Erzieherin in der Fremde:Der weite Weg in die Mäuseburg

Erzieherin in der Fremde: Liseth Sanchez Ramos betreut seit etwa einem Jahr Kinder in der Mäuseburg in Pullach.

Liseth Sanchez Ramos betreut seit etwa einem Jahr Kinder in der Mäuseburg in Pullach.

(Foto: Claus Schunk)

Liseth Sanchez Ramos ist eine der Erzieherinnen, die der Landkreis in Spanien angeworben hat, um den Fachkräftemangel zu lindern. Sie zögerte nicht, als sie das Angebot bekam, in einer Pullacher Kita zu arbeiten. Und hofft nun, dass sie ihren vierjährigen Sohn bald nachholen kann.

Von Magdalena Scheck, Pullach

Von Peru über Madrid und Gran Canaria bis in den Landkreis München - Liseth Sanchez Ramos ist schon viel herumgekommen. An diesem Vormittag sitzt die 38-Jährige gemeinsam mit einer Gruppe von Kleinkindern an einem winzigen Tisch im Kinderhaus Mäuseburg in Pullach. Es ist Zeit für die tägliche Brotzeit in der Kinderkrippe. Seit etwa einem Jahr gehört das zum Alltag von Liseth Sanchez Ramos, denn sie ist eine von 20 ausgebildeten Erzieherinnen, die im Zuge eines gemeinsamen Projektes des Landkreises, der Landeshauptstadt, der Arbeitsagentur München und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Spanien als pädagogische Fachkräfte für Krippen, Horte und Kindergärten angeworben wurden.

Qualifiziertes Fachpersonal für die Kinderbetreuung fehlt im Raum München. Im Landkreis können aktuell mehr als 200 Stellen in Kindertagesstätten nicht besetzt werden, in der Stadt München sind es rund 1000. Mit dem Ziel, diesen Personalmangel zu verringern, wurden die Bewerberinnen aus Spanien im Oktober 2019 von Vertretern der Kitas und Gemeinden in der Burg Schwaneck in Pullach zu einem dreitägigen Kennenlernen empfangen. "Bei mir war das chaotisch", erinnert sich Sanchez Ramos, "damals konnte ich fast kein Wort Deutsch. Ich konnte nur: Hallo! Prost! Auf Wiedersehen!"

Die wenigen Wörter hatte sie von deutschen Kommilitonen in Madrid gelernt. Dort studierte Sanchez Ramos Kinderpädagogik, nachdem sie bereits in Peru eine erzieherische Ausbildung absolviert hatte. Das sei auch einer der Unterschiede zwischen Spanien und Deutschland: "In Spanien reicht es nicht, für den Beruf der Erzieherin eine Ausbildung zu machen, man muss mindestens fünf Jahre dafür an der Universität studieren, für den Bachelorabschluss." Dafür sei die Bezahlung in Deutschland besser.

Trotz ihrer damals noch holprigen Deutschkenntnisse überzeugte Sanchez Ramos die Vertreterinnen der Mäuseburg in der Vorstellungsrunde. Insgesamt wurden acht Erzieherinnen im Landkreis engagiert, in den Gemeinden Pullach, Neubiberg, Unterschleißheim und Kirchheim. Ende Februar vergangenen Jahres verließ Sanchez Ramos schließlich Gran Canaria, um vormittags in der Krippe oder im Kindergarten der Mäuseburg zu arbeiten und nachmittags gemeinsam mit den spanischen Kolleginnen ihre Sprachkenntnisse aufzubessern und den bayerischen Bildungsplan zu lernen.

Für die Pädagogin bot das Projekt eine Chance, die sie ergreifen musste: "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in Deutschland wohnen und arbeiten würde. Aber als ich die Chance bekommen habe, habe ich gesagt: Wo soll ich unterschreiben? Das war für mich keine schwierige Entscheidung."

Liseth Sanchez Ramos schätzt die Lebensqualität im Landkreis, die Natur und ihren Arbeitsplatz in der Nähe ihres Wohnortes. Ihr Start in der neuen Umgebung wurde der Neu-Pullacherin auch von der Einrichtung und der Gemeinde erleichtert, die der Erzieherin eine Wohnung zur Verfügung stellten. Ihre neuen Kolleginnen hätten ihr beim Einrichten geholfen, erzählt die Leiterin der Mäuseburg, Sarah Drewek.

