Süddeutsche Zeitung

Kreis und quer:Woker Leberkäs

Was eine Garchinger Metzgerei und einen Unterhachinger Süßwarenhersteller verbindet.

Kolumne von Udo Watter

Deutschland gilt als Land der Dichter und Denker, sein größtes Bundesland eher nicht. Wahrscheinlich hat Bayern mehr bekannte Metzger als Philosophen hervorgebracht. In Gerhard Polt, dem wohl bedeutendsten lebenden Denker des Freistaats, verschmelzen beide Bereiche immerhin aufs Beglückendste. Der Erfinder des "Leberkäs Hawaii" ist in seiner Kindheit in einer Metzgerei aufgewachsen, er empfand dies als Privileg: "Im Gegensatz zu Brutstätten trostloser Fadheit wie Kindergärten ist eine Metzgerei ein Eventparadies", hat Polt einmal erklärt.

Nun ja. Offenbar hat die Anziehungskraft dieses einst so knackigen Wurstparadieses stark nachgelassen. Dass in Garching in dieser Woche eine Metzgerei schließt und damit eine mehr als fünf Jahrzehnte währende Familientradition endet, hat mit einer schon lange andauernden Entwicklung zu tun: Inhaber Hermann Karl hat keinen Nachfolger gefunden, da immer weniger Menschen sich mit Schlachten und Wurstherstellung auseinandersetzen wollen. Neben Fachkräftemangel und hohen Energiepreisen spielt auch eine Rolle, dass die Menschen ihre Salami oder das Nackensteak lieber abgepackt im Supermarkt einkaufen. Eine kulinarisch bedenkliche Entwicklung.

Man darf also festhalten, dass das Bonmot Heimito von Doderers, wonach Bayern in zwei Bevölkerungsteile zerfielen ("den ersten bilden die Metzger, den zweiten die, die nur so aussehen"), nicht mehr gilt. Hinzu kommt, dass sich das Essverhalten aus moralischen und ökologischen Gründen verändert. Die Liaison zwischen altbayrischem Gaumen und Schweinsbraten hat ihren identitätsstiftenden Charakter eingebüßt. Auch im Münchner Speckgürtel wächst die Zahl der Vegetarier, Veganer und Flexitarier. "Man ist, was man isst" - dieser Spruch des ebenfalls in Bayern geborenen Philosophen Ludwig Feuerbach ist ethisch stark aufgeladen.

Ein besonderes Zuckerl im moralisch-kulinarischen Diskurs lieferte in dieser Woche die Meldung zu einer eingestellten Werbeaktion des US-Lebensmittelkonzerns Mars Wrigley. Der rechtslastige TV-Moderator Tucker Carlson hatte der Firma, deren deutscher Hauptsitz in Unterhaching ist, vorgeworfen, die M&M-Maskottchen - sprechende Schokolinsen - mittlerweile allzu "woke" zu gestalten. Speziell beklagte sich der Trump-Sympathisant, dass die grüne weibliche Figur statt High Heels inzwischen Turnschuhe trägt und damit ihres Sexappeals beraubt worden sei. Auch eine neue lila Figur erzeugte einen Candystorm: Mars politisiere Süßigkeiten, schimpften konservative Kritiker, weil die Farbe für die LGBT+-Gemeinschaft steht. Gerüchte, dass bei Mars Wrigley an der Biberger Straße gerade ein "woker" Kaugummi entwickelt wird, mit dem sich Klimaaktivisten super auf Straßen festkleben können, haben sich bisher nicht bestätigt.

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