Energiewende:Verbrannte Erde

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Ein brandheißes Thema zwischen Unterföhring und der Stadt München: das Heizkraftwerk Nord. (Foto: Erich Pfeiffer/oh)

Die Stadtwerke und der Münchner Stadtrat haben in Unterföhring über die Jahre viel Vertrauen verspielt. Entsprechend skeptisch verfolgt man in der Gemeinde, wie sie jetzt widerwillig über den Kohleausstieg im Heizkraftwerk Nord abstimmen lassen

Von Martin Mühlfenzl

Horizont heißt der Farbanstrich, den die Stadtwerke München (SWM) dem Heizkraftwerk München-Nord in den Neunzigerjahren verpasst haben. "Das war einer unserer kleinen Erfolge. Eine neue Farbe, damit das Ding in der Landschaft nicht so raus sticht", sagt Klaus Läßing und muss unwillkürlich lachen. "Aber unser größter Erfolg war, dass die Stadtwerke irgendwann an die Wand Unterföhring geschrieben haben. Dann wusste wenigstens jeder, wo das Kraftwerk wirklich steht."

Die Menschen im Norden haben sich in den vergangenen Jahrzehnten eine gewisse Leidensfähigkeit gepaart mit einer gehörigen Portion Zynismus angeeignet. Auch Unterföhrings Altbürgermeister Läßing. Für Spötter ist die Region rund um die Mediengemeinde so etwas wie die "Müllhalde des Landkreises" - eingezwängt und durchtrennt von einigen der meist befahrenen Autobahnen der Republik, am Rande des Klärwerks Gut Großlappen gelegen, dem ständigen Fluglärm ausgesetzt. Und als weithin sichtbares Zeichen der Umweltverschmutzung thront auf Unterföhringer Flur das Heizkraftwerk.

Ein Kampf gegen Windmühlen

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn Läßing sagt, er habe in seiner Zeit als Rathauschef - von 1984 bis 2002 - gegen Windmühlen gekämpft. Während die Vorreiter der heutigen Windkraftanlagen als eine der wichtigsten Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energie gelten, werden im Heizkraftwerk München-Nord heute noch jährlich etwa 800 000 Tonnen Steinkohle verfeuert, um Strom und Fernwärme zu erzeugen. Bis zu acht Kilogramm giftiges Quecksilber bläst der Kamin des Blocks 2 jedes Jahr in die Luft.

Geht es nach der ÖDP in der Landeshauptstadt, soll damit spätestens Ende 2022 Schluss sein. Die Partei hat mit nahezu 50 000 Unterschriften einen Bürgerentscheid erwirkt, den der Feriensenat des Stadtrats diese Woche billigte: Am 5. November stimmen die Münchner über die Abschaltung von Block 2 ab. Nicht aber die Unterföhringer, auf deren Grund das Heizkraftwerk steht und die am meisten unter den Emissionen zu leiden haben. "Das ist eine Ungerechtigkeit, aber wir müssen damit leben", sagt Wolfgang Stubenrauch, der seit Jahrzehnten für den Ausstieg aus der Kohleverbrennung kämpft. "Wir sind aber froh, dass Stadt und Stadtwerke unter Druck gesetzt werden. Das Wichtigste ist, dass wir aus der Kohle aussteigen."

Doch was kommt danach? Egal ob die Stadtwerke schon in fünf Jahren oder - wie selbst angekündigt - erst Ende des kommenden Jahrzehnts den Block 2 vom Netz nehmen, dürfte Unterföhring als wichtiger Standort der Energieerzeugung erhalten bleiben. Immer wieder wird über ein Gas-Heizkraftwerk als Übergangslösung spekuliert, bis die Landeshauptstadt den Ausbau der Geothermie erfolgreich vorangetrieben hat. Dies, vermutet Stubenrauch, dürfte aber frühestens "ab 2040 der Fall" sein.

2012 war schon einmal ein Gaskraftwerk im Gespräch

Pläne für ein Gaskraftwerk in Unterföhring gibt es längst. Im Jahr 2012 - so berichtet ein Insider - seien die Stadtwerke schon einmal beim Gemeinderat vorstellig geworden. Damals aber konnten sich das Gremium unter Bürgermeister Franz Schwarz (SPD) und die SWM nicht einigen. Warum, lässt sich heute nur schwer nachvollziehen. Die Sitzung fand damals unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. "Möglicherweise weil die Stadtwerke selbst nicht ganz von dem Projekt überzeugt waren. Die Gaspreise waren damals hoch und damit die Rentabilität nicht groß genug", vermutet der Beobachter von damals.

Josef Trundt, Vorsitzender der Agenda 21 in Unterföhring, stellt ein Gaskraftwerk grundsätzlich infrage: "Auch Gas ist ein fossiler Energieträger. Aber wir wollen eine echte Energiewende." Natürlich sei es gut, wenn man aus der Kohleverbrennung aussteige. Mit Gas sinken die Emissionen. "Aber mehr als ein kleiner Zwischenschritt ist das nicht."

Trundt sieht die Stadt in der Verantwortung und übt heftige Kritik etwa an der Umrüstung des Gaskraftwerks Freimann an der Gemeindegrenze. Dort werden zwei neue Gasturbinen eingebaut. "Aber die Stadt hält es nicht für nötig, modernste Filter einzubauen, weil sie unter den Grenzwerten liegen werden", empört sich Trundt. "Das in einer Stadt, die jedes Milligramm Staub wiegt, über Diesel-Fahrverbote redet, aber nicht über die Lebensqualität der Menschen jenseits der Stadtgrenze nachdenkt."

Diesen Vorwurf scheint eine Bemerkung von Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach zu untermauern, der in der Diskussion um den Bürgerentscheid die Gegner des Heizkraftwerks als "Berufsquerulanten" bezeichnete. Diese, so der SWM-Chef, würden auch gegen ein Gaskraftwerk Proteste lostreten. "Das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit", sagt Stubenrauch. "Ich würde es begrüßen, wenn auf Gas umgestellt wird. Dadurch würden sich die Emissionen sofort halbieren."

Das Problem ist nur, dass die Stadtwerke im Landkreisnorden kaum mehr Vertrauen genießen. "Man kann über die Jahrzehnte hinweg verzweifeln", sagt Altbürgermeister Läßing. "Bisher ist ihnen noch immer ein Trick eingefallen. Denn der Stadtrat hängt am finanziellen Gängelband der Stadtwerke - es geht um Profit."

Der Landkreis ist bei der Geothermie ein Vorreiter

Die 29 Städte und Gemeinden des Landkreises hätten indes die Zukunft im Visier, sagt der Grünen-Kreisrat Markus Büchler. "Wir haben im Landkreis mittlerweile zwölf Geothermie-Projekte - das größte davon in Unterföhring. Und die Stadt?", fragt Büchler und gibt selbst die Antwort: "Zwei. Die haben das so was von verpennt." Es sei von Seiten der SWM kein klarer Fahrplan zu erkennen, wie die Energiewende gelingen könne. "Aber den braucht es, das wäre den Unterföhringern fair gegenüber. Was nicht geht, ist ein riesiges Gaskraftwerk hin zu stellen und zu sagen: Das war es jetzt."

Das aber wird nicht passieren. Denn die Unterföhringer sind nicht nur leidens-, sondern auch widerstandsfähig. "Wenn ich einmal in der Woche die Fensterbretter abwische, sehe ich doch an meinem Staublappen, wie nachhaltig unser Leben hier beeinflusst ist", sagt Klaus Läßing. "Das sollen die in der Stadt ruhig wissen."

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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