Europäische Institution:Das Patentamt macht's vor

Europäische Institution: Polyglottes Haar: An den Beschwerdekammern wird in Englisch, Deutsch oder Französisch verhandelt.

Polyglottes Haar: An den Beschwerdekammern wird in Englisch, Deutsch oder Französisch verhandelt.

(Foto: Sebastian Gabriel)

In den Haarer Beschwerdekammern arbeiten im Gegensatz zur EU sogar 38 Länder ohne Reibereien zusammen

Von Bernhard Lohr, Haar

Wer bei all dem Frust über Brexit und wachsenden Populismus Sehnsucht nach einem funktionierenden Europa verspürt, der kann ja mal nach Haar fahren. Dort in Eglfing haben seit zwei Jahren die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) ihren Sitz. Sie bezogen einen Teil eines Gebäudes, dessen Name fast Programm sein könnte. "Eight-in-one" heißt der Komplex, bei dem acht Gebäudeflügel eine Einheit ergeben. Also ein gemeinsames Ganzes, so wie es idealerweise die 28 in der Europäischen Union vereinigten Länder abgeben könnten.

Das Europäische Patentamt, das mit seiner Zentrale in München nahe dem Deutschen Museum an der Isar residiert, hat bei einer Strukturreform seine Gerichtsbarkeit gestärkt und seinen so genannten Beschwerdekammern mehr Eigenständigkeit eingeräumt und einen eigenen Dienstsitz gegeben. Seit Herbst 2017 entschieden hoch spezialisierte Techniker und Juristen aus vielen verschiedenen Ländern in Haar-Eglfing über mehr als 2000 Streitfälle. Es geht vielsprachig zu in Haar. Die Verhandlungssprachen sind Englisch, Deutsch und Französisch, ähnlich wie in Brüssel oder Luxemburg, wo mit dem Europäischen Gerichtshof, wenn man so will, das Pendant auf EU-Ebene zu Hause ist. Doch mit Vergleichen mit der EU sollte man vorsichtig sein. Denn so viel, wie der Name suggeriert, haben EU und Europäisches Patentamt, wie ein Sprecher ausdrücklich betont, nicht miteinander zu tun.

Beides sind zwei voneinander unabhängige Organisationen. Wer will, mag das daran ablesen, dass am Patentamt und analog an den Beschwerdekammern in Haar 38 Länder seit Jahren im Stillen erfolgreich zusammenarbeiten, während bei der EU 28 Länder allzu oft ein zerstrittenes Bild abgeben. Zwar sind alle EU-Staaten selbstverständlich Mitglied der im November 1977 gegründeten Europäischen Patentorganisation. Doch darüber hinaus gehören dieser die Schweiz, die Türkei oder etwa Nordmazedonien an. Ein Brexit, sagt ein EPA-Sprecher, sei kein Thema, und sollten die Briten die EU verlassen, stünde ihre Rolle im EPA und bei den Beschwerdekammern in Haar nicht in Frage.

Theoretisch können also im Haarer "Eight-in-One"-Komplex Menschen aus 38 Nationen eine vielsprachige Gemeinschaft bilden. Denn aus jedem Mitgliedsland der EPA-Organisation können Mitarbeiter akquiriert werden. Tatsächlich arbeiten an der Richard-Reitzner-Allee, wie es heißt, Menschen aus 20 Ländern. 225 Beschäftigte begegnen sich dort auf den Fluren mit einem "Hello", "Guten Morgen" oder "Bonjour" und arbeiten eine wachsende Zahl an Patentstreitigkeiten ab. Weiteres Personal wird dazukommen. Man sei am Wachsen, heißt es. Ein Ziel, das mit der Strukturreform und der Verlagerung nach Haar erreicht werden sollte, war mehr Effizienz und kürzere Verfahren. Noch gilt es einiges aufzuholen.

Viele EPA-Beschäftigte leben mit ihren Familien im Südosten Münchens und auch im Landkreis, wo sie kurze Wege zur Europäischen Schule in Neuperlach schätzen, die 1977 auf Initiative des EPA entstand. Das EPA könnte ein Vorbild für eine große, funktionierende EU sein. Weil es wächst und gedeiht und mehr und mehr Kinder aus Spanien, Schweden, Frankreich, den Niederlanden und anderen Ländern eine passende Schule brauchen, floriert die Europäische Schule. Im September werden auch noch ein Kindergarten und eine Grundschule eröffnet, beide in Fasangarten.

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