Süddeutsche Zeitung

20 Jahre Euro:"Wir haben wirklich Nächte durchgearbeitet"

Für Geschäftsleute, Bankangestellte, Wirte und Gemeindemitarbeiter bedeutete die Währungsumstellung großen Zusatzaufwand. Fünf Landkreisbewohner erinnern sich.

Von Michael Morosow und Rainer Rutz, Landkreis München

Die vielen Millionen Silvesterraketen, die in der Nacht zum 1. Januar 2002 in den Himmel über Deutschland geschossen wurden, waren allesamt mit Mark und Pfennig gekauft worden. Zurück fielen sie auf Euroland. Die Währungsumstellung vor 20 Jahren verwandelte bereits am Neujahrstag auch den Landkreis München in eine einzige Wechselstube. Jeder wollte sich mit den neuen Banknoten und Münzen eindecken und das Zahlungsmittel erstmals in den Händen halten. Auch wenn noch im selben Jahr der "Teuro" von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Wort des Jahres gekürt werden sollte, so war der Start in die neue Währung für viele prickelnd und spannend - sieht man von jenem Bankkunden ab, der noch in der ersten Januarwoche in der Unterhachinger Kreissparkasse mit dem ernsten Anliegen erschien, seine Euro wieder in D-Mark zurückzutauschen, was ihm verweigert wurde. Für Geldinstitute, Händler und Gastronomen war der Währungswechsel dagegen mit großem Aufwand verbunden. Für die SZ erinnerten sich Kunden, Bankangestellte, Behördenvertreter und Geschäftsleute an den historischen Tag der Euro-Einführung.

Modeatelier als Wechselstube

Anna Eggenhofer-Stübner führte fast 50 Jahre lang in Planegg ein Modeatelier mit Schneiderei, zuletzt zusammen mit ihrer Tochter Theresia. Ihre Kundinnen waren fast durchweg ältere Frauen aus dem gesamten Würmtal:

"Wir waren natürlich auf die Umstellung zum Euro vorbereitet. Es gab schon Wochen vorher Anweisungen und Erläuterungen von der Handwerkskammer. Auch von unserer Bank hatten wir ein so genanntes Starterpaket bekommen, etwa eintausend Euro. Schließlich sollten wir ja mit dem Tag der Einführung nur noch in Euro zurückgeben. Jemand hat zum Beispiel mit 50 Mark gezahlt und das Restgeld in Euro-Münzen erhalten. Für viele ältere Leute war es eine ziemlich chaotische Situation, trotz des kleinen Starter-Sets, das jeder bekommen hatte. Wir hatten im Vorlauf viel Arbeit. Jedes einzelne Teil musste neu ausgezeichnet werden und der alte Preis musste zum Vergleich natürlich noch mit an den Kleidungsstücken hängen. Die Registrierkasse musste neu eingestellt werden und wir haben bei dieser Gelegenheit gleich Inventur gemacht. Wir haben wirklich Nächte durchgearbeitet. Etliche Kunden kamen mit einem Taschenrechner zum Umrechnen in den Laden, die wollten es genau wissen. Wir haben aber auf- und abrunden dürfen, um keine kruden Preis-Zahlen zu erhalten. Es war schon erstaunlich, wie lange viele Kunden noch in D-Mark zahlten, manche mindestens ein Jahr lang. Die sagten: Lieber das Geld im Geschäft umtauschen, als in der Bank und kamen dann mit einem 500-Mark-Schein. Ganz schön clever. Ich hatte den Eindruck, dass fast niemand den Euro wirklich wollte, die alten Leute haben sich nur ganz schwer daran gewöhnt, schließlich hatten sie in ihrem Leben ja schon einmal eine Währungsreform erlebt. Und viele haben sich beklagt, dass beispielsweise in den Lokalen einfach eins zu eins umgerechnet wurde: Gestern kostete der Schweinsbraten noch 7 Mark, heute 6,80 Euro."

