Süddeutsche Zeitung

Erschließungsbeiträge:Regierung bringt Rathäuser in Erklärungsnot

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Mit seinen jüngsten Aussagen weckt Wirtschaftsminister Aiwanger bei Anwohnern die Hoffnung, von Straßenerschließungsbeiträgen verschont zu bleiben

Von Bernhard Lohr, Brunnthal

Widersprüchliche Aussagen aus der bayerischen Staatsregierung lassen in vielen Rathäusern im Landkreis München die Verzweiflung wachsen. Es geht um die Abrechnung von Erschließungsbeiträgen. Ein Thema, das seit Wochen und Monaten schon Betroffene auf die Barrikaden treibt, die sich dagegen wehren, dass sie für die Herstellung von Straßen und Wegen vor ihren Häusern Tausende Euro bezahlen sollen.

Es geht um alte, lange existierende Zufahrten, die aber noch nicht abschließend fertiggestellt und auch noch nicht abgerechnet wurden. Bis 31. März 2021 soll das definitiv geschehen, wurde 2016 gesetzlich geregelt. Doch wie ernst das gemeint ist, weiß derzeit keiner mehr so recht.

Viele Bürgermeister in ganz Bayern und natürlich auch im Landkreis brauchen derzeit ein breites Kreuz. Denn sie müssen sich hinstellen und sagen, dass etliche Straßen auf Kosten der Anwohner fertiggestellt und abgerechnet werden müssen. Bürgermeister Stefan Kern (CSU) etwa hat in Brunnthal bei 13 von insgesamt 95 Ortsstraßen zu klären, was geschehen soll. Beim Siegertsbrunner Weg, Maurerweg und bei der Buchenstraße ist man schon recht weit. Im vergangenen November gab es eine emotionale Sondersitzung, die die Anlieger gespannt verfolgten.

Geklärt wurde wenig. In der nächsten Sitzung droht eine harte Auseinandersetzung. Denn angeführt von SPD-Gemeinderätin Anouchka Andres haben mehrere Fraktionen einen Antrag eingebracht, die Sache mit den Erschließungsbeiträgen bleiben zu lassen. Sie berufen sich auf ein Schreiben aus dem Innenministerium, das die Notwendigkeit eines Straßenausbaus und einer Abrechnung relativiere.

Bürgermeister werfen der Politik vor, Verunsicherung zu streuen

Bürgermeister Kern sieht sich in die Enge getrieben und beklagt, die Leute würden "falsch informiert". Tatsächlich steht er damit nicht alleine. Auch in Unterhaching und Aschheim ist zuletzt der Widerstand wieder angewachsen. Dort greifen Bürger jede Nachricht auf, die ihnen Hoffnung macht, sie könnten die hohen Kosten eines Straßenausbaus vermeiden. Anrufe gehen in den Rathäusern ein und entsprechende Briefe.

Den Hintergrund bildet ein Schreiben aus dem Innenministerium von Anfang November. Darin wird relativiert, was lange als unumstößlich galt: dass Altstraßen bis 31. März 2021 fertiggestellt und abgerechnet werden müssten. Sollten Kommunen dies nicht tun, hieß es bisher ganz klar, könnten Bürgermeister und auch Gemeinderäte für die Einnahmeausfälle haftbar gemacht werden.

So traten die Bürgermeister nach außen auch auf und erklärten die Sache für unvermeidlich. Doch in dem neuen Schreiben aus dem Innenministerium, das in vielen Rathäusern Unverständnis und auch Ärger ausgelöst hat, heißt es, die Gemeinden seien eben nicht verpflichtet, "zwingend technische Straßenbaumaßnahmen durchzuführen". Vielmehr gebe es "mehrere Handlungsmöglichkeiten", je nachdem ob eine technische Fertigstellung bis 1. April 2021 zeitlich möglich, wirtschaftlich sinnvoll und vertretbar sei. Gegebenenfalls seien "Prioritäten" zu setzen. Näher ausgeführt wird das nicht.

Was offenkundig als Klarstellung aus dem Ministerium gemeint war, hat aber die Verwirrung nur noch vergrößert. Dazu kommt, dass zuletzt Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in einem Interview mit dem Straubiger Tagblatt erklärt hat: "Jeder Bürgermeister findet einen Weg, die Bürger nicht zur Kasse bitten zu müssen, wenn er denn will." Aiwanger hatte mit seinen Freien Wählern schon die Straßenausbaubeitragssatzung, die für die Erneuerung von Straßen erhoben wurde, bekämpft und letztlich zu Fall gebracht.

Kommunen fordern die Staatsregierung zu einer Klarstellung auf

Bürgermeister wie Stefan Kern in Brunnthal oder auch Alexander Greulich (SPD) in Ismaning empfinden Aiwangers Worte als glatten Affront. Sie verweisen auf unmissverständliche Vorgaben der Rechtsaufsicht im Landratsamt. Wirtschaftsministerium und Innenministerium richteten "ein Wirrwarr" sondersgleichen an, sagt Greulich. Ohne Not werde die Verunsicherung noch gesteigert. Am Ende falle das den Kommunen auf die Füße.

Deshalb haben der Bayerische Gemeindetag und der Städtetag, wo Greulich dem Ausschuss der kreisangehörigen Kommunen angehört, auf Aiwangers Äußerung mit deutlichen Stellungnahmen reagiert. "Die Kommunen vollziehen bestehendes Recht", heißt es vom Städtetag. Der Vorwurf, sie würden abkassieren, sei "falsch".

Laut Marko Zschoch, Kämmerer in Aschheim, glauben manche im Ort genau das. Der Rathausmitarbeiter erhofft sich daher eine Klarstellung der Staatsregierung, ebenso wie Simon Hötzl, Sprecher im Rathaus Unterhaching. Hötzl zufolge stehen die Gemeinden unter gewaltigem Druck, weil sie mit dem Termin im April 2021 im Nacken die Vorbereitungen für den Straßenausbau angehen müssten. Parallel dazu werde von der Politik Verunsicherung geschürt.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2019
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