "Ich habe grün gewählt, die Umwelt ist jetzt einfach am wichtigsten. Das ist zusammen mit dem Tierschutz auch mein Lieblingsthema", sagt sie und zeigt auf eine orangefarbene Wand am andern Ende des Raums.

Dort, sorgfältig im Schachbrettmuster aufgehängt, kleben 72 eng beschriebene Zettel in sechs verschiedenen Farben. Auf ihnen stehen die Ansichten der beliebtesten Parteien Deutschlands zu Fragen, die sich Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik zuvor überlegt haben. Die Antworten darauf verfasst jede Partei selbst, das jeweilige Jugend-Programm kann online von den Zentren oder Schulen angesehen und ausgedruckt werden.

"Unsere Kids haben sich teilweise viel Zeit genommen, um die Themen durchzulesen", erzählt der Sozialarbeiter. Fragen zur Politik, die stellen ihm seine Jugendlichen häufig: Welche Partei setzt sich für ein gutes Mindestgehalt für Auszubildende ein? Was genau wollen die Grünen für die Natur ändern? Wieso finden so viele die AfD schlecht?

"In der Regel gibt es keinen so großen Unterschied zwischen 16- und 18-Jährigen"

Rentsch ist sich sicher: Das Wahlalter auf 16 herabzusetzen, wäre eine gute Idee. "In der Regel gibt es keinen so großen Unterschied zwischen 16- und 18-Jährigen. Natürlich gibt es auch viele politisch nicht interessierte Jugendliche, aber das hängt nicht mit diesem Altersunterschied zusammen", sagt er bestimmt.

Jungen Menschen zuhören, mit ihnen zu diskutieren und sie vor allem ernstzunehmen, das macht Rentsch in seinem Beruf jeden Tag: "Die Kids bekommen viel daheim und in der Schule mit. Da kann es schon einmal vorkommen, dass ein Kind zu einem kommt und sagt, Ausländer würden Jobs wegnehmen. Dieses Kind stammt dann zwar nicht einmal aus Deutschland, redet aber Gehörtes einfach nach. Es ist wichtig, so etwas aufzufangen", sagt er.

An Motivation fehlt es aber nicht, da ist sich Rentsch sicher: "Diesen Monat haben die Jugendlichen eine kleine Tonne eingeführt, in der unsere Pfandflaschen gesammelt werden. Es war ihre Idee, den monatlichen Erlös an eine Umweltorganisation zu spenden", sagt Reusch. Aber nicht nur in der Jugendkulturwerkstatt Unterhaching wird leidenschaftlich grün gewählt. Auch bei der bundesweiten Auszählung am Freitagabend erzielt die Partei 28 Prozent, in München und Umland sogar 45 Prozent.

Für Sophie und Vanessa ist das letztlich nur logisch: "Die Umwelt geht gerade einfach vor. Wobei ich die Linken eigentlich auch gut finde", sagt Vanessa. Auf die Frage, wieso das denn eigentlich so sei, zupft die 13-Jährige stirnrunzelnd an ihren blonden Haaren herum und sagt schließlich: "Na ja, einfach weil die das Gegenteil von den Rechten sind."

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