Am Neujahrstag am Bankschalter

Silke Burmeisters, seit 30 Jahren Angestellte in der Kreissparkasse in Unterhaching , erlebte den Ansturm der wechselfreudigen Kundschaft am Schalter mit:

"Ich habe die Euro-Umstellung in ihrer vollen Pracht mitbekommen. Für Kunden, die es ganz eilig hatten, hatten wir am 1. Januar vier Stunden geöffnet. So richtig anstrengend wurde es am 2. Januar, da ging es so richtig los und ich bekam das Gefühl, dass ganz Unterhaching bei uns in der Filiale war. Die meisten brachten ihre mit Mark und Pfennig gefüllten Geldbeutel mit, einige waren dabei, die nicht ganz so glücklich mit dem neuen Geld waren. So ganz aus der Welt sind Mark und Pfennig aber auch heute noch nicht. Neulich erschien ein Kunde am Schalter mit einem Kuvert voller 100-Mark-Scheine, die aber nur noch die Landeszentralbank umtauscht. Und ab und zu kommt heute noch der ein oder andere Kunde und sagt: Ich hätte gern 500 Mark.

Neue Kasse im Gasthaus

Robby Hirtl, Wirt des Gaststätte zur Mühle in Straßlach-Dingharting, zählt definitiv nicht zu den Menschen, die sich auf den Euro freuten:

"Ich war traurig, dass die Mark verschwindet, das weiß ich noch gut. Mir war der Euro sogar richtig unsympathisch, vor allem die Münzen, die ich nicht mehr mit einem Blick unterscheiden konnte, weshalb ich immer am Rumsuchen war. Eine neue Kasse hab ich mir auch anschaffen müssen, das war alles nicht so lustig. Ich hab damals auch den Eindruck gehabt, dass viele meiner Kollegen mit der Währungsumstellung bei den Preisen saftig zugelegt haben. Wir haben das nicht gemacht, vielleicht mal um 50 Cent, mehr nicht. Ich hätte viel zu viel Angst gehabt, dass dann die Leute nicht mehr zu mir kommen, und ich bin ja ein Ausflugslokal."

Erst die D-Mark, dann der Euro

Wolfgang Trinks, der heute in Neubiberg eine Arbeitsstelle hat, ist im damaligen Karl-Marx-Stadt in der DDR aufgewachsen und hat im Januar 2002 die zweite Währungsumstellung innerhalb von gut zehn Jahren miterlebt und deshalb einen etwas anderen Blickwinkel darauf.

"Viel spannender als die Umstellung auf Euro war für mich der Wechsel von der DDR-Mark auf die D-Mark mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen. Endlich eine Währung, die international anerkannt ist, dachte ich mir damals. Dagegen war die Einführung des Euro eher unspektakulär für mich. Als Hauptvorteil sehe ich heute noch, dass ich in keinem anderen Land in Europa mein Geld umtauschen muss, und die gemeinsame Währung hat vielleicht auch dabei geholfen, alte Feindbilder innerhalb von Europa zu überwinden. Den ersten Euro hab ich mir am zweiten Januar besorgt. Ich bin kein Nostalgiker, aber zuhause habe ich noch ein paar DDR-Münzen und Scheine, und von der D-Mark hab ich mir einen Glückspfennig aufgehoben."

Aufgerundete Gebühren

Klaus Friedrich war mehr als 30 Jahre lang Geschäftsstellenleiter im Rathaus Aying, ehe er 2020 in den Ruhestand ging. Als der Euro kam, wurde er ins kalte Wasser geworfen:

"Wir mussten damals den Haushalt bereits zum 1. Januar 2002 aufstellen, und akkurat war unser langjähriger Kämmerer aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage, sodass es an mir hängen geblieben ist. Mein allererster Haushalt, eine frühere Abgabe und das auch noch mitten während der Währungsumstellung - das war eine nette Herausforderung. Alle Gebührensatzungen mussten von Mark auf Euro umgeschrieben werden. Bei der Umrechnung kamen natürlich nie gerade Summen heraus. Ich habe dann immer hochgerechnet und damit zu einer Verteuerung beigetragen. Beim Aufstellen des Haushaltsplans war alles noch umständlicher, wenn Jahresrechnungen und Daten aus Markzeiten mit auf dem Tisch lagen. Ich selbst habe erst in diesem Sommer ein Päckchen mit Zehn-D-Mark-Sondermünzen bei der Landeszentralbank umgetauscht. Meine erste Ein-Euromünze liegt heute noch in meinem Regal.

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