Kurz nach dem Arbeitsbeginn kam dann die Pandemie: Lockdown, Home-Schooling und Kontaktbeschränkungen erschwerten es Liseth Sanchez Ramos, Fuß zu fassen. "Um ehrlich zu sein: Die Pandemie war schwer für mich, vor allem emotional. Ich bin relativ alleine hier, habe hier keine Familie und konnte durch die Pandemie auch schwierig Leute kennenlernen", erzählt die Erzieherin. Doch ihre Gedanken drehten sich nicht nur um ihr neues Leben in Pullach. Liseth Sanchez Ramos hat einen vierjährigen Sohn, der auf Gran Canaria bei der Familie lebt. Um ihn trotz der Pandemie regelmäßig besuchen zu können, musste sie mehrmals Quarantänen auf sich nehmen. Unterkriegen ließ sie sich dadurch nicht: "Ich bin eine starke Frau", sagt Sanchez Ramos. "Die sprachliche Ausbildung während der Pandemie zu meistern und das mit allem, was man privat noch so in seinem Rucksack hat - eine herausragende Leistung", findet auch die Einrichtungsleiterin.

Mittlerweile hat sich Sanchez Ramos in der Mäuseburg eingelebt. Über die Fortschritte ihrer Mitarbeiterin freut sich Sarah Drewek. "Wir sehen Liseth nicht als unsere spanische Fachkraft, sie ist einfach eine supergute Mitarbeiterin, wie auch immer sie hierhergekommen ist. Das spielt weder für die Kinder noch fürs Team oder für mich eine Rolle." Für Drewek und die Mäuseburg hat sich die Teilnahme an dem Projekt gelohnt. "Wir waren manchmal schon am Verzweifeln, überhaupt noch Fachkräfte zu finden."

Deshalb plant das Landratsamt bereits die Weiterführung. Schon in den Sommermonaten sollen weitere spanische Erzieherinnen akquiriert werden, um offene Stellen mit qualifizierten Fachkräften besetzen zu können. Auch die Gemeinde Pullach will sich mit ihren Kindertageseinrichtungen erneut am Projekt beteiligen, erklärt Daniela Wimmer, die Beauftragte für Kinderbetreuung im Rathaus. Die Gemeinde hatte neben Sanchez Ramos im ersten Durchlauf des Projektes noch eine weitere spanische Erzieherin aufgenommen, die inzwischen im Kinderhaus Sankt Gabriel angestellt ist. Von den insgesamt acht Einrichtungen des Ortes sind immer noch fünf auf der Suche. Sechs Stellen stehen dort offen, sagt Wimmer.

Erzieherin in der Fremde: "Wir sehen Liseth nicht als unsere spanische Fachkraft, sie ist einfach eine supergute Mitarbeiterin, wie auch immer sie hierhergekommen ist", sagt Mäuseburg-Leiterin Sarah Drewek.

"Wir sehen Liseth nicht als unsere spanische Fachkraft, sie ist einfach eine supergute Mitarbeiterin, wie auch immer sie hierhergekommen ist", sagt Mäuseburg-Leiterin Sarah Drewek.

(Foto: Claus Schunk)

"Die räumlichen Kapazitäten in den Einrichtungen und die Nachfrage der Eltern sind da, doch da das Personal fehlt, können im Moment etwa 15 Plätze in Krippen und 15 Plätze in den Kindergärten Pullachs nicht angeboten werden",erklärt die Rathausmitarbeiterin. Auch Mäuseburg-Leiterin Sarah Drewek bestätigt: "Wir sind seit zwei, drei Jahren immer am Kämpfen, dass wir alle Plätze vergeben können, aber meistens schaffen wir es nicht. Wir haben die Räume und die Möglichkeiten, aber das pädagogische Personal fehlt."

Im schlimmsten Fall könne der Personalmangel sogar dazu führen, dass ganze Kindergarten- oder Krippengruppen nicht eingerichtet oder bestehende Gruppen aufgelöst werden müssen, heißt es dazu aus dem Landratsamt. Der Engpass betreffe allerdings nicht nur den Landkreis München. Auch die Stadt München und die umliegenden Landkreise bekämen die Personalnot zu spüren.

Doch warum ist es so schwierig, qualifizierte Erzieher und Erzieherinnen im Raum München zu finden? Das liege zum einen am steigenden Bedarf. Junge Familien ziehen in die Region zu, die Eltern kleiner Kinder sind meist doppelt berufstätig, um sich die hohen Wohn- und Lebenshaltungskosten leisten zu können. Um die Nachfrage zu stillen, wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Kitas gebaut, während gleichzeitig die Zahl der Auszubildenden laut Kreisbehörde rückläufig ist. "Neue Kollegen kommen meist nicht aus dem Ausbildungspool, sondern sind langjährige Mitarbeiter aus anderen Einrichtungen, die sich noch mal umorientieren", bestätigt Drewek. Vor allem im ländlichen Raum konkurrierten durch diese Entwicklungen die Einrichtungen um Fachkräfte, weil Frischausgebildete lieber einen Job in der Stadt annähmen.

Liseth Sanchez Ramos will in Pullach bleiben und sich hier eine Zukunft aufbauen, vielleicht irgendwann auch ihren Sohn nachholen. Eine Familie zu gründen, findet sie, das werde in Deutschland besser ermöglicht als in Spanien.

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